# taz.de -- Bestattung als sozialer Protest in Birma: Positives Karma | |
> In Rangun sorgt eine private Organisation für Gratis-Bestattungen. Einst | |
> provozierte sie damit die Militärjunta, heute ist sie eine der größten | |
> NGOs. | |
Bild: FFSS-Vizepräsidentin vor einem Mönchen vorbehaltenen Leichenwagen ihrer… | |
RANGUN taz | Gelbe Plastikblumen am Armaturenbrett, eine Duftpatrone | |
verströmt süßlichen Geruch. Aus dem Autoradio erklingt einheimische | |
Rockmusik. Umsichtig steuert der Fahrer den Lieferwagen durch eine Vorstadt | |
von Rangun. „Ich habe einen erhabenen Job“, sagt er. „Damit sammle ich | |
Verdienste für mein nächstes Leben.“ | |
Myant Zaw Htay ist 48 Jahre alt und Buddhist. Seit einem Jahr arbeitet er | |
als Fahrer der Free Funeral Service Society (FFSS). „Drei bis fünf Mal am | |
Tag fahre ich ins Krematorium“, berichtet er. „Und ich richte die Leichname | |
für die Bestattung her.“ | |
Sein Unternehmen ist heute das größte Bestattungsinstitut der | |
Hafenmetropole – und ein besonderes, denn es bietet die Einäscherung für | |
Arme kostenlos an. 23 Leichenwagen hat FFSS im Einsatz, das neben einigen | |
festangestellten Mitarbeitern über ein Heer an Freiwilligen verfügt, | |
darunter viele Prominente. Seit seiner Gründung im Jahr 2001 hat die NGO | |
auf diese Weise 150.000 Menschen verschiedener Glaubensrichtungen kostenlos | |
bestattet. | |
Der bis 2011 amtierenden Militärjunta ist so viel privates und soziales | |
Engagement gar nicht recht gewesen. „Je größer und beliebter eine | |
Organisation, desto misstrauischer die Junta“, erinnert sich Than Myint | |
Aung. Die 60-jährige Schriftstellerin und Sozialarbeiterin, die wie alle | |
Mitarbeiter ein schlichtes weißes Hemd trägt, ist Vizepräsidentin von FFSS | |
und strahlt die Strenge einer Lehrerin aus. | |
In dem von den Militärs heruntergewirtschafteten Land sahen viele Birmesen | |
kostenlose Bestattungen nicht nur als Politikum, weil sie soziale und | |
spirituelle Hilfe bedeuten, sondern auch als stille Form des Protests. Als | |
im Mai 2008 der Zyklon „Nargis“ das Irrawaddy-Delta überflutete und 138.000 | |
Menschen tötete, schickte FFSS sofort, und ohne auf Genehmigungen zu | |
warten, seine Leichenwagen ins Katastrophengebiet. Die mit der Katastrophe | |
überforderten Generäle mussten es dulden. Erst 2011 zogen sie die Uniformen | |
aus, seitdem führt eine zivile Reformregierung aus Exmilitärs das Land. | |
Mittlerweile ist FFSS eine der größten Nichtregierungsorganisationen in | |
Birma, das die Militärs in Myanmar umbenannt hatten. FFSS betreibt außer | |
dem Bestattungswesen vier Krankenwagen, ein kleines Krankenhaus und eine | |
Schule. In der unmittelbaren Nachbarschaft kümmert es sich um die | |
Müllbeseitigung und die Versorgung mit Trinkwasser. „Früher hat die Junta | |
verhindert, dass wir Dienstleistungen für die Familien der Toten anbieten“, | |
sagt Than Myint Aung. „Heute ist auch das möglich.“ | |
## Prominenter Gründer | |
Der Fahrer stoppt seinen Leichenwagen in einem Armutsviertel am Stadtrand. | |
Kleine einfache Betonhäuser, die tiefer als die Straße liegen und bei Regen | |
schnell voll Wasser laufen. Vor dem Haus eines Verstorbenen warten ein | |
Dutzend Angehörige und Freunde. Sie öffnen die Heckklappe des Wagens und | |
hieven aus dem olivgrünen Blechsarg auf der Ladefläche eine mit Plastik | |
ausgeschlagene Bahre. Der schmucklose Sarg ist geriffelt wie ein | |
Schiffscontainer. In Höhe des Kopfes ist ein Glasfenster eingelassen. | |
Aus einer Hütte tragen die Männer eine aufgerollte Bastmatte herbei. Aus | |
ihr ragen die Haare des Leichnams von Sam Maung, 45, der am Morgen | |
verstorben ist. Sein Bruder, der vom Betelnusskauen rote Lippen und Zähne | |
hat, erklärt, warum sich die Familie an die Organisation gewandt hat: „Wir | |
vertrauen Kyaw Thu.“ Kyaw Thu ist das prominente Aushängeschild von FFSS – | |
ein berühmter ehemaliger Filmschauspieler, Mitgründer und heute Präsident | |
der Organisation. Warum er ihm vertraut? „In unserer Familie gibt es | |
Buddhisten und Muslime,“ sagt der Bruder. „Für Kyaw Thu stellt das kein | |
Problem dar.“ | |
Das ist heute keine Selbstverständlichkeit in Birma, dessen Bewohner zu 80 | |
Prozent Buddhisten sind. In den letzten Jahren haben sich die | |
ethnisch-religiösen Spannungen verschärft. Seit die neue Regierung im Amt | |
ist, kam es mehrfach zu antimuslimischen Pogromen – angefacht von | |
rechtsnationalistischen buddhistischen Mönchen. | |
## Der Gründungsmythos | |
Die Geschichte, wie der Schauspieler Kyaw Thu dazu kam, eine | |
