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# taz.de -- Mit dem Fahrrad in Bangladesch: Durch Dhaka rollt eine Revolution
> Junge Leute bringen das Fahrrad zurück auf die Straßen Bangladeschs. Es
> hat sein Image als Verkehrsmittel der armen Leute verloren.
Bild: Zum Nationalfeiertag des Landes radelten 4.500 Radfahrerinnen und Radfahr…
Verkehrschaos ist ein Wort, das wir in Europa für einen Zustand verwenden,
der nicht annähernd beschreibt, was auf den Straßen von Dhaka los ist. Als
Teilnehmer einer Radtour durch die Hauptstadt Bangladeschs erleben wir den
Infarkt.
Dreirädrige Motorradtaxis stehen eingeklemmt zwischen heillos überfüllten
Bussen. Von allen Seiten versuchen sich Autos zentimeterweise in die Mirpur
Road, eine der Hauptverkehrsstraßen Dhakas, einzufädeln. Rostige Lastwagen
drängen Rikschafahrer aus dem Weg, deren Insassen den Stillstand stoisch
ertragen. Dazwischen laufen Fußgänger.
Mitten im Tumult steht ein wild mit den Armen rudernder Polizist auf
verlorenem Posten. „Jetzt weißt du, warum wir Radfahrer sind“, ruft Mahmud.
„Mit dem Fahrrad sind wir frei – und einfach schneller.“ Früher mit dem …
habe er über eine Stunde für die wenigen Kilometer von zu Hause ins Büro
gebraucht. Mit dem Rad fahre er die Strecke in zwanzig Minuten.
Die Leute sind es leid. Sie sind jung, gut ausgebildet und haben entdeckt,
dass sie etwas verändern können: Als Mitglieder der Gruppe BDCyclists
wollen sie das Radfahren in Dhaka populär machen. Vor drei Jahren im
sozialen Netzwerk Facebook gegründet, hat die Gruppe landesweit
mittlerweile mehr als 35.000 Mitglieder – mit vielen kleinen Untergruppen.
Die Bangladeshi Cyclists, wie sie sich nennen, sind als Pioniere
unglaublich aktiv.
„Wir fahren unsere täglichen Wege mit dem Fahrrad und veranstalten
monatlich ’critical mass'-Touren“, sagt Fuad. Der 30-jährige Familienvater
und Grafiker einer Softwarefirma moderiert die Gruppe und erzählt, dass
regelmäßig mehrere Hundert Fahrradbegeisterte an den Touren teilnehmen.
Daneben organisieren die BDCyclists gemeinsame Fahrten, bieten Kurse und
Training für Anfänger an, unternehmen Nachtfahrten und am Wochenende
Radausflüge ins Umland der 15-Millionen-Einwohner-Megastadt.
Die britische Wochenzeitschrift The Economist hatte Dhaka zuletzt den Titel
„Unwohnlichste Stadt der Welt“ verliehen – nicht nur wegen der
eingestürzten Textilfabriken, auch der Verkehr stand am Pranger. Das soll
sich ändern.
Ridwan, ein Bauingenieur, und sein Freund Arif, der einen Fahrradladen in
der Altstadt betreibt, haben für uns die Feierabendtour „Welcome to
Bangladesh“ ins Leben gerufen und online gestellt. Mehr als 25 Angehörige
der Facebook-Gruppe Mohammadpur Cyclists sind dem Aufruf spontan gefolgt
und erscheinen um 19 Uhr zum Treffpunkt British Council. Alle sind zwischen
20 und 35 Jahren alt: Mahmud kommt im Anzug direkt vom Job aus der Bank.
Shafaiyat leitet eine Internetfirma und ist Fotograf. Abdullah arbeitet
beim Film, Shariar ist Journalist, Omar hat Architektur studiert und Sohel
stellt sich als Bike Doctor vor. Rahul hat gerade sein Pharmaziestudium
beendet.
Sie freuen sich, dass auch eine Frau dabei ist: die Kunststudentin Bithi.
In der muslimisch geprägten Gesellschaft Bangladeschs hat das Fahrradfieber
die Mädchen noch nicht so stark ergriffen wie die jungen Männer.
## Holprige Schwellen
Start ist im vergleichsweise ruhigen Universitätsviertel. Nur wenige Autos
dürfen durch die von Bäumen gesäumten Straßen fahren. Rikschas dominieren,
die meisten Studenten sind zu Fuß unterwegs. Die Gruppe fährt zügig und ist
gut eingespielt. Vorsicht, „breaker“, rufen sie sich zu, wenn alle paar
Hundert Meter eine kantige Schwelle im Boden das Tempo unsanft drosselt.
Dass alle Mountainbikes fahren, obwohl die Stadt nur wenige Meter über dem
Meeresspiegel liegt, verstehen wir nach wenigen Metern. „Das hier ist
offroad“, sagt Bithi und lacht, „wir müssen über Sand, durch Schlaglöche…
geflickten Asphalt und über Stufen fahren können.“
In der Mirpur Road schlägt uns das Getöse aus Hupen, Klingeln, Kreischen
entgegen. Von den Gerüsten der gigantischen Baustellen entlang der
Nord-Süd-Achse der Stadt, wo Häuserblöcke in die Höhe wachsen, mischt sich
Hämmern und Bohren in den Verkehrslärm. Es ist heiß, staubig und riecht
nach brennendem Müll. Gesund kann das hier nicht sein.
