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# taz.de -- Fall Mollath vor dem Abschluss: Ein wenig Licht
> Im Wiederaufnahmeverfahren gegen Gustl Mollath wird nächste Woche das
> Urteil erwartet. Ein Rückblick auf den Kampf eines schwierigen Mannes.
Bild: Gustl Mollath am 8. Juli vor dem Gericht in Regensburg.
REGENSBURG taz | Die Richter betreten den Raum, alle erheben sich, der
Angeklagte Gustl Mollath, das Publikum. Auch ein Mann in schwarzem T-Shirt,
darauf das Gesicht von Wolfgang Schäuble und der Schriftzug: Stasi 2.0.
„Das ist eine Ungebühr, so vor Gericht zu erscheinen“, sagt Richterin Elke
Escher. Entweder er verdecke den Aufdruck oder sie lasse ihn aus dem
Gerichtssaal entfernen. „Hier werden Menschenrechte mit Füßen getreten“,
ruft der Mann und verlässt vor sich hin schimpfend den Saal. Mollath nutzt
die Szene für eine Botschaft an das Publikum: Er zieht die Schultern hoch
und hebt die Arme, beide Handflächen nach oben, als wolle er sagen: Seht
ihr, so geht es einem vor einem bayerischen Gericht.
Mollath erwartet viel von seinem Wiederaufnahmeverfahren vor dem
Landgericht Regensburg, das seit Anfang Juli läuft und in dem – nach den
Plädoyers am morgigen Freitag – in der kommenden Woche ein Urteil erwartet
wird: Er will nicht nur für unschuldig befunden werden, seine Frau
misshandelt und Autoreifen zerstochen zu haben. Der Angeklagte will auch
selbst anklagen – die Justiz, die Psychiatrie und die Hypo-Vereinsbank, bei
der seine Frau wohl in Schwarzgeldgeschäfte verwickelt war.
Als Mollath am ersten Prozesstag nach seinen Personalien gefragt wird, hält
er seinen Pass hoch: „Ich hatte ja keinen, als ich aus der Psychiatrie
entlassen wurde“. Wie er dort von Psychiatern behandelt wurde, habe ein
„Kriegstrauma“ bei ihm ausgelöst. Deshalb könne er sich nicht „frank und
frei“ verteidigen, wenn er wieder im Gerichtssaal einer „psychiatrischen
Totalbeobachtung“ durch Gutachter Norbert Nedopil ausgesetzt ist. Und
trotzdem lässt er während der nächsten 14 Prozesstage kaum eine Gelegenheit
verstreichen, um auf seine Leidensgeschichte hinzuweisen. Fast jeder Zeuge
wird von ihm befragt.
Immer beginnt er mit zuckersüßen Höflichkeitsfloskeln, auf die oft ein
Fragegewitter folgt: „Haben Sie etwas von den Umständen mitbekommen, wie
ich da behandelt worden bin?“ „Warum musste ich in Handschellen Hofgang
machen?“ „ Haben Sie sich schon mal Gedanken gemacht, was es bedeutet,
sieben Jahre in geschlossenen Psychiatrien gehalten zu werden?“
## Einiges lief schief
Mollaths Wut ist verständlich. Früher hatte er ein Haus in der besten Lage
Nürnbergs, eine schöne Frau, alte Ferraris in der Garage. Jetzt hat er
nicht mal eine Wohnung, dafür Freunde, die als Richter verkleidet jeden Tag
vor dem Gericht Tuba spielen, um auf den Justizskandal Mollath hinzuweisen.
Niemand bestreitet, dass einiges schiefgelaufen ist in Mollaths letzten
Verfahren.
Das Urteil, das Mollath 2006 für sieben Jahre in die Psychiatrie brachte,
wird inzwischen nur noch als „Urteilsentwurf“ bezeichnet. Selbst
Staatsanwalt Meindl spricht von „eindeutig vorsätzlicher Rechtsbeugung“.
Leise Kritik lässt auch Gutachter Nedopil an einer Kollegin verlauten, die
sich bei der Beurteilung Mollaths ausschließlich auf die Schilderungen
seiner damaligen Frau verließ.
Immer wieder betont Richterin Escher ihr Verständnis für Mollath,
unterbricht ihn dann aber in höflich bestimmten Ton. Seine Ausführungen
bringen nur selten einen „Erkenntnisgewinn“ für das Verfahren. Sein Anwalt
Gerhard Strate beantragt zweimal, aus der Verteidigung entlassen zu werden,
um seinen widerspenstigen Mandanten wieder zurückzuholen in die Realität
des Gerichtssaals.
Das Gericht muss sich auf die Anklage konzentrieren: Gefährliche
Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Sachbeschädigung. Mollath und
seine Exfrau verweigern die Aussage, die meisten Zeugen sollen über
Ereignisse berichten, die mehr als zehn Jahre zurückliegen.
Was wirklich zwischen Mollath und seiner Frau passierte, ist schwer zu
rekonstruieren. Mitte August 2001 trifft sich Mollaths damalige Frau, Petra
M. mit der Freundin ihres Bruders, Petra S., in einer Eisdiele und erzählt,
ihr Mann habe sie wiedermal geschlagen. Die Freundin erinnert sich an blaue
Flecken am Hals und am Kopf von Petra M. sowie an eine Bisswunde am Arm.
Sie überredet sie, zum Arzt Markus R. zu gehen, bei dem die Freundin als
Arzthelferin arbeitet.
