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# taz.de -- Ausstellung über Kulturgeschichte des Fahrrads: Fortschritt im Sat…
> Das Fahrrad war nie bloß Vehikel. Es brachte Emanzipation und
> Arbeiterbewegung voran und diente Künstlern der Moderne als Objekt der
> Auseinandersetzung.
Bild: Bühne frei fürs Rad: "Lars" im Projekt "wearetraffic.de"
HAMBURG taz | Jetzt trage ich schon keinen bodenlangen, klobigen Rock. Aufs
Hochrad traue ich mich trotzdem nicht. Wahrscheinlich bin ich einfach zu
feige. „Nutzung auf eigene Gefahr“ steht da nämlich – wir sind in der
„Fahrrad“-Ausstellung im Hamburger Museum der Arbeit –, und der Aufstieg
scheint beschwerlich wie das Erklimmen eines Elefanten. Eine andere
Besucherin schwingt sich allerdings beherzt nach oben und blitzt von dort
triumphierend in die Kamera.
## Jede Fahrt ein Abenteuer
Das ausgestellte Hochrad von 1887, eine Weiterentwicklung von Karl Drais’
„Laufmaschine“ von 1813, taugt aber nicht nur zur Mutprobe. Es steht auch
für eine frühe Phase, als das Fahrrad dem Benutzer akrobatische Fähigkeiten
abforderte: Die Pedale drehten sich stets mit, weil der Freilauf noch nicht
erfunden war. Auch liegt der Schwerpunkt weit oben und weit vorn: Stürze
drohten, beim Auf- und beim Abstieg und irgendwann zwischendurch. Zumal
angesichts der kopfsteinpflasterholprigen oder durch Pferdefuhrwerke
zerwühlten Wege jener Zeit.
Eine Zeit, in der Gesetze das Rollen von „Fässern, Rädern und dergleichen
Gegenständen“ auf öffentlicher Straße nicht gestatteten. Das lockerte sich,
als das „Niederrad“ erfunden war und ab 1890 auch für Frauen angeboten
wurde. Die Auf- und Absteigeprobleme blieben, sodass Radlerinnen auf
„geteilte Beinkleidröcke“ und Pumphosen zurückgriffen, um nicht ständig
Röcke aus dem Zahnrad zwirbeln zu müssen.
All den zeitgenössischen Stereotypen vom beschützenswerten Frauchen, das am
Herd am besten aufgehoben sei, standen die frühen Radlerinnen diametral
entgegen. Entsprechend unbeliebt waren Frauen auf Fahrrädern bei ihrer
konservativen Umwelt – und das bei Männern und Frauen gleichermaßen; von
Steinwürfen und sogar Peitschenhieben ist die Rede. Und das, obwohl die
meisten Frauen ja immer brav zurückkehrten – an den Herd.
## Das Gefährt der Arbeiterklasse
„Eine ebenso grosse und stets wachsende Popularität geniesst das Fahrrad in
allen Schichten der Bevölkerung“, schrieb 1887 Adam Opel, dessen Fabriken
zunächst, neben Nähmaschinen, auch und gerade Fahrräder produzierten. „Das
Vergnügen des Radfahrens ist keinem Alter und Stand verschlossen.“
Gleichwohl blickte in den 1880er-Jahren der deutsche Adel zumeist herab auf
das neumodische Vehikel, die Arbeiterschaft konnte es sich noch nicht
leisten. Blieb also das Bürgertum: Seine Frauen entflohen der Aufsicht
durch Gatten und Familie zum Picknick im Grünen und stellten so das
Geschlechtergefüge infrage.
Die wahre Politisierung – auch: der Aufstieg – des Radelns geschah dann
parallel zum wachsenden Wohlstand der Arbeiter. „Die ersten
Arbeiter-Radfahrer-Vereine gründeten sich in den 1890er Jahren“, heißt es
im Hamburger Ausstellungskatalog. Und diese Vereine verlangten, dass ihre
Mitglieder zugleich auch der Gewerkschaft oder der Sozialdemokratie
angehörten. Fortan radelten die Menschen übers Land, um etwa Flugblätter
und Pamphlete zu verteilen – und entzogen sich durch ihr Tempo und ihre
Zahl der Kontrolle. Umso mehr interessierte sich beispielsweise die
Hamburger Polizei für die Vereine und ihre Aktivitäten.
