# taz.de -- Kommentar Berliner Antifa: Scheitern der Kapuzenpolitik | |
> Eine Gruppe, die die antikapitalistischen Kämpfe über Jahre entscheidend | |
> geprägt hat, gesteht ihre Lernfähigkeit ein. Auf Wiedersehen. | |
Bild: Linke Demonstration in Hamburg. | |
AktivistInnen aus dem autonomen Milieu wird, meist von gemütlicheren | |
ZeitgenossInnen, gerne einiges vorgehalten: politische Plattheit, eine | |
verkürzte Kapitalismuskritik und der fehlende Wille zur kritischen | |
Selbstreflexion gehören dazu. Die Tatsache, dass sich mit der | |
Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) eine prototypische und | |
einflussreiche Kerngruppe dieses Milieus auflöst, ist der Ausdruck einer | |
Antifa in der Krise. Wenn sich ausgerechnet die Gruppe, die zentral und | |
typisch für „die Antifa“ stand, jetzt auflöst – was sagen wir da: Bye-b… | |
Antifa? Oder lieber: Auf Wiedersehen? | |
Bei aller Kritik, die aus den grünbürgerlichen Milieus einerseits, | |
andererseits aus dem linksradikalen Spektrum in den letzten Jahren immer | |
wieder an klassische Antifagruppen gerichtet wurde – ausgerechnet der | |
letzten Meldung der ALB, [1][dem Auflösungsschreiben], ist von Plattheit | |
und Gram wenig anzumerken. Im Gegenteil: Der alte Slogan „Antifa heißt | |
Angriff“, so heißt es da, sei höchstens noch als „Phrasendrescherei“ zu | |
werten. In einem ruhigen, differenzierten Ton gesteht dort eine Gruppe, die | |
die antikapitalistischen Kämpfe über Jahre entscheidend geprägt hat und die | |
viele für nicht lernfähig hielten, ihre Lernfähigkeit ein. Und, ja, damit | |
auch ihr Scheitern. | |
Dieses Ende ist das Ergebnis einer langwierigen selbstkritischen | |
Auseinandersetzung, die die Szene in den vergangenen Jahren offensiv und | |
öffentlich mit sich ausgetragen hat. In vielen deutschen Städten haben | |
Antifa-Gruppen sich daraufhin neu sortiert. Dafür gab es auch genügend | |
inhaltliche und strategische Gründe. | |
Auf zahlreichen politischen Feldern – seien es die Flüchtlingsproteste, das | |
Aufkommen der rechtskonservativen Partei AfD oder die Debatte um | |
Überwachung nach den Enthüllungen von Edward Snowden – haben viele | |
klassische autonome Gruppen keine politischen Mittel und Wege – kurz: keine | |
Anschlussfähigkeit – mehr für sich gefunden. | |
## Konflikt um politische Mittel | |
Das langsame Scheitern der Kapuzenpolitik hat aber neben der inhaltlichen | |
auch eine ästhetische Komponente: Die neue Bastion der antikapitalistischen | |
Linken ist das Grafikbüro. Zahlreiche linke Strömungsgruppen haben | |
begriffen, dass sie den Weg in Richtung gesellschaftlicher Veränderung nur | |
erfolgreich antreten können, wenn sie an ihrer Popularisierung arbeiten und | |
damit auch an der Ästhetik radikalen Handelns. Die offene Konfrontation und | |
ein buntes, dennoch radikales Auftreten haben ausgehend von den | |
G-8-Protesten in Heiligendamm 2007 das Gesicht einer pluralistischen | |
Mosaiklinken geprägt, die lebensbejahend ist und politische Komplexitäten | |
anerkennt. | |
Der symbolträchtige Konflikt innerhalb der ALB, die lange der wichtigste | |
Gastgeber der „revolutionären 1.-Mai-Demonstration“ in Berlin war, ist | |
letztlich auch ein Konflikt um diese Frage – eine Frage der politischen | |
Sprache und der politischen Mittel. Die ALB ist mit ihrer Selbstauflösung | |
diesen Schritt in letzter Konsequenz gegangen. Nicht hinfort, nicht auf | |
Nimmerwiedersehen, sondern dorthin, wo die Aufgaben liegen: die | |
außerparlamentarische Linke in Deutschland strömungsübergreifend zu | |
erneuern. Das bedeutet: Tschüss, Antifa. Und: Auf Wiedersehen. | |
9 Sep 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.antifa.de/cms/content/view/2383/1/ | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
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