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# taz.de -- 24 Stunden russisches Staatsfernsehen: Wie beim Gedichteaufsagen
> Zur Krim gibt es nichts Bedeutendes zu sagen, in Donezk wurde niemand
> erniedrigt. Putins Meinungsmaschinerie lügt vor allem durchs Weglassen.
Bild: Auf allen Kanälen: Wladimir Putin.
Einen Tag und eine Nacht habe ich es mir in die Augen gestopft: 24 Stunden
russisches Staatsfernsehen. Mit dem Ziel herauszufinden, was Wladimir Putin
tatsächlich mit seinem viel beschrienen TV-Monopol anstellt.
Stichtag ist Sonntag, der 24. August: Unabhängigkeitstag der Ukraine samt
großer [1][Militärparade in Kiew]. In Donezk und Luhansk wird gekämpft und
gehungert. Drei Sender dienen als Probanden: Perwy Kanal, RTR Planeta und
Rossiya 24. Das Experiment beginnt um 10 Uhr morgens.
An der Unabhängigkeitsfeier der Ukraine interessiert das russische
Staatsfernsehen vor allem eines: deren Kosten. In jeder Liveschalte an den
Kiewer Kreschatik ist das die erste Frage an die Korrespondentin: „Wie viel
hat die prunkvolle Parade denn gekostet?“ – „Das ist nicht klar. Doch die
ukrainische Regierung weiß schon, warum sie keine konkreten Zahlen nennen
will. Es ist eine Zahl mit vielen Nullen, so viel steht fest.“
Sogar über die konkreten Kosten des Feuerwerks wird minutenlang spekuliert.
Dann folgt die richtige russische Abrechnung. Beitrag um Beitrag führen den
Beweis, dass die Ukraine seit der Loslösung von Moskau alles falsch gemacht
hat: Bevölkerung schrumpft, nur die Republik Moldau ist ärmer, zwei
nutzlose Revolutionen, Oligarchen bestimmen alles, Schuldensumpf,
Korruption, keine Meinungsfreiheit, um die Pressefreiheit ist es nur im
Irak und in Afghanistan schlechter bestellt, Antisemitismus, eine
zerfallende Armee und zu guter Letzt die absolute Unfähigkeit der neuen
Regierung Poroschenko, einen souveränen Staat aufzubauen.
## Russland hilft, wo es kann
Zeitgleich zu den Festlichkeiten in der Hauptstadt findet eine bizarre
Gegenparade in Donezk statt. Separatisten lassen Gefangene der ukrainischen
Armee durchs Stadtzentrum Spalier laufen. Eine Erniedrigung
Kriegsgefangener, wie sie das Genfer Abkommen ächtet – diese Tatsache
erwähnt das russische Fernsehen nicht.
Stattdessen spricht man von einem „antifaschistischen Meeting“ und lobt die
Zivilcourage der Einheimischen. Großaufnahmen der neuen Fahne von der
russischen Republik Donezk. Eindeutig kremltaugliches Fernsehen. Eine Sache
beeindruckt dennoch: Donezks Bewohner beschimpfen die Gefangenen als
Faschisten. Für sie sind die ukrainischen Soldaten anscheinend nicht mehr
die Soldaten ihres Landes.
Einer der meistgesendeten Beiträge der letzten Tage ist folgender: Ein Zug
aus Donezk bringt schwerkranke, gerade noch rechtzeitig evakuierte Kinder.
„Der kleine Nikita ist bei der Ankunft so schwach, dass er nicht mal mit
den Journalisten reden kann. Ihm droht ein Nierenkollaps“, kommentiert der
Sprecher. Nikita redet dann doch mit den Journalisten. Während er im
Krankenwagen liegt und gefilmt wird. „Wie war es in der Ukraine?“ – „Do…
schießen sie“, flüstert Nikita. Dann wird er ins Krankenhaus gebracht. In
seinem Krankenbett wird er noch mal gefilmt. Der Beitrag endet mit der
Frage des Sprechers: „Wie laut müssen die Kinder noch schreien, damit Kiew
zur Vernunft kommt?“
## Propaganda? Propaganda.
Ein anderer Beitrag beginnt mit dem Verweis auf einen [2][Bericht der]
[3][Süddeutschen Zeitung]. Die SZ hatte gemeldet, dass die ukrainische
Armee sich teilweise nur über Google Map und Smartphone bei ihren
Panzeroffensiven orientiert. Eine abgefangene Funkkommunikation des
ukrainischen Militärs wird eingespielt: „Haben wir überhaupt einen
funktionierenden Panzer?“ – „Ja, Mischka hat gerade geladen und ist
einsatzbereit.“ – „Dann soll Mischka angreifen.“ – „Mischka, du mus…
vorne und dann rechts. Halt! Fahr weiter! Stopp! Was stehst du denn? Du
musst dreihundert Meter vor und schießen. Wo fährst du denn hin, du
Missgeburt? Steig aus der Luke aus und schau dich um!“ Mischka scheint
nicht zu wissen, wohin er rollen und schießen soll. Viel Geschrei. Mischka
gerät in Panik und schießt irgendwohin in die Stadt.
