| # taz.de -- Aids-Aktivist über Queerness und Kunst: „Ich bin ein Überlebend… | |
| > Douglas Crimp ist Kunstkritiker und Mitbegründer der Queer Theory. Im | |
| > Gespräch erzählt er von seinem Leben mit HIV und schlechten Filmen über | |
| > Aids. | |
| Bild: Schrieb schon über queere Kunst, als die Queer-Theorie noch nicht begrü… | |
| taz: Herr Crimp, Ihren Aufsatz „On the Museum’s Ruins“ eröffnen Sie mit | |
| einem Ausspruch Adornos: „Museen sind die Familiengräber der Kunstwerke.“ | |
| Zurzeit widmet sich in Berlin [1][eine Ausstellung] Ihrem Schaffen. Wie | |
| lösen Sie für sich den Widerspruch, dass Ihre Arbeit in Vitrinen | |
| musealisiert wird? | |
| Douglas Crimp: Der Begriff des Museums steht in meinem Buch zwar für die | |
| gesamte Kunstwelt als Institution, das Museum selbst ist aber eine sehr | |
| spezifische Form von Institution. Als ich den Aufsatz 1980 schrieb, war ich | |
| sehr an Foucaults Kritik an Institutionen wie der Klinik, der | |
| psychiatrischen Anstalt oder dem Gefängnis interessiert und habe versucht, | |
| das Museum einer ähnlichen Analyse zu unterziehen. Ich stand dem, was man | |
| als Ideologie des Museums bezeichnen kann, sehr kritisch gegenüber, denn | |
| Museen entziehen die Kunstwerke ja quasi jeder Alltagserfahrung und machen | |
| sie kontextfrei, fast schon wie in einem Vakuum. Ich würde die Ausstellung | |
| insofern gegen solche Vorwürfe verteidigen, als dass sie den Versuch | |
| unternimmt, der Kunst einen Kontext zu geben. Neben Kunstwerken gibt es | |
| dort Bücher, Grafiken von Aids-Aktivisten und Porträtfotos zu sehen. Wenn | |
| man also sehr ungleiche Dinge gegenüberstellt, können diese Dinge dann | |
| nicht nur eine Verbindung miteinander eingehen, sondern auch zum Nachdenken | |
| anregen. | |
| Wovon handelt die Ausstellung? | |
| Die Ausstellung basiert auf meinen Memoiren, die meine ersten zehn Jahre in | |
| New York, von 1967 bis 1977, verhandeln. Das übergeordnete Ziel der | |
| Memoiren ist, allen radikalen Aktivitäten dieser Zeit etwas | |
| gegenüberzustellen. Die Anfänge der Schwulenbewegung, die Blütezeit der | |
| Queer Culture in New York vor und nach Stonewall und die Höhepunkte der | |
| radikalen, sexuellen, schwulen Subkultur waren damals ein wichtiger Teil | |
| meines Lebens. Gleichzeitig stellte diese Phase einen extrem | |
| experimentellen Moment in der Praxis der zeitgenössischen Kunst dar. Es | |
| waren Umbruchzeiten, in denen klassische Gattungen wie Malerei und Skulptur | |
| zwar nicht völlig ausgedient hatten, jedoch einiges an ihrer zentralen | |
| Bedeutung verloren. Mit dem Aufkommen von Performance- und Videokunst kam | |
| es zu einer Öffnung der Kunst und einem Neudenken darüber, was ein | |
| Kunstwerk sein kann. Das alles passierte in New York und eben auch in | |
| meinem Leben als Gegenüberstellung von Gegensätzen, aber auch in Nähe | |
| zueinander, aber nicht notwendigerweise im Dialog miteinander. | |
| Als Sie begannen, über queere Kunst zu schreiben, gab es Queer-Theorie als | |
| Konzept oder Disziplin noch gar nicht. Heute gelten Sie als einer ihrer | |
| Gründerväter. In Ihren Essays geht es nicht nur um eine Gegenüberstellung, | |
| sondern vielmehr auch um eine Integration von Queerness, Sexualität und | |
| schwuler Erfahrung in Formen der Kunst und des Films. Wann war klar, dass | |
| diese Verbindung Ihnen ein fruchtbares akademisches Feld eröffnen würde? | |
| Das kam mit Aids. Meine Memoiren gehen dieser Zeit allerdings voraus, denn | |
| es geht in dieser Periode um meine Konflikte und Verhandlungen mit zwei | |
| Welten – der Kunstwelt und der queeren Subkultur. Natürlich gab es damals | |
| schon viele Tunten in der Kunstwelt, und in der queeren Welt waren viele an | |
| Kunst interessiert. Dennoch war es keine Zeit, in der offen schwule | |
| Künstler sonderlich akzeptiert waren. Künstlern wie Ellsworth Kelly war es | |
| unangenehm, wenn Leute wussten, dass sie schwul waren. | |
| Das gilt auch für Robert Rauschenberg oder Jasper Jones. | |
| Es gab natürlich auch Ausnahmen, denn Andy Warhol hat sein Schwulsein ja | |
| nicht gerade versteckt. Ich beschäftigte mich also mit Kunst und war Teil | |
| einer schwulen und sexuellen Kultur, die zu dieser Zeit regelrecht | |
| explodierte. Ich wollte diese Dinge miteinander verbinden, hatte aber keine | |
| Ahnung, wie. Damals gab es außer Jack Smith und Andy Warhol noch nicht viel | |
| schwule oder queere Kunst. | |
| Welche Rolle spielte Aids dabei? | |
| Anfang der 80er war Aids allgegenwärtig, ich konnte nicht länger meine | |
| Augen davor verschließen. Ich widmete 1987 eine Ausgabe des Kunstmagazins | |
