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# taz.de -- Morddrohungen gegen Fatih Akin: Türkische Nationalisten im Aufwind
> Weil sein neuer Film vom Völkermord an den Armeniern handelt, wird Fatih
> Akin von türkischen Nationalisten bedroht. Bestärkt werden sie von ganz
> oben.
Bild: Fand keine Schauspieler für seinen Film: Fatih Akin
ISTANBUL taz | Wer sich mit dem Thema auskennt, versteht sofort: „Wir
beobachten das mit unseren weißen Mützen“, heißt es in dem Tweet des
türkischen, nationalistischen Magazins Ötüken. Und konkreter: Diese
Nachricht sei eine „offene Drohung an Agos, armenische Faschisten und
sogenannte Intellektuelle“. Agos ist eine armenisch-türkische Wochenzeitung
aus Istanbul, und mit den Intellektuellen meinen die Rechtsextremisten den
deutsch-türkischen Regisseur Fatih Akin. Eine weiße Mütze trug der
Minderjährige, der am 19. Januar 2007 Hrant Dink am helllichten Tag
erschoss. Der armenischstämmige Chefredakteur der Agos wurde ermordet, weil
er sich für eine Aufarbeitung des türkischen Völkermords an den Armeniern
im Ersten Weltkrieg einsetzte.
Akin hatte versucht, einen türkischen Schauspieler für seinen nächsten Film
zu finden. Was eigentlich kein Problem sein sollte, der Regisseur ist auch
in der Türkei ein Star. Akin wollte das Leben Dinks verfilmen. „Aber ich
konnte keinen türkischen Schauspieler davon überzeugen, die Rolle von Hrant
Dink zu übernehmen“, sagte der Filmemacher vergangene Woche in einem
Interview mit Agos.
Die Schauspieler empfanden das Drehbuch als zu „dramatisch“, sagten aus
Furcht vor Nationalisten ab. „Deshalb musste ich das Vorhaben aufgeben“,
sagte Akin, der auch niemanden habe in Gefahr bringen wollen, und befand:
Die Türken müssten sich „mit dieser Sache selbst auseinandersetzen“, aber
offensichtlich sei die Zeit noch nicht reif dafür. Dennoch, ganz lassen
wollte Akin nicht von dem Thema. Bei den 71. Internationalen
Filmfestspielen im August in Venedig ist die Weltpremiere seines Films „The
Cut“ geplant. Und dieser erzählt die Geschichte eines Armeniers, der das
Massaker überlebte und sich auf die Suche nach seiner Tochter macht.
Zwar spielt die Hauptrolle der Franzose Tahar Rahim – aber Akins Interview
und die Ankündigung von „The Cut“ reichten aus, um die Nationalisten zu
provozieren. „Dieser Film wird in keinem einzigen Kino in der Türkei
gezeigt werden“, twitterte darauf Ötüken. Der Film sei „ein erster von
mehreren Schritten, die Türkei dazu zu bringen, die Lüge vom armenischen
Genozid zu akzeptieren“. Die linksliberale Onlinezeitung Radikal fragte
daraufhin: „Wird Fatih Akin wie Hrant Dink enden?“
## Als „Armenier beschimpft“
Schätzungsweise anderthalb Millionen Armenier wurden von 1915 bis 1923 im
Osmanischen Reich umgebracht. Aber in der Türkei wird kaum etwas mehr
bekämpft als das Wort „Völkermord“, die Toten seien lediglich eine Folge
der Siedlungspolitik gewesen, heißt es. Die Armenier und der Großteil der
Geschichtsforschung sehen das anders.
Man könnte diese Tweets im Sommerloch verschwinden lassen, doch was
beunruhigt, ist die Tatsache, dass die Nationalisten Rückendeckung von ganz
oben bekommen. Man habe ihn als „Georgier“ beschimpft, aber „schlimmer
noch“, auch als „Armenier“, zitierte die regierungskritische Today’s Za…
den Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan.
Der wird am Sonntag wahrscheinlich zum Staatspräsidenten gewählt. Und um
nur zwei weitere Beispiele seiner nationalistischen Politik zu nennen: Der
mächtigste Mann im Staate ließ 2011 ein Versöhnungsdenkmal an der
armenisch-türkischen Grenze abreißen. Er kritisierte es als monströs. Und
als sich 2011 der US-Kongress mit einer Völkermord-Resolution zur
Verfolgung der Armenier beschäftigte, drohte Erdogan: „Gegenwärtig leben
170.000 Armenier in unserem Land. Nur 70.000 sind türkische Staatsbürger,
aber wir tolerieren die übrigen 100.000. Wenn nötig, kann es passieren,
dass ich diesen 100.000 sagen muss, dass sie in ihr Land zurückgehen
sollen, weil sie nicht meine Staatsbürger sind. Ich muss sie nicht in
meinem Land behalten.“ Die Botschaft kam an: Die Resolution wurde auf Druck
von Ankara im US-Kongress nicht zur Abstimmung gebracht.
Und solche Worte bestärken vor allem auch die türkischen Extremisten in
ihrer Hetze, deswegen sollte sich keiner sicher fühlen. „Ja, ich mag mich
unruhig fühlen wie eine Taube, aber ich weiß, dass in diesem Land kein
Mensch einer Taube etwas zuleide tut“, schrieb Hrant Dink in seinem letzten
Artikel. Kurze Zeit später war er tot.
7 Aug 2014
## AUTOREN
Cigdem Akyol
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Filmbranche
Schwerpunkt Türkei
Völkermord
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