Schnitt: Ein heftig zusammengeschlagener Mann wird durch Donezk geführt.
Von zwei vermummten Männern mit Kalaschnikows. Er soll als „Zeiger“
gearbeitet haben. Als einer von denen, die der ukrainischen Armee bei der
Koordinierung der Angriffe auf die Separatisten halfen. Gekrümmt, verstört
und blutend schleppt man ihn vor eine zerstörte Apotheke. Die Männer um ihn
herum schreien: „Gefällt dir das? Schmeichelt das deinen Augen? Was wäre
denn, wenn wir zu dir kommen und das Gleiche machen?“
Schnitt: Verhör zweier übergelaufener/gefangen genommener (keine
Information) ukrainischer Soldaten. „Habt ihr das Zentrum von Donezk
beschossen?“ – „Ja.“ – „Habt ihr gewusst, dass ihr Zivilistengebiete
beschießt?“ Den beiden Soldaten kommen die Tränen. Mit zitternder
Unterlippe antwortet einer: „Ja.“ Propaganda. Propaganda?
## Sanktionen sind schön
„Die Sanktionen gegen Russland haben neuen ausländischen Investoren die
Türen geöffnet. Diese werden mit großer Freude wahrgenommen“, verliest die
Nachrichtenmoderatorin, die viel zu hübsch scheint, um Fakten zu
beschönigen. Lange Beiträge über die neu entstandene Zusammenarbeit mit
Serbien folgen.
Auch Argentinien kann es kaum erwarten, die Zusammenarbeit mit Russland zu
intensivieren. Und für Georgien hat sich die „einmalige Gelegenheit
eröffnet, sich auf dem russischen Nahrungsmarkt zu etablieren“. Dann O-Ton
eines spanischen Apfelbauern: „Ich denke, dass wir alle Opfer der
Sanktionen gegen Russland sind.“
Zur Krim gibt es nichts Bedeutendes zu sagen. „Das Stauproblem im Hafen der
Krim ist gelöst – zum ersten Mal seit vielen Jahren.“ Das hat man also in
den Griff bekommen. „Um als Krimbewohner die russische Staatsbürgerschaft
anzunehmen, genügt dank dem neuen Schnellverfahren bereits eine Stunde.“
Hat man auch in den Griff bekommen. „Die Fußballvereine der Krim sind
erfolgreich in die zweite russische Fußballliga integriert worden.“ Wäre ja
gelacht, wenn man als WM-Gastgeber Fußball nicht in den Griff bekäme.
## Putin und die Heizung
Krieg in der Ukraine, humanitäre Katastrophe, Sanktionen gegen Russland –
all das scheint in der Welt des russischen Staatsfernsehens nichts mit
Wladimir Putin zu tun zu haben. Putin ist im Beobachtungszeitraum nur in
einem Kontext zu sehen: wie er den Generalgouverneur der Region Komi,
Wjatscheslaw Gaiser, zum Rapport empfängt. Gaiser muss Bericht darüber
erstatten, inwiefern die Heizanlagen für den nahenden Winter auf Vordermann
gebracht sind.
Ein klassisches Putin-Fernsehsetting: Der Chef bestellt zum
Vieraugengespräch und prüft persönlich jeden Millimeter Verantwortlichkeit.
Außer gelegentlichen Nachfragen hört man von Putin nichts. Gaiser muss
reden, Putin nickt konzentriert. Er nickt ab, als würde er ein Kind beim
Gedichtaufsagen abhören. Er nickt den ganzen Tag auf sämtlichen Sendern.
Immer und immer wieder.
Nach 24 Stunden ist klar: Russlands TV führt einen Meinungskrieg gegen die
Ukraine. Ist die Maschinerie des Staatsfernsehens aggressiv? Ja. Ist sie
plump und leicht zu entkräften? Das nicht. Man braucht ein starkes
informationelles Immunsystem. Denn sehr viele Dinge, die über den
Ukrainekonflikt gesendet werden, sind wahr. Aber welche Rolle Russland bei
der Entstehung dieser Wahrheiten spielt – darüber kein Wort.
27 Aug 2014
## LINKS
[1] /Militaerparade-in-Kiew/!144731/
[2] http://www.sueddeutsche.de/politik/kaempfe-in-ostukraine-raketenbeschuss-na…
[3] http://www.sueddeutsche.de/politik/kaempfe-in-ostukraine-raketenbeschuss-na…
## AUTOREN
Dmitrij Kapitelman
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