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# taz.de -- Karstadt und die Lage der Warenhäuser: Ein Königreich für einen …
> Raus ins Einkaufscenter oder rein ins Internet? Zu Karstadt nur noch, um
> Nähgarn zu besorgen? Die Konsumenten von heute sind unberechenbar.
Bild: Trotz diverser Umbauten und Eigentümerwechsel: Es gibt ihn noch, den Kar…
BERLIN taz | Das wollte der Kunde schon mal nicht: Multimedia-Abteilungen,
in denen das ehemals reichhaltige DVD- und CD-Angebot genauso fehlte wie
die dazugehörenden Abspielgeräte. Eine Kleidungsetage, in der supermodische
Klamotten an den Ständern hingen, von deren Marken man zuvor noch nie
gehört hatte. Und dazu überall knallrote Schilder mit der Aufschrift: Sale!
Sale! Sale!
Die Umstrukturierung des Sortiments in der Karstadt-Filiale in
Berlin-Tempelhof kam bei den KundInnen nicht gut an. Das Haus gilt als
wenig profitabel und ist nur ein Beispiel für viele fehlgeschlagene
Versuche der Kaufhauskette, das Sortiment an den Wünschen der Kunden
auszurichten. An den vermuteten Wünschen, um genau zu sein. Denn das große
Rätsel im Einzelhandel lautet heute: Was genau will eigentlich der Kunde?
„Seit den 1990er Jahren ist das Kaufverhalten der Konsumenten für den
Einzelhandel schwer einschätzbar“, sagt die Marktforscherin Dörte
Nitt-Drießelmann vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI), die
kürzlich eine Untersuchung dazu veröffentlicht hat. Der Kunde von heute ist
ein Meister des Sowohl-als-auch, man könnte auch sagen: Er ist ein Albtraum
für Marktforscher.
Der sogenannte hybride Kunde kauft für 80 Cent ein Shampoo bei Aldi und ist
stolz auf den günstigen Deal, nur um später bei Saturn eine völlig
überflüssige Espressomaschine zu erstehen, die fortan die Küche blockiert.
Die berufstätige Konsumentin fährt am Samstag raus in das überfüllte
Einkaufcenter, um einen Kurzmantel für den Herbst zu erwerben, und schwört
sich danach, diese Center künftig zu meiden. Fortan bestellt sie bergeweise
Klamotten im Internet, von denen sie die Hälfte wieder zurückschickt.
## Verlängerung der deutschen Ladenschlusszeiten
Die Konsumenten sind unberechenbar – aber ein paar Trends lassen sich
ausmachen. Sie haben nicht nur mit dem Boom im Internethandel zu tun. So
hat die Verlängerung der deutschen Ladenschlusszeiten bis weit in den Abend
hinein, und das auch am Samstag, die Konsumgewohnheiten verändert: Heute
„gehört das Einkaufen zum Freizeitvergnügen und hat auch mit Kontakten zu
tun“, sagt Nitt-Drießelmann. Versorgungs- und Erlebniskauf verschmelzen.
Nicht zu unterschätzen ist dabei der steigende Anteil älterer Kunden in
kleinen Haushalten. Die im Vergleich zu Karstadt erfolgreichere
Kaufhof-Kette hat ihre Filialen nicht nur stärker am regionalen Bedarf
ausgerichtet, sondern spricht auch im Fashionbereich gezielt ein
mittelaltes und älteres Publikum an.
Ältere, gerade RentnerInnen, sind aber auch das Publikum für den Kiez. Sie
kaufen fast täglich irgendwas ein für ihren kleinen Haushalt, „auch wegen
des sozialen Kontaktes“, sagt Nitt-Drießelmann. Da ist es netter, von Laden
zu Laden zu gehen, als ins Kaufhaus, dabei bleibt man auch mehr in
Bewegung.
Ältere Menschen haben aber auch schon viele Klamotten und eine Sitzgruppe.
Der Anteil der Ausgaben für Konsumgüter des Einzelhandels an den privaten
Ausgaben der Bevölkerung ist innerhalb von 25 Jahren von 40 auf 30 Prozent
heruntergegangen, sagt Nitt-Drießelmann. Dafür sind die Ausgaben für Wohnen
und Gesundheit gestiegen.
## Kurzwaren gehen immer
Jüngere Menschen hingegen kaufen heute seltener in den Geschäften ein als
früher, hat die Forscherin festgestellt. Jüngere Leute sind berufstätig,
auch die Frauen, man hat weniger Zeit. Der Einkauf für die Familie soll
praktisch sein. „Da fährt man dann am Wochenende ins Einkaufszentrum und
erledigt alles in einem Rutsch“, so Nitt-Drießelmann. Zumal man im Center
dann im Supermarkt sowohl das Kilo Zucchini als auch die Milch kaufen kann
und nebenan im Multimediakaufhaus den Ladyshave erwirbt. Eine Auswahl und
Preisgestaltung wie in den Einkaufscentern kann ein Kaufhaus nicht bieten.
Das heißt aber nicht, dass die Einkaufscenter auf der grünen Wiese boomen
würden. Im Gegenteil, es gibt einen Trend in die Innenstadt, die auch mit
öffentlichen Verkehrsmitteln leichter erreichbar ist. Die
Unternehmensberatungen KPMG und EHI Retail-Institute haben in einer
Untersuchung festgestellt: „Während zum Beispiel bis zum Ende der 1990er
Jahre neue Shoppingcenter vor allem am Stadtrand oder auf der grünen Wiese
eröffnet wurden, lag der Anteil der innerstädtischen Lagen an allen
Neugründungen im Jahre 2011 bei 81 Prozent“. In der City locken dann
allerdings die Malls und die H&M-Filialen die konsumfreudigen jüngeren
KundInnen und nicht unbedingt Kaufhäuser.
Ins Kaufhaus geht man, „wenn man Doppelkopfkarten und ein paar Knöpfe
braucht und das auf einmal erledigen will“, meint Nitt-Drießelmann. Aber
genau das ist der Albtraum der Sortimentsmanager auch bei Karstadt: dass
die KundInnen nur wegen des Nähgarns kommen und wegen der Wollstrumpfhosen,
um danach stundenlang in der Cafeteria im 5. Stock mit Freundinnen eine
Tasse Kaffee zu trinken. In den 70er Jahren war im Superkaufhaus KaDeWe die
größte Abteilung die riesige Stoffabteilung im Erdgeschoss – die
ausgiebigen Beratungen für die Hobbyschneiderinnen waren Legende.
Bei den Kurzwaren ist allerdings immer noch Verlass auf das Kaufhaus. Bei
Karstadt in Berlin-Tempelhof gibt es die klassischen Perlmuttknöpfe, von
denen man auch vier abgezählte Knöpfe erwerben kann. Viermal 90 Cent – von
solchen Einkäufen kann kein Warenhaus überleben. Es sei denn, der Kunde
ersteht auch noch schnell im Erdgeschoss nebenbei den Eastpak-Rucksack für
50 Euro, den er nicht unbedingt braucht.
21 Aug 2014
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
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