# taz.de -- Auswirkungen der Russland-Sanktionen: Weniger Effekt als ein Unwett… | |
> Das Geheul der Agrarlobby lässt vermuten, dass die Sanktionen gegen | |
> Russland und dessen Gegenmaßnahmen den Markt erschüttern. Aber stimmt | |
> das? | |
Bild: Lecker niedersächsische Gerste für lecker Bier – aber nicht für russ… | |
HAMBURG taz | Die Aufregung unter Lobbyisten in der Agrar- und | |
Lebensmittelwirtschaft ist gewaltig. Die Angst: Ein Wegbrechen des | |
Absatzmarktes im Osten blähe das heimische Angebot auf. „Viel Lärm um | |
nichts“, meint der Agrarökonom Heinz Wendt und kritisiert den medialen und | |
politischen „Hype“. Die Wirkung von Unwettern oder Überschwemmungen auf die | |
Agrarwirtschaft sei x-mal größer und werde doch für die Verbraucher fast | |
immer unauffällig geregelt. | |
Die Ausfuhren der deutschen Agrar- und Lebensmittelindustrie nach Russland | |
machen rund 1,6 Milliarden Euro aus. Knapp die Hälfte davon sind Tiere und | |
Tierprodukte, den Rest teilen sich pflanzliche Produkte wie Getreide, | |
Kaffee, Wein, Tabak und Backwaren. Unterm Strich sind das aber gerade mal | |
2,5 Prozent aller landwirtschaftlichen Exporte aus Deutschland. | |
Wendt, scheidender stellvertretende Institutsleiter des bundeseigenen | |
Thünen-Instituts für Marktanalyse in Braunschweig, erklärt im | |
Hintergrundgespräch, das sei „natürlich irgendwo spürbar“. Aber es sei k… | |
Einbruch für die Branche. „Da fragt man sich schon: Wer schreit da | |
eigentlich jetzt rum?“ | |
Tatsächlich ist das Embargo ein Schlag ins Kontor einzelner | |
Großunternehmen, die im Russlandgeschäft stark engagiert sind. Als | |
Topbeispiel gilt der Fleischgroßhändler Clemens Tönnies, Aufsichtsratsboss | |
des Fußballbundesligisten Schalke 04, dessen Hauptsponsor wiederum der | |
russische Erdgaslieferant Gazprom ist. Ökoprodukte dagegen sind laut | |
Demeter und Bioland gar nicht gefragt. | |
## Gegensanktionen in Russland | |
In Russland allerdings könnten sich die eigenen Gegensanktionen bemerkbar | |
machen. Das flächengrößte Land der Erde besitzt etwa 10 Prozent der | |
landwirtschaftlich nutzbaren Fläche, trägt aber laut der UN-Organisation | |
FAO nur 4 Prozent zur Getreideherstellung bei. Das ist wie in Brasilien | |
oder China eine Folge mangelhafter Logistik: Bis zu 70 Prozent der Ernten | |
an Obst, Getreide und Gemüse verderben, bevor sie die Verbraucher oder den | |
Weltmarkt erreichen. | |
Nahrungsmittelimporte spielten daher für Russland „eine nicht unerhebliche | |
Rolle“, sagt Wendt. 2013 führte Russland Lebensmittel im Wert von 43 | |
Milliarden Dollar ein. Gut ein Drittel davon kamen aus der Europäischen | |
Union. | |
Mit einer merklichen Umschichtung des Welthandels, über die jetzt vielfach | |
spekuliert wird, rechnet Wendt nicht. Die Produktion von Agrarprodukten | |
lasse sich nicht wie etwa in der Automobilindustrie quasi auf Knopfdruck | |
steigern. Und die Ernten von 2014, oft auch schon die von 2015 seien | |
bereits weitgehend verkauft. Außerdem erwartet der Agrarökonom | |
Ausweichreaktionen. „Es wird ein anderes Land dazwischengeschaltet.“ | |
EU-Exporteure führen Weizen oder Eier nach Weißrussland oder der Türkei | |
aus, von wo die Fracht nach Russland weitergeht. | |
Letztlich müsse man sich aber die Größenordnungen anschauen. Wie bei | |
Industrieprodukten ist Russland auch im Agrarbereich ein viel zu kleiner | |
Spieler, um den Weltmarkt erschüttern zu können. | |
11 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Hermannus Pfeiffer | |
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