| October dem Thema. Zudem gab es in New York im New Museum eine erste | |
| Kunstausstellung zu Aids, die „Homo Video“ hieß und von William Olander | |
| kuratiert wurde, der später an Aids starb. Die Ausstellung selbst befand | |
| sich in einem Hinterzimmer des Museums, während im Hauptteil eine große | |
| Ausstellung des Konzeptkünstlers Hans Haacke zu sehen war. Ich fand es | |
| interessant zu sehen, dass diese beiden politischen Ausstellungen | |
| nebeneinander im Museum gezeigt wurden, es aber keinerlei Bemühungen gab, | |
| die queeren und Aids-aktivistischen Arbeiten mit den konventionell | |
| aktivistischen Arbeiten in Verbindung zu setzen. Die Aids-Ausgabe von | |
| October war mein erster Versuch, etwas über sexuelle Politik in der | |
| Kunstwelt zu sagen. Für mich war es ein klarer Wendepunkt. Ich begann über | |
| meine eigene queere Welt zu schreiben und über die Aids-Krise. Zudem trat | |
| ich der Aids-aktivistischen Organisation Act Up bei und wurde Teil der | |
| allgemeinen Protest- und Bürgerrechtsbewegung. Diese Ausgabe von October | |
| war dann ziemlich einflussreich, wodurch ich Leute kennenlernte, die mit | |
| Aids und queerem Aktivismus zu tun hatten. Darunter waren KollegInnen wir | |
| Eve Sedgwick, deren Arbeiten dann später zu dem wurden, was wir heute als | |
| Queer-Theorie kennen. | |
| Sie haben sich auch mit dem Bild schwuler Männer in Aids-Filmen | |
| auseinandergesetzt. Das Theaterstück „The Normal Heart“, das Sie damals | |
| kritisierten, wurde vor Kurzem erst verfilmt. Zudem erlebt Aids mit Filmen | |
| wie „Dallas Buyers Club“ und „Test“ gerade eine filmische Renaissance. … | |
| sagen Sie zu diesen Filmen? | |
| „Test“ ist voller Fehlinformationen. Dieser Film hat mich rasend gemacht! | |
| Ich habe mir „Test“ angeschaut, weil die beiden Hauptfiguren Tänzer sind | |
| und Tanz eines meiner Forschungsfelder ist. Zudem ist es ein Film, der aus | |
| der Gegenwart auf die Anfänge von Aids zurückblickt. Die Frage, ob man sich | |
| testen lassen sollte oder nicht, war in den Anfängen von Act Up ein | |
| Riesenthema. Wir widersetzten uns damals vehement dem Zwang der Regierung, | |
| sich testen zu lassen, und wollten, dass das eine autonome Entscheidung | |
| bleibt. Darüber wusste ich aus erster Hand sehr viel und war über die | |
| Darstellung im Film entsetzt. Der Film handelt von zwei | |
| Mainstream-Schwulen, die miteinander abhängen, ohne dass irgendeine Idee | |
| von schwuler Community vermittelt würde – und das gerade in Zeiten von | |
| Aids! Ich fand es schockierend zu sehen, dass der Film behauptet, wir | |
| hätten unsere Informationen damals von Ärzten bekommen, wohingegen wir die | |
| Frage, ob wir getestet werden sollten, mit unseren Freunden besprachen. Die | |
| schlimmste Fehlinformation liegt aber darin, dass sich die Hauptfigur | |
| sofort nach dem ungeschützten Sex mit einem HIV-positiven Mann testen | |
| lässt, und der Test negativ ausfällt. Natürlich hat der Körper zu diesem | |
| Zeitpunkt noch keine Antikörper gebildet. Solche Fehlinformationen hätten | |
| uns damals rasend gemacht. Und wer es heute nicht besser weiß, glaubt so | |
| etwas natürlich auch. | |
| Zudem spielt die Moral in Bezug auf Aids, über die Sie viel geschrieben | |
| haben, bei „Test“ auch eine besondere Rolle, wenn man an das Happy End | |
| denkt. | |
| Das Happy End hat dem Ganzen dann die Krone aufgesetzt! Der endgültige Test | |
| besteht darin, ob beide Figuren monogam sein können, nachdem sie beide | |
| negativ getestet wurden. Beide hatten noch nie Sex miteinander, dürfen sich | |
| dann aber verlieben, um zu heiraten, weil sie damit auf der sicheren Seite | |
| sind. So etwas ist einfach nur skandalös. | |
| Sehen Sie sich selbst als Überlebenden? | |
| Natürlich. Ich habe HIV und Hepatitis C und bin 70 Jahre alt. Ich hatte | |
| Glück. Ich habe mich erst sehr spät infiziert, als es bereits den | |
| Medikamentencocktail gab. Ich bin ein Überlebender, der viel Glück hatte, | |
| denn selbst zu Beginn der Epidemie hatte ich keinen geschützten Sex, und | |
| damals wären meine Überlebenschancen sehr gering gewesen. Es war reine | |
| Glückssache. | |
| Gibt es etwas, das Sie zukünftigen Generationen mit auf den Weg geben | |
| wollen? | |
| Vielleicht nicht gerade „zukünftigen Generationen“, aber jüngeren | |
| WissenschaftlerInnen würde ich sagen: Habt mehr Spaß, solange ihr jung | |
| seid! Arbeitet nicht so viel und geht mehr tanzen! Denn wenn ihr älter | |
| werdet, habt ihr immer noch genug Zeit. | |
| 3 Sep 2014 | |
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