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# taz.de -- Investigative Journalisten: Die Spürnasen
> Correctiv, Krautreporter und eine Stiftung für „Vielfalt und
> Partizipation“: Retten diese Projekte den Qualitätsjournalismus in
> Deutschland?
Bild: Investigative Recherchen für die Gesellschaft.
David Schraven und Jonathan Sachse sind mit einer Gabe gesegnet, die
Kreative schon immer beflügelt hat: Größenwahn. Die beiden Journalisten
sitzen in einem Ostberliner Plattenbau und planen die Revolution im
deutschen Journalismus: Sie wollen, dass die Masse ihnen bei der
Investigation hilft. Ihr erstes Ziel sind Einrichtungen, die das Geld von
Millionen Bürgern verwalten. Schraven und Sachse wollen sich die Sparkassen
vornehmen. Genauer gesagt: alle 417 Sparkassen.
„Unsere Idee ist es, Bürger und Aktivisten zu freien Journalisten zu
machen, damit sie ihre Sparkasse durchleuchten“, sagt Schraven. Er hat
jahrelang die Investigativ-Einheit der heutigen Funke Mediengruppe
(Westdeutsche Allgemeine Zeitung) geleitet. Nun baut er Correctiv auf. Das
Büro ist gemeinnützig, wird von der Essener Brost-Stiftung mit 3 Millionen
Euro angeschoben und will die zunehmend taumelnde hiesige Medienbranche mit
besonders aufwendigen Recherchen beschenken.
Die Correctiv-Strategie ist einmalig. Zwar haben Medien immer mal wieder
ihre Leser eingebunden: Die Zeit hat sich jüngst die Zinssätze nennen
lassen, die Banken von ihren Kunden berechnen, wenn die ihr Konto überzogen
haben. Das neue Investigativ-Büro Correctiv will mehr: Seine Unterstützer
sollen selbst bei Banken als Rechercheure auftreten.
Zuständig für das Großprojekt ist Sachse, der im Netz mit dem Slogan
„Leidenschaft, Transparenz, Öffentlichkeit“ für sich wirbt und zuletzt die
skandalgeplagte „Tour de France“ besonders intensiv begleitet hat. Nun ist
er einer der festen Mitarbeiter von Correctiv. Sachse soll es schaffen,
möglichst an allen Standorten deutscher Sparkassen Mitstreiter zu gewinnen.
Er muss Hunderte auftreiben.
## „Das große Bild zeichnen“
„Sparkassen sind wie die Deutsche Telekom“, sagt Sachse. „Viele sind dabe…
obwohl sie sich über vieles ärgern.“ Er selbst habe etwa nie den Sinn von
Kontoführungsgebühren verstanden – hohe Monatsbeiträge, obwohl viele
Konkurrenten ihren Kunden kostenlos Konten zur Verfügung stellen. Und
natürlich wollen sich Sachse und Co. ansehen, was die Banken mit dem Geld
der Leute anstellen, ob einige riskant spekulieren, und wie gut es sich die
Mitarbeiter gehen lassen, vor allem die Chefs. All das soll in eine
gigantische Übersicht münden, die am Ende aufwendig visualisiert wird.
Hunderte Mitarbeiter, die keiner wirklich kennt – das klingt nach einem
wahnsinnigen Manöver. Wer sich mit Schraven und Sachse unterhält, bekommt
allerdings eine Ahnung davon, dass sich die beiden ihre Sache gründlich
überlegt haben.
„Wir wollen uns nicht von einem Skandal zum nächsten hangeln“, sagt Sachse.
„Wir wollen das große Bild zeichnen.“ Dafür bilde Correctiv den
„redaktionellen Körper“ für eines der größten Rechercheprojekte in der
deutschen Geschichte.
Wer mitmachen will, soll erst gecheckt werden und dann eine Schulung
erfahren. „Du musst denen ja nicht gleich den ganzen Journalismus
erklären“, sagt Schraven. „Es reicht ja, wenn wir ihnen erst mal
beibringen, worauf es in unserem Projekt ankommt, welche Rechte und
Pflichten ein Journalist in Deutschland hat und wie man hartnäckig
auftritt, ohne dabei einen schlechten Eindruck zu hinterlassen.“
## Werbung und Sponsoring sind tabu
Am Ende will Correctiv ein System schaffen, bei dem „alle gegenseitig das
gewonnene Material checken“. Damit wollen die Macher den Aufwand für die
wenigen festen Mitarbeiter – bis zu 20 sollen es bei Correctiv bald sein –
möglichst klein halten. Genug Schreibtische für die Verstärkung haben sie
schon mal aufgebaut. Die fest angestellten Journalisten binden die Fälle
dann zusammen, suchen sich die spannendsten heraus und gehen denen noch mal
richtig nach. Schraven will – wenn es sein muss – auch klagen, um
Informationen aus den Aktenschränken zu befreien.