Die Pflicht zur Parteimitgliedschaft verschwand später aus den
Vereinsstatuten. Aber umso mehr wurde das Rad zum Vehikel des kleinen
Mannes. Kaum hatten nämlich die Arbeiter das Rad erobert, flaute die
Begeisterung des um sein Privileg gebrachten Bürgertums ab: Mit Massen, für
die das Rad kein Luxus, sondern schnöder Gebrauchsgegenstand war, wollte
man kein gemeinsames Hobby haben.
## Und dann kam das Auto
Um 1935 sah sich die Hamburger Hochbahn genötigt, auf die
Fortbewegungs-Konkurrenz zu reagieren – durch polemische Werbung fürs
teurere, aber sicherere Bahnfahren. Nicht viel später war das Rad im
kriegszerstörten Deutschen Reich vielfach das einzige noch funktionierende
Fortbewegungsmittel. Gab es in den 1930er-Jahren in Hamburg Schätzungen
zufolge 200.000 Fahrräder und mehr als 300 Kilometer Radwegenetz,
dominierte es noch bis in die 1950er-Jahre hinein das Straßenbild.
Echte, nachhaltige Konkurrenz erwuchs dem „Drahtesel“ dann aus dem
Wohlstand der Wiederaufbaujahre: Jetzt wurde das Auto Statussymbol, Städte
wurden geschwindigkeits- und autogerecht geplant und gebaut. Ähnliches
passiert derzeit in den klassischen Fahrradländern Indien und China. Im
Westen werden derweil Radwege ausgebaut und Leihfahrradsysteme entwickelt.
Als Vehikel eines ganz persönlichen, allein durch Körperkraft zu
erreichenden Geschwindigkeitsrauschs verewigte der futuristische Künstler
Umberto Boccioni das Fahrrad auf seinen Bildern. Der Expressionist Lyonel
Feininger wiederum malte ein Prisma aus Radlern, das zugleich für die
moderne Großstadtmassengesellschaft stand.
## Moderner Fetisch
Marcel Duchamps „Fahrrad-Rad“ wurde 1913 zur ersten beweglichen Skulptur
der Moderne: ein auf einen Hocker montiertes Fahrrad-Vorderrad. Und Pablo
Picasso entwickelte 1924 Fahrradlenker und -sattel zu einer
„Stierkopf“-Skulptur weiter. Sie wirkt wie ein frühgeschichtlicher Fetisch
aus höchst modernem Material.
Auch Anfang und Ende der Hamburger Ausstellung markiert ein starkes Symbol
– und zugleich ein Experiment mit den Kategorien der Wahrnehmung: Ein von
Goldpapier überzogener Porsche steht da in einer eigenen Nische,
präsentiert wie auf einer Automesse. Als der österreichische Künstler
Hannes Langeder damit durch Wien fuhr, hatte er vielerlei Begegnungen: mit
dem Fahrer des Audi 80, der mit Triumphgeheul überholte. Und mit dem
Fußgänger, der sich über das fehlende Nummernschild an Hannes Langeders
Fahrzeug ereiferte.
## Unter der Haube: Pedale und Kette
Und dann das Erstaunen, als der „Porsche“, als die Ampel „Grün“ zeigte,
lahm und leise seiner Wege fuhr – ein Liegerad nämlich steckt unter der
Sportwagen-Karosserie, und der Fahrer tritt nicht aufs Gas, sondern in die
Pedale. Der Sportwagen, Hassobjekt ja gerade unter Fahrradfahrenden,
entpuppt sich als harmlos-humorvolle Ökofreak-Idee: Was für ein schöner
Traum.
## „Das Fahrrad. Kultur | Technik | Mobilität“: bis 1. März 2015, Hamburg,
Museum der Arbeit
7 Jul 2014
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Fahrrad
Kulturgeschichte
Emanzipation
Arbeiterbewegung
Ausstellung
Hamburg
ADAC
Fahrrad
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