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# taz.de -- Roma in Duisburg geräumt: Unbekannt verzogen
> Die Stadt Duisburg hat das sogenannte Roma-Haus in den Peschen 5 für
> unbewohnbar erklärt. Die letzten Mieter mussten nun ausziehen. Ihre
> Zukunft ist unklar.
Bild: Das Haus In den Peschen 5 in Duisburg-Rheinhausen bot zeitweise mehr als …
DUISBURG taz | Wie er mit seinen vollen, noch braunen Locken auf seinem
Rollator hockt, sieht er aus wie ein Reinhold Messner, dem die
Achttausender die Knochen morsch gemacht haben. Erklommen aber hat Horst
Wilhelm B. – „das ist auch ein polnischer Name, nicht nur ein türkischer�…
nur die Treppen im Haus gegenüber. Im fünften Stock hat er dort gelebt, 21
Jahre lang, 11 davon als Hausmeister.
„Früher war es immer sauber, auch wenn viele Ausländer da waren“, sagt er;
Türken, Griechen, Jugoslawen. Aber irgendwann zogen die aus, und dann kamen
die Roma. Schafe hätten sie auf dem Dach gehalten, Enten aus dem
Krankenhausteich gefangen und auf dem Balkon gegrillt, die Kupferkabel aus
der Wand gerissen und verkauft. Horst Wilhelm B. zog aus, „nur da die
Straße runter, über der Lottoannahmestelle“, eine Wohnung zu finden ist
nicht schwer in Duisburg-Rheinhausen. Heute ist er mit seinem Rollator
hergekommen und wartet nun, ebenso wie die TV-Teams auf dem Bürgersteig
neben ihm, welches Spektakel der letzte Tag des „Roma-Hauses“ In den
Peschen 5 wohl zu bieten hat.
Der rot verklinkerte Wohnblock aus den 50er Jahren überragt alle
umstehenden Reihenhäuser. Für gut 300 Menschen ist hier Platz, 1.400 haben
in Spitzenzeiten gleichzeitig darin gewohnt, fast alle stammen aus Rumänien
oder Bulgarien. Am frühen Morgen sitzen noch etwa zehn auf der Treppe im
Hof. Die Stadt hat die Gebäude für unbewohnbar erklärt und ein Ultimatum
gestellt, neun Stunden bleiben den Roma noch, um das Haus zu verlassen. Ein
junger Mann namens Vassilis empfängt Besucher pragmatisch. „Hast du zehn
Euro? Oder eine Cola für die Kinder?“, fragt er. Hilfe beim Tragen ist auch
okay, er winkt, ihm zu folgen. Im ersten Stock links hat einst „H. Knappe“
gewohnt, doch der ist lange weg. Nur sein Klingelschild ist noch da und der
gesamte Hausrat von Carmen Sugaru und ihrer Familie. Bis gestern wusste sie
nicht, wohin, jetzt läuft sie, in braunem Rock mit pinkfarbenem Kopftuch,
Handy am Ohr, in der Wohnung umher und dirigiert die Helfer, die wacklige
Möbel demontieren und Geschirr, Kleider und Haushaltsgeräte in Plastiksäcke
stopfen.
Vor zwei Jahren ist Sugaru aus Rumänien gekommen, seitdem lebt sie hier.
Ihre drei Kinder gehen hier zur Schule, Arbeit habe sie keine. Ob sie gern
hier gewohnt hat? Sie zuckt mit den Schulter. Probleme mit den Nachbarn?
Nein, keine.
## „Raus hier, mein Freund“
Als gegen neun Uhr ein von den Roma gemieteter Transporter auf den Hof
fährt, kommt auch eine Gruppe uniformierter Mitarbeiter des Ordnungsamtes.
Sie drängen sich im Flur vor der Wohnung von Carmen Sugaru, der
Gruppenleiter hat ein Blatt Papier mit einer Namensliste in der Hand und
verlangt Ausweise. Seit einiger Zeit kommen sie jeden Tag. Eine der Romnija
reicht einen Stapel Pässe heraus. Die Nachbartür ist die einzige in dem
Gebäudeteil, die verschlossen ist. Als die Männer vom Amt sie eintreten,
reißen sie den Rahmen aus der Betonwand. Vassilis folgt ihnen hinein,
drinnen ist keiner, nur Stapel fertig gepackter Sachen. „Raus hier, mein
Freund“, sagt ein Uniformierter. „Hast du das gesehen?“, fragt Vassilis,
während er ein paar Säcke die Treppe hinunterträgt. „Die haben einfach die
Tür kaputt gemacht. Das ist doch nicht legal.“
Auf dem Hof steht nun auch die Sprecherin der Stadt Duisburg. Die Menschen
in Duisburg seien „ja nun wirklich nicht integrationsungeübt“, sagt sie.
