# taz.de -- Oper in Berlin: Keinen einzigen Schritt weiter | |
> In der Deutschen Oper Berlin feiert „Oresteia“ von Iannis Xenakis | |
> Premiere – einem Komponisten, der für Klassiker der Nachkriegsmoderne | |
> steht. | |
Bild: Michael Hofmeister als Athene. | |
BERLIN taz | Eigentlich ist die Deutsche Oper geschlossen. Der große Saal | |
wird renoviert. Die erste echte Premiere der Saison kann erst im Januar des | |
kommenden Jahres stattfinden. Aber der Intendant Dietmar Schwarz gönnt | |
seinem Haus trotzdem keine Pause. Es gibt konzertante Aufführungen in der | |
Philharmonie, das Programm der Studiobühne in der ehemaligen Tischlerei ist | |
prall gefüllt - und es gab auch eine Eröffnung der Saison, die sehr wohl | |
erkennen lässt, wohin Schwarz seine Deutsche Oper führen will: Es geht | |
zurück in die radikale Moderne. Letztes Jahr begann die Spielzeit mit einer | |
spektakulären, multimedialen Variation über ein kleines, fast vergessenes | |
Stück von Mauricio Kagel, genannt „Himmelsmechanik“. In diesem Jahr geht | |
Iannis Xenakis voran, der 2001 verstorbene Komponist und Bauingenieur, der | |
Klassiker der Nachkriegs-Moderne wie das Orchesterstück „Metastasis“ | |
hinterlassen hat. Weniger bekannt ist seine Interpretation der Orestie von | |
Aischylos, die er selbst „Musiktheater“ genannt hat. Sie ist 1966 in den | |
USA uraufgeführt worden, aber Xenakis kam zweimal darauf zurück, so wichtig | |
war ihm dieser Stoff. 1987 fügte er ein etwa 15 Minuten langes Duett für | |
Bariton und Schlagzeug ein, das die Figur der Kassandra ins Zentrum stellt. | |
Die Anforderungen an den Sänger sind extrem. Er muss im Falsett Kassandras | |
Klagen singen, in die übergangslos Texte des Chores hinein geschnitten | |
sind, die den Sänger zwingen, ebenso übergangslos in seine natürliche | |
Stimmlage zurückzufallen. Daraus entsteht eine verblüffend dichte, | |
dramatische Szene ohne Handlung. 1992 kam schließlich der große Monolog der | |
Athene aus dem Schluss der „Eumeniden“ von Aischylos hinzu. Wieder muss ein | |
Sänger ständig und ohne Übergang zwischen höchstem Falset und tiefem | |
Bariton hin und her springen, diesmal, weil die Kopfgeburt Athene Frau und | |
Mann zugleich sein soll. Denn nur so konnte sie für Aischylos wie auf für | |
Xenakis befugt sein, den Athenern das Gericht zu verordnen, das den | |
Muttermörder Orest freisprechen kann. | |
## Auf dem Parkdeck | |
Der Text ist ungefähr 2.500 Jahre alt, und lässt einen noch immer | |
erschauern, weil wir in der Politik noch keinen einzigen Schritt | |
weitergekommen sind. Man muss nur die Zeitung aufschlagen, um zu begreifen, | |
und in der musikalischen Übersetzung von Xenakis ist es noch deutlicher: | |
Nur Recht und Demokratie (auch für die „Fremden in der Stadt“) werden das | |
Morden beenden und Wohlstand schaffen. Xenakis befreit die Orestie von all | |
den Bildungsballast, den sie gewöhnlich im Sprechtheater mit schleppt. | |
Nackt, klar und auf etwa 70 Minuten verdichtet kommt sie daher, | |
brandaktuell in Chören, die altgriechisch sprechen, und dennoch | |
verständlich sind, weil sie eingebettet sind in ein Konzept des | |
musikalischen Theaters, das Worte in Klänge und Rhythmen übersetzt: Ein | |
Meisterwerk, das noch immer Maßstäbe setzen könnte, wenn es häufiger | |
aufgeführt würde. Die Deutsche Oper hat es immerhin versucht, wenn auch | |
unter widrigen Umständen. Gespielt wird auf dem so genannten „Parkdeck“, | |
das eine architektonische Wüste zwischen Verwaltungsbauten und der | |
Blechwand der Remise ist. Eine für große Requisiten dimensionierte | |
Verladerampe dient als Bühne für das Orchester und den Chor, die beide | |
trotz miserabler Akustik einigermaßen zurechtkommen mit dieser nur | |
vordergründig einfachen, oft monodischen Musik, die aber extreme | |
rhythmische Präzision verlangt. Weniger gut gelungen ist die Notlösung | |
leider dem Regisseur David Hermann und Christof Hetzter, der für Bühne und | |
Kostüme verantwortlich ist. Sie haben die Open Air-Situation dazu benutzt, | |
auch mal einen Schaufelbagger auffahren zu lassen, der Atriden-Müll ablädt | |
und die tote Kassandra entsorgt. Warum aber muss der Chor Tiermasken | |
tragen, die nicht so recht erkennen lassen, ob Schweine oder Schafe gemeint | |
sind? Für Xenakis, Mitglied der griechischen KP, war der Chor das Volk, und | |
für Aischylos erst recht. Richtig schlimm ist dann das Ende. Hermann lässt | |
einen Mercedes einrollen, aus dem heraus ein tuntig aufgemotzter Michael | |
Hofmeister, Bariton, die jubelnde Viehherde um ihn herum begrüßt, als hätte | |
die Göttin Athene nun doch endlich Hillary Clintons | |
Präsidentschaftswahlkampf eröffnet. Treuherzig gibt Hermann im Programmheft | |
zu, dass er hier Xenakis nicht habe folgen können. Natürlich nicht, weil er | |
ja schon den Chor nicht verstanden hat. Schade, dass es diesmal für mehr | |
nicht gereicht hat. | |
10 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Niklaus Hablützel | |
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