# taz.de -- Schriftstellerin Gertraud Klemm: „Immer 'aber' sagen“ | |
> In „Aberland“ zeigt die österreichische Autorin Gertraud Klemm, wie die | |
> moderne Frau in uralte Fallen tappt. | |
Bild: „Frauen wollen keine Raketen steuern“, sagt Gertraud Klemm | |
taz: Frau Klemm, Sie haben beim letzten Bachmannpreis einen Auszug aus | |
Ihrem nun erscheinenden Roman „Aberland“ gelesen, in dem eine Frau an ihrem | |
Dasein als Mutter verzweifelt. Von einem männlichen Juror wurde Ihnen | |
entgegnet, die geschilderte Familienkonstellation erscheine ihm „völlig | |
normal“ und ihr Text sei eine unangenehm berührende | |
„Frauenzeitschrift-Aufschrei-Befreiungsprosa“. Hat Sie das wütend gemacht? | |
Gertraud Klemm: Na ja, man weiß ja, wo das herkommt, daher war ich nicht | |
sonderlich überrascht. Er sagte eben das, was schon Millionen Männer vor | |
ihm gesagt haben, die nicht mittendrin gewesen sein können. Jede Frau, die | |
die Mutterschaft erlebt hat, auch wenn sie wirklich glücklich dabei war, | |
weiß, dass es in den ersten Jahren die Hölle sein kann. Das muss man | |
wahrnehmen und aussprechen können. Zudem ist eine unangenehme Berührung des | |
Lesers auch eine Berührung und ein Zeichen, dass ein Text funktioniert. | |
Sie konfrontieren Ihre Figuren teilweise heftig mit der ungerechten | |
Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern. Gibt es Frauen, die sich von | |
Ihren Erzählungen angegriffen fühlen? | |
Definitiv. Ich habe das Gefühl, dass sich Menschen vor allem dann | |
angegriffen fühlen, wenn man ihren Lebensplan entlarvt. Wenn eine Frau sich | |
ihr Leben lang aufgeopfert hat für ihre Kinder, immer Abstriche gemacht hat | |
im eigenen Leben, dann werden die Kinder irgendwann ausziehen, sind total | |
undankbar, und sie ist plötzlich ganz allein. Sie hat keine beruflichen | |
Aussichten und einen sehr langen Tag, der irgendwie gefüllt werden muss. | |
Irgendwann kümmert sie sich um die Enkelkinder oder pflegt jemand Älteres. | |
Diese Frauen, die stets in einem dienenden Verhältnis sind, fühlen sich von | |
mir angegriffen, weil ich sie im Text noch einmal entwerte. Andere stimmen | |
mir aber auch zu. | |
Ist es denn nicht so, dass Sie Hausarbeit als demütigend beschreiben? | |
Nein, ich sage, dass der volkswirtschaftliche Wert von dem, was diese | |
Frauen leisten, sehr hoch ist. Aber solange nur Frauen die Haus- und | |
Erziehungsarbeit machen und solange wir in einem kapitalistischen System | |
leben, wird diese Arbeit nicht bezahlt und somit nicht bewertet. Es wird | |
einfach davon ausgegangen, dass die Frau diese Arbeit gerne gratis macht. | |
Eine der beiden Protagonistinnen in „Aberland“, die promovierende Biologin | |
Franziska, landet in der traditionellen Mutter- und Hausfrauenrolle, die | |
sie immer verachtet hat. Woran ist sie gescheitert? | |
Ich würde Franziska nicht unbedingt als gescheitert bezeichnen. Ich wollte | |
die Schaltstellen zeigen, an denen Frauen falsche Lebensentscheidungen | |
treffen können, und Franziska entscheidet sich eben an mehreren Stellen | |
nicht sehr intelligent. Zum Beispiel lässt sie sich von ihrem Partner zu | |
einem zweiten Kind überreden, obwohl sie nach dem ersten Kind schon genug | |
hatte. Die zweite Fehlentscheidung ist, dass sie nach dem Studium nicht | |
gleich arbeiten geht, sondern erst mal ganz gemütlich eine Dissertation | |
anfängt. Sie nimmt sich in ihrer Funktion als Geldverdienerin nicht ernst. | |