Unterdessen bereitet sich – ebenfalls in Berlin – ein weiteres Projekt auf
seinen Start vor: das Onlinemagazin Krautreporter, das entsteht, weil sich
im Vorfeld mehr als 15.000 Leser bereit erklärt haben, ein Jahresabonnement
zu lösen. Bald sind eine Million Euro zusammengekommen, die nun in ein
Produkt münden sollen.
Eine Million Euro, das klingt nach viel Geld – ist es aber nicht: Die
Journalisten müssen erst einmal die Mehrwertsteuer abziehen. Außerdem will
Krautreporter seine Autoren vernünftig bezahlen, muss sich ein eigenes
Redaktionssystem anschaffen, ein eigenes Layout und multimediale
Produktionen finanzieren. Gleichzeitig versprechen die „Krautis“, wie sie
von ihren Fans liebevoll genannt werden, die bestmögliche Unabhängigkeit:
Sie wollen nur ihren Lesern verpflichtet sein. Werbung und Sponsoring sind
tabu.
Die Krautreporter lehnen Interviewanfragen seit Wochen konsequent ab. Sie
wollen nach einer misslungenen Imagekampagne diesmal erst liefern, dann
reden. Das macht sie sympathisch, andererseits bleibt so aber auch vieles
im Vagen. Klar ist allein ihr Versprechen: vier Geschichten pro Tag, die es
so sonst im Netz nicht gibt. Außerdem haben die „Krautis“ erst mal zwei
Mitarbeiterinnen eingestellt, um den Kontakt zu den Fans zu halten.
## Mitarbeiter mit Werkvertrag
Im Ungefähren bleibt erst einmal auch ein anderes Projekt, das die Qualität
im Journalismus stützen will. Der nordrhein-westfälische Landtag hat Ende
Juli den Weg für eine Landesstiftung „Vielfalt und Partizipation“ frei
gemacht. Die neue Stiftung wird an die Landesmedienanstalt (LfM)
angeschlossen sein und soll vom Herbst an vor allem dem angeschlagenen
Lokaljournalismus unter die Arme greifen. „Eine solche Stiftung, die mit
1,6 Millionen Euro im Jahr ausgestattet ist, kann natürlich nicht den
lokalen Journalismus retten“, erklärt Werner Schwaderlapp, der Vorsitzender
der LfM-Medienkommission. „Aber sie kann einiges tun, damit vielleicht die
Entwicklung des Lokal- und des Regionaljournalismus im digitalen Zeitalter
gefördert wird.“
Klar sei bisher nur, was die NRW-Stiftung nicht tun werde: „keinen
Journalismus selbst veranstalten“. Denkbar sei, Apps für mobile Geräte mit
zu entwickeln, mit denen Redaktionen ihren lokalen Journalismus zeitgemäß
unter die Leute bringen könnten. Auch die Förderung neuer Onlineportale sei
möglich. Was genau kommt, soll eine Auftaktveranstaltung klären. Die LfM
plant sie für Oktober.
Das Investigativbüro Correctiv wird also von diesen drei neuen Projekten
den Anfang machen. David Schraven hat gerade vier weitere Mitarbeiter
verpflichtet – zunächst per Werkvertrag. Auch sie sollen dabei helfen, das
Mitarbeiternetz für die Sparkassen-Recherche aufzubauen. Dabei könnten
sich, sagt Schraven, durchaus auch etablierte Kollegen beteiligen. Er denke
dabei nicht zuletzt an Lokaljournalisten, die so nicht nur ihre eigene
Geschichte hätten, sondern gleichzeitig das große Bild. Genauso gut könnte
Correctiv aber auch mit lokalen Bloggern zusammenarbeiten: „Hauptsache, wir
haben überall eigene, engagierte Leute.“
Hunderte Rechercheure für mehr Transparenz in Deutschland. „Natürlich kann
das nach hinten losgehen“, sagt Schraven. „Oder aber es klappt. Und dann
knacken wir mit unserem neuen System jede große Geschichte.“
2 Aug 2014
## AUTOREN
Daniel Bouhs
## TAGS
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