# taz.de -- Mythos Fahrradstadt Oldenburg: Schlechter als sein Ruf | |
> Von Oldenburg heißt es, es sei fahrradfreundlich. Das ist ein Gerücht. | |
> Die Stadt profitiert bloß davon, dass das Radfahren dort einfach nahe | |
> liegt. | |
Bild: Nicht so doll wie alle denken: Radeln in Oldenburg - hier auf der Cäcili… | |
OLDENBURG taz | Begeben wir uns für einen Moment gedanklich in die Alpen; | |
an einen Ort, der sich unterhalb eines Gebirgsmassivs erstreckt. Würde | |
jemand – etwa ein Wanderverein – erfragen wollen, wie denn dort so das | |
Klima für Wanderer sei, wie würde dieser Ort wohl abschneiden? | |
Wahrscheinlich ziemlich gut, und er müsste sich nicht einmal besonders | |
anstrengen. | |
Es ist ja alles da: Berge zum Erklimmen, Wege nach oben, Almen zum Rasten | |
und auch sonst eine gute Infrastruktur. Wanderausrüstungsläden und so | |
etwas. Befragte man vor allem die Einheimischen dort in den Bergen, würden | |
die auch sagen: sehr wanderfreundlich alles hier. Ist ja klar: Die kennen | |
das auch nicht anders, von klein auf geht’s die Berge rauf. | |
So. Und nun nach Oldenburg. Erstaunlich, dass die Stadt hinter Bremen bei | |
Befragungen nach der Fahrradfreundlichkeit stets gut abschneidet? Nein, gar | |
nicht. Es ist ja alles da: keine Berge, viele Räder, Wege, Fahrradständer, | |
Fahrradläden. Die Stadt kann gar nicht anders, als fahrradfreundlich zu | |
sein. | |
Das soll jetzt keine Miesmacherei sein, wirklich nicht. Aber es gibt nun | |
einmal vor allem topografische Gründe dafür, dass es sich in Oldenburg so | |
leicht Rad fahren lässt. Macht jeder, weil’s so bequem ist. Ist nichts | |
Besonderes – und paart sich dann auch mit jenem merkwürdigen Lokalstolz, | |
der den Oldenburgern zu eigen ist. | |
Werden sie über ihre Stadt befragt, verteilen sie gute Noten. Wie damals, | |
Ende der 70er, als die Bunte Deutschlands beliebteste Stadt suchte und sich | |
die Oldenburger nach ganz vorn wählten. Auch deshalb: keine Überraschung, | |
dass die Stadt beim Fahrradklima-Test 2013 des ADFC hinter Erlangen auf | |
Platz zwei kam. | |
Das auf topografischen und soziokulturellen Gründen basierende positive | |
Ergebnis ist plakativ und verdeckt den Blick darauf, dass Oldenburg noch | |
viel radfahrfreundlicher sein, der motorisierte Individualverkehr noch | |
weiter zurückgedrängt werden könnte, wenn das das Ziel ist. | |
In Oldenburgs Fußgängerzone etwa wird tyrannisiert, wer es auch nur wagt, | |
ein paar Meter auf dem Rad zu fahren oder – stehend auf der Pedale – zu | |
rollen. Dabei entpuppt sich die mittelalterliche Kernstadt innerhalb des | |
Wallrings oft als Hindernis auf dem Weg von der einen auf die andere Seite. | |
Andere Städte sind da weiter; Bonn oder Mainz etwa haben größere Teile der | |
Fußgängerzone für Radler freigegeben. Damit, wie es in der | |
rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt heißt, sie „nicht auf stark | |
befahrene Straßen ausweichen müssen“. Der Oldenburger denkt – obwohl ja | |
geborener Radfahrer – noch in verkehrspolitischen Grundsätzen aus grauer | |
Vorzeit. Hier Räume nur für Fußgänger, dort für Autos, da für Räder. | |
Dementsprechend glich es einem revolutionären Akt, als die Stadtverwaltung | |
neulich entlang einer der wichtigsten und radfahrerreichsten | |
innerstädtischen Zubringerstraßen die Radwegbenutzungspflicht aufhob. | |
Anstatt diese neue Freiheit zu genießen, setzen sich viele Radfahrer auch | |
weiterhin dem bei Regen rutschigen Klinkerbelag an der Auguststraße, dem eh | |
viel zu engen Weg und der an jeder Einmündung lauernden Gefahr aus, von | |
Autofahrern übersehen zu werden. Passiert ja Radfahrern auf der Straße | |
seltener. | |
Warum so zögerlich? Weil Oldenburger Radfahrer eben auch wissen, dass | |
Oldenburger Autofahrer sie dort auf der Straße nicht haben wollen. So wie | |
die schizophrene CDU-Führungsriege, deren Mitglieder zwar auf | |
Kommunalwahlplakaten allesamt mit ihrem Rad posierten, sich aber eines | |
frühen Morgens an eben jene Straße stellten, um per Zählung nachzuweisen, | |
dass die neue Regelung nicht angenommen werde und deshalb zurückgenommen | |
werden müsse. Radler sollten also wieder rauf auf den Radweg, runter von | |
der Straße. | |
Genau eine Fahrradstraße gibt es in der Stadt, also eine Straße, auf der | |
Radfahrer die Herrschaft haben im Individualverkehr. In Münster sind es | |
elf. Oldenburg prahlt trotzdem mit seiner einen. Als seien einige längst | |
verwaschene blaue Markierungen auf dem Asphalt Ausweis ihres Engagements – | |
dabei wird die Straße weder von Radlern, noch von Autofahrern als | |
Fahrradstraße erkannt und so auch kaum als solche genutzt. Mehr als | |
symbolisch ist sie nicht zu verstehen; ein Werbegag für Broschüren und die | |
städtische Webpräsenz. | |
Dort wirbt die Stadt außerdem mit Bildern von tollen neuen Fahrradständern | |
und frisch gepflasterten Radwegen, etwa entlang der Cloppenburger Straße. | |
Schön – aber wie auf fast allen dieser Wege wurden die Steine quer zur | |
Fahrtrichtung verlegt. Und – das mag jetzt pingelig und kleinkariert | |
klingen, ist es aber nicht, man muss es nur mal ausprobieren – das erhöht | |
den Widerstand beim Radfahren. Liegen Steine längs zu den Laufrädern, | |
gleitet es sich nur so dahin. | |
Ach, es ist nicht alles schlecht. Gute Reparaturwerkstätten zuhauf, man | |
rollt auf dem Rad schnell ins Grüne, manchmal gibt der Wind Schwung von | |
hinten. Und die Frau, die einst den Wallring entlangzog und falsch | |
fahrenden Radlern eins mit einem Regenschirm überbriet, sie dürfte längst | |
verschieden sein. | |
6 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Felix Zimmermann | |
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