Ist die 50/50-Aufteilung der Kindererziehung wirklich so unrealistisch, wie | |
Sie es in „Aberland“ schildern? | |
Ich glaube einfach, dass die Bereitschaft, ernsthaft Geld zu verdienen, bei | |
Männern hundertprozentig ist und bei Frauen vielleicht fünfzig Prozent. Die | |
restlichen fünfzig Prozent sind Mama-Reserve. Das Bedürfnis, sich | |
fortzupflanzen, zieht sich durch alles: Frauen wollen schön sein, sie | |
wollen nicht träumen, keine Raketen steuern und nicht Geld verdienen | |
müssen. Eigentlich müsste der Fortpflanzungsprozess mit dem Arbeitsprozess | |
kompatibel sein. | |
Doch in Österreich ist es zum Beispiel sehr gängig, dass man mit einem | |
Brief vom Gynäkologen frühzeitig in den Mutterschutz geht. Der Freibrief | |
als Einstieg zum Ausstieg. Und wenn es dann so ist, dass einer in der | |
Familie von Anfang an dafür da war, um auszufallen – und das ist eben die | |
Frau –, dann zieht sich das so weiter: unbezahlte Arbeit Frauen, bezahlte | |
Arbeit Männer. Diese Aufteilung unterstützt der Staat extrem. Unser | |
Steuersystem, das Arbeitsrecht und unsere Gesellschaft sind darauf | |
aufgebaut. | |
Und was hilft dagegen? Wie befreit man sich aus diesen Rollen? | |
Die einzige Rettung ist meiner Meinung nach, die Männer mehr in die Pflicht | |
zu nehmen und sie aus ihrer Unersetzbarkeit als Ernährer zu befreien. Es | |
muss doch auch mal ein Mann sagen können: Ich muss den Klienten jetzt | |
fallen lassen, weil ich die Kinder abholen muss, meine Frau hat einen | |
Termin. Zudem müssen Frauen lernen, zu sagen: Es ist mir egal, ob das Haus | |
versifft ist, ob euch schmeckt, was ich koche, oder ob eure Kleidung | |
gebügelt ist. Das ist die große Lüge der bürgerlichen Existenz: dass man | |
denkt, es sei alles in Ordnung, wenn alles schön und glatt ist. | |
Was ist das für ein Land, das „Aberland“, von dem im Romantitel die Rede | |
ist? | |
Das „Aberland“ ist eine Metapher für diese ständige Beschneidung der | |
Möglichkeiten. Immer müssen die Frauen „aber“ sagen. Das ist eine Form, in | |
die man hineingeboren wird. Es ist einfach genetisch vorprogrammiert, das | |
wird vorgelebt, das wird vererbt und man kann dem kaum entkommen. Für mich | |
spricht leider vieles dafür, dass sich seit den 70er Jahren nicht | |
sonderlich viel geändert hat für die Frauen. Sie sind immer noch nicht in | |
den Aufsichtsräten, sind im Vermögen benachteiligt, sie machen immer noch | |
die ganze Drecksarbeit, werden immer noch Opfer von Gewalt. | |
Das klingt sehr traurig. Sie sind studierte Biologin, gleichzeitig | |
feministische Schriftstellerin und sprechen davon, dass Frauen unterdrückt | |
werden, weil das genetisch so vorprogrammiert sei. Ist das eine | |
Kapitulation vor der Biologie? | |
Nein. Das ist die kapitalistische Realität. Die Konsequenz daraus ist die | |
Notwendigkeit, gegen den Strom zu schwimmen. Und das ist eine tägliche | |
Angelegenheit, die in allen Generationen und auf allen Ebenen parallel | |
erfolgen muss. Es gibt grundsätzlich eine biologische Ungerechtigkeit, ja, | |
aber das ist nicht das ganze Problem. Ich habe zum Beispiel keine | |
biologischen Kinder, ich habe zwei Kinder adoptiert. Ich bin eine sehr | |
glückliche Mutter und liebe meine Buben. | |
Aber als Mutter sehe ich nun, wie die Gesellschaft alles dafür tut, damit | |
das Ganze so weitergeht wie bisher. Bei jeder Kleinigkeit sehe ich mich | |
strudeln, bei Kleidung, Fernsehen, Spielzeug, Essen, bei dem, wie die | |
