| # taz.de -- „Castor et Pollux"-Inszenierung in Berlin: Seelen singen im Erdha… | |
| > Barrie Kosky hat seine Inszenierung von Rameaus „Castor et Pollux“ aus | |
| > London an die Komische Oper geholt. Das ist großes Theater auf engstem | |
| > Raum. | |
| Bild: In der Unterwelt von „Castor et Pollux“. | |
| Neu ist es nicht, was Barrie Kosky jetzt auf seine eigene Bühne der | |
| Komischen Oper in Berlin gebracht hat. Aber die Juroren des „Laurence | |
| Olivier Award“ hatten schon recht, als sie ihm für seine Inszenierung von | |
| Rameaus "Castor et Pollux" an der „English National Opera“ 2011 ihren Preis | |
| verliehen. | |
| Ein Londoner Kritiker schrieb schon damals, Kosky habe vor allem die Musik | |
| von Jean Philippe Rameau „atmen“ lassen. Genau das ist auch jetzt an der | |
| Behrensstraße wieder zu hören. Kosky hat für die zweite Auflage seiner | |
| Regie seinen Londoner Dirigenten Christian Curnyn und den Tenor Allan | |
| Clayton nach Berlin geholt. Erneut kann die Musik des großen Zeitgenossen | |
| von Voltaire und Rousseau, die in Deutschland noch immer nahezu unbekannt | |
| ist, ihren vollen Reichtum entfalten. | |
| Das Orchester der Komischen Oper spielt wundervoll, eben weil es sich nicht | |
| bemüht, so krampfhaft barock zu klingen, wie das die gefühlten 3000 | |
| Ensembles für Alte Musik in Deutschland zu tun pflegen. Hölzerne | |
| Querflöten, eine eng mensurierte Trompete und eine Gambe als Continuo-Bass | |
| müssen zwar schon sein, aber es kommt Curnyn nicht auf die historische | |
| Instrumentaltechnik an, sondern auf die musikalische Substanz, die | |
| Originalität der Melodien, Rhythmen, und harmonischen Wendungen. | |
| ## Zwischen Erzählung und Introspektion | |
| „Castor et Pollux“ ist in der zweiten Version von 1754, die Kosky spielen | |
| lässt, eine Oper, die weit über die Konventionen ihre Zeit hinausgeht. Ihre | |
| Arien sind keine Spielvorlagen mehr für die Selbstdarstellung virtuoser | |
| Gesangsstars an der Rampe. Ihre Form ist offen, die Übergänge zwischen | |
| Dramatischer Erzählung und lyrischer Introspektion sind fließend. Und immer | |
| folgt die Melodie dem Text in einer Art und Weise, die erst wieder bei | |
| Janacek zu finden ist. | |
| Ein universales Meisterwerk also ist neu zu entdecken, und allein dafür | |
| muss man der Komischen Oper dankbar sein. Kosky sperrt die Personen in | |
| einen radikalen Guckkasten aus hellem Holz ein, den ihm Katrin Lea Tag | |
| gebaut hat. Darin gibt es nichts zu sehen außer (manchmal) einem großen | |
| Haufen schwarzer Erde. Das ist der Eingang zur Unterwelt. Die beiden | |
| Sternbild-Brüder - sterblich der eine, unsterblich der andere - müssen | |
| darin herum wühlen und sich durch graben. | |
| ## Aus Liebe in der Unterwelt | |
| Schuld daran ist eine sehr unglückliche Liebesgeschichte. Sie lieben beide | |
| die eine von zwei Frauen, die beide auch nur den einen von beiden lieben. | |
| Vor allem aber lieben sich die beiden Brüder so sehr, dass der eine dem | |
| andern die eine Frau überlässt. Nur stirbt der schon im ersten Akt, | |
| weswegen der Schauplatz nun (teilweise) in die Unterwelt verlegt werden | |
| muss, während die weniger generösen Frauen oben ihren Kampf gegeneinander | |
| weiterführen. | |
| Kompliziert, aber doch so einfach und klar, weil Kosky Rameaus Musik zuhört | |
| und sie allein aussprechen lässt, was in den Seelen dieser Menschen | |
| vorgeht. Sie tragen Alltagskleider, keine weiteren Dekorationen sind nötig. | |
| Nur der Chor darf manchmal Gespenstermasken tragen, weil es ja wirklich | |
| böse Geister sind, die uns in der Liebe böse Streiche spielen. Es ist auf | |
| leise, subtile Art tragisch, mit einem melancholischen Zug in die Komik, | |
| die erotische Verwirrungen nun mal an sich haben. Sogar Jupiter selbst kann | |
| das Problem nicht wirklich lösen. Er stellt zwar am Ende die beiden Brüder | |
| als Zwillingssterne an den Himmel. Von dort regnen sie bei Kosky nun | |
| Glimmerstrahlen herunter. Aber die beiden Frauen gehen leer aus. Die eine | |
| sitzt wahnsinnig geworden in der Ecke, die andere guckt buchstäblich in die | |
| Sterne... | |
| Großes Theater auf engstem Raum ist das, reduziert auf das wesentliche, | |
| konkret und sinnlich, ohne Eitelkeiten und Anspielungen für Insider. Kosky | |
| eben, könnte man auch sagen, und - falls wir es vergessen haben zu | |
| vermelden: in London ist er letzten Monat von der Jury der „International | |
| Opera Awards“ nun auch noch zum „Regisseur des Jahres“ gekürt worden. | |
| Wahrscheinlich haben sie wieder Recht, die Londoner Kritiker. | |
| 12 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Niklaus Hablützel | |
| ## TAGS | |
| Komische Oper Berlin | |
| Deutsche Oper | |
| Elbphilharmonie | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Oper in Berlin: Keinen einzigen Schritt weiter | |
| In der Deutschen Oper Berlin feiert „Oresteia“ von Iannis Xenakis Premiere | |
| – einem Komponisten, der für Klassiker der Nachkriegsmoderne steht. | |
| Neuer Musikfest-Anlauf: Orte für die Ohren | |
| Hamburg hat wieder ein Musikfest. Respekt verdient der Initiator, | |
| Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter, schon dafür, dass er | |
| die teils zerstrittene Szene mit ins Boot bekommen hat. Programmatisch | |
| herausgekommen ist dabei ein hochklassiger, aber unverbindlicher Mix. | |
| Barenboims Akademie: Ein Haus der Hoffnung | |
| In Mitte entsteht die Barenboim-Said Akademie, an der Stipendiaten aus | |
| Israel und dem Nahen Osten ab Herbst 2016 gemeinsam musizieren sollen. |