„Die Leute hier können einiges wegstecken. Aber das hat echt alle
überfordert.“ Sie weist die Mitarbeiter des Ordnungsamtes an, den Eingang
zum Hof mit Absperrband zu schließen. „Das muss echt nicht sein, dass hier
gleich noch die halbe Nachbarschaft rumsteht.“ Wieso nicht? Da gebe es
„viel Aggressionen“.
Und so bleiben die Nachbarn auf dem Bürgersteig auf der anderen
Straßenseite. „Wir haben zwei Jahre lang gelitten unter der Vermüllung“,
sagt ein älterer Mann mit Glatze in eine TV-Kamera. Auch sein Nebenmann
möchte ins Fernsehen: „Das ist ja eigentlich eine gehobene Wohngegend
hier“, sagt er, „aber die Ratten, die laufen mir bis heute vorm Balkon
herum. Und dann der ewige Krach bis zwölf Uhr nachts.“ Er wolle seine
Wohnung verkaufen. „Ich glaub das nicht, dass die jetzt weg sind.“
Die Gruppe schaut weiter auf das abgesperrte Roma-Haus. Nach kurzer Zeit
fährt dort ein kleiner Mann mit einem Herrenrad vom Hof. „Da kommt das
nächste geklaute Rad ohne Licht“, sagt eine Frau. Die Leute vom Ordnungsamt
heben das Flatterband kurz hoch, der Mann fährt im strahlenden Sonnenschein
davon. „Und das Beste ist ja immer, wenn sie die Räder der Kinder klauen
und selbst 1,85 Meter groß sind“, sagt die Frau und die Umstehenden lachen.
Ein Mann gesellt sich zu ihnen. „Es kann doch nicht sein, dass ich als
Deutscher hier Platz machen muss für Leute, die gar nicht hierhergehören“,
sagt er. „Und dann auch noch ganz andere Bezüge kriegen als du, der für
Hartz IV immer zum Amt muss“, sagt die Frau mit dem guten Blick für
Fahrräder, und alle nicken.
## Müllabfuhr war nicht für alle da
Als EU-Bürger kamen die Roma legal nach Rheinhausen, und ebenso legal
mieteten sie sich dort ein. Bis Dezember 2013 durften sie in Deutschland
jedoch nicht arbeiten, Hartz IV bekamen sie auch nicht, lediglich
Kindergeld. Ihr Leben spielte sich auf einem materiellen Niveau ab, das es
in Deutschland eigentlich gar nicht geben dürfte. 2009 erwarb Branko
Barisic, ein Duisburger Immobilienbesitzer, der unter anderem an
Bordellbetreiber vermietet, die drei als „Roma-Häuser“ bekannt gewordenen
Objekte. Von den Bewohnern forderte er etwa 4 Euro pro Quadratmeter, jeden
Monat in bar. Die Überbelegung der Wohnungen eingerechnet, ein für die Roma
erschwinglicher Preis. Doch Mülltonnen und -abfuhr gab es nur für die
offizielle Bewohnerzahl. Der Konflikt mit den Nachbarn schaukelte sich
hoch.
Nach und nach mischten sich die Bürgerproteste gegen die Roma mit
Rechtsradikalen. Im Netz kursierten Aufrufe zu Anschlägen auf das Haus. Bei
der Kommunalwahl im Mai holten die Rechtsradikalen nirgendwo in
Nordrhein-Westfalen mehr Sitze als in Duisburg. Pro NRW, die vor dem Haus
demonstriert hatten, schicken seither vier Vertreter in den Stadtrat, die
NPD einen. Auch die Stadt sah die Roma vor allem als Problem: Vor einem
Jahr erklärte Stadtdirektor Reinhold Spaniel in der taz, das
„Sozialverhalten vieler Roma“ sei „eine Zumutung“. Die Stadt sei mit ih…
finanziell „völlig überfordert“, sagte Spaniel. Duisburg fürchtete den
Zuzug weiterer „Armutsflüchtlinge“ und wohl auch eine Eskalation der Lage.
Die Roma sollten weg.