Kinder sprechen. Man merkt richtig, dass die Kinder in der Umgebung, in der | |
sie aufwachsen, automatisch zu kleinen Machos werden – wenn man nicht | |
ständig dagegenhält. | |
Wie meinen Sie das, dass sie zu „kleinen Machos“ werden? | |
Es gibt diese eine Szene in „Aberland“, die ich aus meinem eigenen Alltag | |
kenne: Ein Dreijähriger schaut mich an und sagt: „Geschirrspüler einräumen, | |
das machen nur die Frauen.“ Da habe ich gedacht, offensichtlich hat mein | |
Kind so viel öfter Frauen gesehen, die das tun, dass es einfach glaubt, das | |
sei richtig. Wenn man neue Normen durchsetzen möchte, macht man sich | |
ständig unsympathisch. Den Kindern gegenüber, dem Ehemann, der Lehrerin, | |
den Schwiegereltern … Das ist ein sehr steiler Weg. Ich kann verstehen, | |
dass viele Frauen das nicht wollen, aber eigentlich ist es unverzeihlich. | |
Aber den traditionellen Weg zu gehen, als Mutter und Hausfrau, ist auch | |
kein leichtes Unterfangen. | |
Nein, gar nicht. Als wir unser erstes Kind bekommen haben, war mein Mann | |
viel im Ausland. Das war ein Albtraum für mich, ganz allein für das Kind | |
zuständig zu sein. Ich habe mir immerzu gesagt: Das ist keine Hexerei, das | |
machen Milliarden von Frauen. Aber es stimmt nicht. Es ist Hexerei, zehnmal | |
in der Nacht aufzustehen und am nächsten Tag noch zu funktionieren. Einem | |
Kind eine angeschissene Windel zu wechseln, dabei getreten zu werden und | |
das nicht persönlich zu nehmen. | |
Die andere Protagonistin, Elisabeth, ist deutlich älter als Sie. Sie | |
beschreiben aber sehr eindrücklich ihre Gedanken, ihr Körpergefühl, ihre | |
Sexualität. Wie fühlen Sie sich in so jemanden hinein? | |
Erstens sind es Beobachtungen am eigenen Körper, die man einfach | |
weiterdenkt. Zum Beispiel diese zunehmende Abwertung des Körpers mit | |
steigendem Alter, das kann man sich mit 40 plötzlich sehr gut vorstellen, | |
also besser als mit 30. Und zweitens habe ich sehr viel auf dieser | |
Nacktbadeterrasse gelegen, die im Roman vorkommt. Das war unglaublich dort, | |
ich fand so viel Material, allein diese Gespräche, die die Frauen dort | |
führen. Ich bin danach sofort nach Hause und habe angefangen zu schreiben. | |
Das habe ich dann einfach ein paar Tage wiederholt, und danach war ich | |
schon satt für ein Buch. | |
Sie werden oft mit österreichischen AutorInnen wie Thomas Bernhard, Marlene | |
Haushofer und Marlene Streeruwitz verglichen. Ist das die Tradition, in der | |
Sie sich selbst auch sehen? | |
Ja, und ich glaube, das hat etwas mit dem Beleidigtsein zu tun. Der | |
Österreicher an sich ist gern gekränkt und fühlt sich benachteiligt. | |
Österreich-Ungarn war riesig, und jetzt haben wir dieses kleine, | |
bedeutungslose Bergland mit NS-Vergangenheit, das nie eine Revolution | |
hatte. Nichts ist richtig aufgearbeitet worden, und das schlägt sich | |
natürlich in der Sprache und Literatur auch nieder. | |
Dazu kommt, dass der österreichische Buchmarkt ein geförderter Markt ist. | |
Es kann mehr experimentiert werden als etwa in Deutschland, wo alles gut | |
verkauft werden muss. Das ist natürlich schön, denn der Österreicher kotzt | |
sich gerne aus. Ja, ich denke, in Österreich kommt dir einfach schneller | |
die Galle hoch als in Deutschland. | |
29 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Fatma Aydemir | |
Margarete Stokowski | |
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