Bestattungsgesellschaft zu gründen, wird bei FFSS gern erzählt: Zu Zeiten | |
der Militärjunta hatten ihn die Generäle dazu verpflichtet, in einem | |
Propagandafilm mitzuspielen. Das war ihm so unangenehm, dass er sich beim | |
nächsten Mal weigerte. Darauf bekam er keine Rollen mehr und begann mit den | |
kostenlosen Bestattungen. Auf die Idee hatte ihn ein Regisseur gebracht, | |
der bei einem Krankenhausaufenthalt bemerkt hatte, dass viele Arme die | |
Leichen ihrer verstorbenen Angehörigen nicht abholten – aus Scham. Sie | |
konnten die Einäscherung und Totenzeremonie nicht bezahlen. | |
„Gibt es keine richtige Bestattung, kann die Seele der Verstorbene nicht | |
von einer Existenz in die nächste übergehen“, erklärt Vizepräsidentin Than | |
Myint Aung die buddhistische Denkweise. Dazu gehört, dass der Tote | |
verbrannt und seine Asche verstreut wird – als Symbol für das buddhistische | |
Prinzip der Unbeständigkeit allen Seins. Nach der Verbrennung reicher Leute | |
oder gar bedeutender Mönche werden deren Knochen eingesammelt und dann zur | |
Erinnerung an die guten Taten des Toten aufbewahrt, etwa in einer Pagode. | |
Aber das kann FFSS für die Armen nicht leisten. | |
Eine herkömmliche Bestattung kostet umgerechnet zwischen 10 und 200 Euro, | |
je nach Sarg, rechnet Than Myint Aung vor. „Bei uns ist alles kostenlos – | |
für jeden. Wir finanzieren uns nur durch Spenden.“ FFSS gebe umgerechnet 20 | |
bis 40 Euro pro Bestattung aus. Für Mönche und wohlhabende Spender hat FFSS | |
als besondere Leichenwagen drei üppig mit Goldornamenten verzierte schwarze | |
amerikanische Limousinen. | |
## Reiche Spender, arme Seelen | |
„Reiche, die uns unterstützen, wollen später auch von uns beerdigt werden�… | |
sagt Than Myint Aung. „Sie vererben uns viel.“ Die Organisation profitiert | |
von der Aufmerksamkeit, die das ehrenamtliche Engagement von Schauspielern | |
und Showbiz-Größen mit sich bringt. Die würden etwa als Teil ihrer Hochzeit | |
freiwillig einen Leichenwagen steuern. So sorgten sie sowohl bei sich wie | |
bei den Angehörigen der Toten für gutes Karma. | |
Auch Exschauspieler Kyaw Thu fährt immer wieder Leichen, wie eine | |
Fotoausstellung im ersten Stock des FFSS-Neubaus zeigt. Mittlerweile wirbt | |
er auch im Ausland Spenden für seine Organisation ein, gerade ist er in | |
Japan. Auch die Oppositionsführerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San | |
Suu Kyi hat der Organisation 15.000 US-Dollar zur Verfügung gestellt. „Nur | |
von den Generälen hat uns noch niemand etwas gespendet“, sagt | |
Vizepräsidentin Than Myint Aung. | |
Die letzte Fahrt von Sam Maung im Leichenwagen ist kurz und schlicht. Nach | |
zehn Minuten erreicht Fahrer Myant Zaw Htay das Krematorium im Stadtteil | |
Nord-Okkalapa. Es ist das größte der vier Krematorien in der | |
Sechs-Millionen-Einwohner-Stadt. Auf einem Platz, der an drei Seiten von | |
einem überdachten Gang umgeben ist, parken Busse und Pkws, mit denen die | |
Angehörigen anreisen. | |
## Erleichterung auf den Gesichtern | |
Normalerweise werden die Leichname drei Tage lang aufgebahrt. Doch im Fall | |
des erst vor wenigen Stunden verstorbenen Sam Maung gilt das nicht. Als | |
Alkoholiker hatte er ein schlechtes Karma. Deshalb ist die Zeremonie des | |
Abschiednehmens, bei der normalerweise alle vom guten Karma des | |
Verstorbenen etwas abbekommen, nicht so wichtig. | |
Der Blechsarg mit Sam Maungs Leichnam wird auf ein Gestell mit Rädern | |
geladen. Ein Junge lässt rhythmisch eine als Gong genutzte Metallplatte | |
ertönen. Die trägt er mit einem anderen Jungen an einem Stock über der | |
Schulter. Angehörige und Freunde werfen noch einen kurzen Blick durch das | |
Sargfenster auf Sam Maungs Gesicht in der Bastmatte. Sie wirken gefasst. | |
Nur wenige weinen. | |
Vor der Halle mit dem Schornstein ist ein kleiner Stau mit vier | |
aufgebahrten Särgen entstanden. Ein Schild verbietet das Fotografieren. Im | |
Zweiminutentakt holen Arbeiter die Särge ab und schieben die Leichen in den | |
Ofen. Dessen Klappe befindet sich hinter einer Tür, die eigentlich nur die | |
Mitarbeiter passieren dürfen, wie ein weiteres Schild anordnet. Doch mit | |
Sam Maungs Sarg verschwinden auf einmal zehn Personen hinter der Tür. | |
Niemand protestiert. Kurz darauf kommen sie erleichtert blickend mit dem | |
leeren Blechsarg zurück. | |
Myant Zaw Htay fährt das leere Auto zurück zur Zentrale. Sein Handy | |
klingelt. Auf dem Display leuchtet ein menschliches Skelett. Der nächste | |
Tote wartet. | |
12 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
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