## Sie zeigt ihn nicht an
Ihm erzählt Mollaths damalige Frau, ihr Mann habe sie an beiden Armen
festgehalten, sie mehrfach geschlagen und gewürgt. Die Schilderungen seien
„durchaus glaubhaft“ gewesen. Die blauen Flecke am Hals deutet der Arzt in
seinem Attest als Würgemale. Eine Anzeige erstattet Petra M. damals noch
nicht.
Knapp ein Jahr später verlässt sie ihren Mann und flüchtet sich wieder zu
ihrer Quasischwägerin. Die begleitet Mollaths Frau am nächsten Tag zu ihrem
Haus, wo sie ihre Sachen holen will. Als Petra M. nach eineinhalb Stunden
noch nicht wieder herauskommt, klingelt die Freundin wie wild, hämmert an
die Tür. Sie öffnet sich: Mollath habe sich „bedrohlich“ vor ihr
„aufgebaut“, schweißgebadet und mit geballten Fäusten. Sie sei wieder
gewürgt und festgehalten worden, erzählt seine Frau der Freundin. Trotzdem
– auch jetzt geht sie nicht zur Polizei.
Dafür ruft sie am Nachmittag Edward Braun an, mit dem sie und ihr Mann
früher jahrelang mit alten Ferraris Rennen gefahren sind. Braun erinnert
sich vor Gericht auch zwölf Jahre später noch an die genauen Worte: „Wenn
Gustl meine Bank und mich anzeigt, mache ich ihn fertig.“ Und: „Den lass
ich auf seinen Geisteszustand überprüfen, dann häng ich ihm was an.“ Das
Gericht ist verwundert über die klare Erinnerung, Braun kann aber Teile des
Gesprächs durch Notizen von damals belegen.
Sieben Monate nach dem Anruf zeigt Petra M. ihren Mann an. Ein Beamter
erinnert sich, dass sie in Eile war. Mollaths Anwalt Strate will auch
wissen, warum: Just an dem Tag soll sie von ihrer Bank zu den möglichen
illegalen Fahrten in die Schweiz befragt worden sein, die Mollath anzeigen
wollte.
## Zu 90 Prozent sicher
Kurz bevor die erste Verhandlung gegen Mollath 2006 beginnt, holt sich
seine Frau noch eine ärztliche Bestätigung, die ihren Mann als „psychisch
gestört“ beschreibt und eine „erneute Fremdgefährdung“ vermutet. Diese
Ferndiagnose reicht dem Gericht dafür, Mollath auf seinen Geisteszustand
untersuchen zu lassen. Das ist der Anfang seiner Leidensgeschichte in der
Psychiatrie.
Im Januar 2005 gibt es in Nürnberg eine Serie von Reifenstechereien. Dass
Mollath dahintersteckte, ist für einen Polizisten auch heute noch zu „90
Prozent“ sicher. Mollath hatte in einem Schreiben mehrere Personen genannt,
die zum angeblichen Komplott seiner Frau gehören. Sechs davon hatten knapp
fünf Monate später platte Autoreifen. Auf einem Überwachungsvideo, auf dem
ein Mann an einem Rad hantiert, will Petra M. den Mantel und die
Baskenmütze ihres damaligen Mannes erkannt haben. Die Polizisten fanden
ähnliche Kleidungsstücke in seiner Wohnung – für das damalige Gericht
Beweis genug.
Im jetzigen Verfahren äußert der Sachverständige Hubert Rauscher Zweifel.
Da ihm keine Gutachten darüber vorliegen, wie die Reifen zerstochen wurden,
hält er den Vorwurf für „nicht nachweisbar“. Dass die meisten Geschädigt…
in „gefährliche Situationen“ geraten seien, kann er nicht bestätigen.
Der medizinische Gutachter sagt nun, er könne aus dem fehlerhaften Attest
nicht auf eine Misshandlung schließen. Es bestehe aber kein Zweifel, dass
Mollaths Frau erheblicher stumpfer Gewalt ausgesetzt war.
## Zwei Sichtweisen
Am Ende der Verhandlung gibt es zwei Sichtweisen auf Gustl Mollath: Da ist
der Ehemann einer Frau, die aus einer tätlichen Auseinandersetzung mit ihm
Spuren erheblicher Gewalt aufwies; und der Mann, der zu seiner Verteidigung
kaum mehr sagt als: Es war Notwehr.
Da ist aber auch jener Mann, der konsequent für seine Vorstellung von
Gerechtigkeit kämpft; der sich sicherlich in seinen Überzeugungen verrennt;
über den wohl zu Recht gelächelt wird, wenn er eine Zeugin nach
vermeintlichen Konten in der Schweiz befragt; dessen Sturheit aber auch
dazu führte, dass er es sieben Jahre lang in der Psychiatrie aushielt, wo
er sich dem Gutachtersystem verweigerte und damit ein wenig Licht in das
zweifelhafte System des Maßregelvollzugs brachte. Dass er den Gerichtssaal
nächste Woche als freier Mann verlassen wird, ist so gut wie sicher. Im
Wiederaufnahmeverfahren sind die Richter an das Urteil des
Ausgangsverfahren gebunden, in dem Mollath freigesprochen wurde.
Der Kampf Gustl Mollaths ist damit aber sicher nicht beendet.
7 Aug 2014
## AUTOREN
Lisa Schnell
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