„Natürlich inhalieren wir Radfahrer den ganzen Dreck“, sagt Ali, der schon
alle Provinzen Bangladeschs mit dem Fahrrad erkundet hat, „der Ruß der
Laster findet auch die, die im Bus sitzen“, sagt er. „Jeder, der Fahrrad
fährt, trägt dazu bei, dass es besser wird.“
## Radwege gibts keine
Wir schlängeln uns, wo es geht, am Stau vorbei. Das ist nicht ungefährlich,
auch wenn die motorisierten Fahrzeuge sich nur im Schritttempo vorwärts
bewegen. Radwege gibt es natürlich keine. Wo es zu eng wird, springen wir
ab, schultern das Bike und laufen ein Stück oberhalb der Bordsteinkante auf
unebenem Terrain zwischen Fußgängern und abgestelltem Unrat.
Dhaka ist eine der am schnellsten wachsenden Metropolen der Welt. 15
Millionen Einwohner leben auf engstem Raum und täglich, heißt es, kommen
etwa 1.400 Menschen dazu. Sie verlassen ihre Dörfer und siedeln irgendwo in
der Stadt, weil sich Fabriken und Arbeitsplätze des Landes in der
Hauptstadt konzentrieren. Im nächsten Jahrzehnt könnte die Bevölkerung der
Megacity auf 20 Millionen angewachsen sein.
„Wir wollen der autobesitzenden Klasse die Stadt nicht überlassen“, heißt
es auf der Homepage der BDCyclists. Und: „Wir zeigen den Menschen, dass das
Fahrrad für ihre tägliche Mobilität völlig ausreicht.“ „Gäbe es vernü…
Wege, wäre das Rad für den größten Teil der Bevölkerung ein perfektes und
preiswertes Verkehrsmittel“, sagt Fuad als Repräsentant der jungen
Radbewegung. Mit dem Verkehrsminister sei man mittlerweile im Gespräch.
„Wir fordern eigene Wege für Radfahrer“, sagt er.
## Kostenlose Radfahrkurse
Die BDCyclists haben begonnen, Informationsnachmittage für Näherinnen in
Textilfabriken zu veranstalten. „Neulich hat ein Lebensmittelhersteller
eine Mahlzeit finanziert und wir konnten Fahrräder zeigen, ihre vielen
Vorteile aufzählen und haben Probefahrten angeboten“, erzählt
Fahrradhändler Arif. Einige der Frauen hätten sich für einen kostenlosen
Radfahrkurs angemeldet – denn der Unterricht ist, wie alles, was die
BDCyclists organisieren, ehrenamtlich.
„Das Image des Fahrrads als Verkehrsmittel der armen Leute haben wir hinter
uns gelassen“, sagt Fuad. Im Gegenteil: Es sind vergleichsweise gut
situierte junge Menschen, die den neuen Trend bestimmen. Durch ihre Präsenz
auf den Straßen zeigen sie stolz, wie wichtig ihnen die neu entdeckte
Mobilität ist.
Auch einige Arbeitgeber haben es begriffen. Erste Firmen, Banken und
Telekommunikationsbetriebe haben begonnen, Fahrradparkplätze einzurichten“,
sagt Mahmud. „Es ist eine gute Werbung, wenn meine Kollegen mich mit dem
Rad sehen. Einige habe ich schon angesteckt und sie folgen meinem
Beispiel“, sagt der junge Bankmanager, dessen Chef ihm erlaubt, sein
High-Tech-Rad neben dem Schreibtisch abzustellen.
## Ein neues Freizeitvergnügen
Für Ridwan und Arid, die Initiatoren der heutigen Radtour, ist die
Gemeinschaft untereinander das Wichtigste. Auf Facebook laden sie sich zu
Touren ein, geben Tipps, diskutieren Ziele. „Ich bin ein glücklicher
Mensch, seit ich das Fahrradfahren entdeckt habe. Es hat mein Leben
verändert“, sagt der junge Bauingenieur und strahlt übers ganze Gesicht.
„In unserer Gesellschaft gibt es wenig Freizeitaktivitäten als Ausgleich
zur Arbeit. Am Wochenende hingen wir oft rum, jetzt fahren wir Fahrrad“,
erzählt er.
Das letzte Stück unserer Tour kommen wir auf Nebenstraßen im Stadtteil
Kulnampur flott voran. Rikschakolonnen und Massen an Fußgängern, die von
den Bushaltestellen oder direkt aus den Fabriken kilometerweit nach Hause
laufen. Dazwischen hupen sich Autobesitzer den Weg frei. „Wir werden aus
Dhaka eine Fahrradstadt machen“, sagt Fuad, „und diesem Ziel kommen wir
näher.“
Am Anfang seien Radfahrer belacht worden, „jetzt sind wir 35.000 und werden
langsam ernst genommen. Wenn wir 500.000 sind, fallen wir auf. Dann kommt
die Politik nicht mehr an uns vorbei“, sagt er. Zum Nationalfeiertag Mitte
Dezember radelten 4.500 Radfahrerinnen und Radfahrer in den Nationalfarben
durch die Stadt. Auch am Unabhängigkeitstag im März fuhren sie in einem
kilometerlangen Verband und zeigten, wie viele sie schon sind und wie viel
Spaß Radfahren macht. So geht Werbung für den Wandel.
30 Jul 2014
## AUTOREN
Uta Linnert
## TAGS
Fahrrad
Bangladesch
Dhaka
Textilindustrie
Mobilität
Fahrrad
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