Eigentümer Barisic kündigte die Mietverträge zu Ende Dezember 2013, zwei
der drei Häuser wurden geräumt. Stadtdirektor Spaniel erklärte, er gehe
davon aus, dass auch die Bewohner des dritten Hauses, In den Peschen 5,
„aufgrund ihrer hohen Mobilität weiterziehen und die Stadt verlassen
werden“. Eine neue Wohnung müsse sich „jeder selbst besorgen, das ist nicht
unsere Aufgabe“. Dafür bot die Stadt Barisic 1,3 Millionen Euro für das
Haus. Doch der lehnte ab. Viele glauben, dass er den Preis hochtreiben
wollte. Die Roma blieben und zahlten Barisic weiter Miete. Der kassierte,
meldete aber im März viele Bewohner beim Einwohnermeldeamt ab, woraufhin
die Familien kein Kindergeld mehr bekamen.
## Einen Monat Aufschub
Im April dann verabschiedete Nordrhein-Westfalen ein
„Wohnraumaufsichtsgesetz“, das die Vermietung von Schrottimmobilien
unterbinden soll – wohl auch eine Art Lex Roma-Haus: Im Juni wurde den Roma
Strom und Wasser abgestellt, im Juli erklärte die Stadt das letzte Haus für
unbewohnbar. „Sie haben ja gesehen, wie es drinnen aussieht“, sagt dazu
einer der Männer vom Ordnungsamt. „Der Vermieter müsste wohl einen
siebenstelligen Betrag investieren“, meint die Stadtsprecherin, um das Haus
künftig wieder vermieten zu können.
Die verbliebenen Roma um Carmen Sugaru stehen auf dem Hof und warten auf
die Rückkehr des Transporters. Sie ziehen nach Duisburg-Marxloh, die
Wohnung hat ihnen die Kirche vermittelt. „Das war eh Scheiße hier, ohne
Wasser und Strom“, sagt ein Neffe von Sugaru. Sie selbst ist unschlüssig,
was sie von dem Umzug halten soll. Ihr bisheriges Domizil sei schon
schmutzig gewesen. Doch es sei nicht klar, wie lange sie in der neuen
Wohnung bleiben kann. Hinzu kommt die Trennung von den übrigen Roma. Das
Leben am Existenzminimum ist umso härter, je mehr man auf sich allein
gestellt ist.
Um 15.30 Uhr rollt ein schwarzer Audi auf den Hof. Die beiden Vertreter des
Hausbesitzers, kahl rasierte Schädel, Statur einer Telefonzelle, haben
einen Schlosser dabei, der alle Türen verriegeln soll. Die Kamerateams
filmen ihn bei der Arbeit, wollen einen Kommentar von der Stadtsprecherin.
„Ich hoffe, dass der Herr Barisic hier jetzt alles richtig schließen
lässt“, sagt sie; es soll ja niemand heimlich zurückkehren. Zwei Stunden
später fährt der Transporter mit Sugarus Sachen zum letzten Mal vom Hof.
## „Adolf, wo bist du?“
Private Initiativen haben die letzten Familien aus dem Haus für zunächst
einen Monat untergebracht – die Mieten sind deutlich höher. Wie die Roma
die in Zukunft zahlen sollen, ist offen. Vielen droht Obdachlosigkeit.
Während die Nachbarn den TV-Teams Interviews gegeben haben, hat Horst
Wilhelm B., der Exhausmeister, abseits auf seinem Rollator gehockt und den
Auszug der Roma beobachtet. „Das sind Schweine“, sagt er später leise. Er
meint die Nachbarn. „Die wollten hier einfach keine Zigeuner.“ Sie hätten
schon geschimpft, wenn nur die Kinder zur Schule gegangen seien und dabei
Lärm machten. Gleich nach Ankunft der ersten Roma habe es „Versammlungen
gegeben, da haben dann Leute Schilder hochgehalten, ’Adolf, wo bist du?,
’Adolf, wir brauchen dich‘, irgendwas mit SS, so Sachen.“ Er selbst habe …
dem Haus auch nicht mehr wohnen wollen, aber die Stadt habe nichts
unternommen, um den Menschen in Duisburg eine Chance zu geben.
„Vielleicht“, sagt B., „wäre alles gar nicht so schlimm geworden, mit ein
bisschen Hilfe für die Leute.“
5 Aug 2014
## AUTOREN
Christian Jakob
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Schwerpunkt Rassismus
Wohnungspolitik
Antiziganismus
Roma
Duisburg
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Duisburg
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Armutsmigration
Rumänien
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