| # taz.de -- Brecht und Weil an der Staatsoper Berlin: Mode und Luxus feiern Par… | |
| > Am Ende macht's die Gaderobe: An der Staatsoper inszenieren Boussard, | |
| > Lemaire und Lacroix die Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“. | |
| Bild: Hinter den Glitzerfäden steht neongrün der Mond von Alabama am Himmel. | |
| Sie sind zurückgekehrt, die Vorhänge aus funkelnden Fäden, die vor vier | |
| Jahren schon einmal die Verbrecher dieser Welt in die alles verzeihenden | |
| Schleier luxuriöser Pracht gehüllt haben. Das Stück hieß damals | |
| „Agrippina“, spielte in Neros Rom und war von Händel. Diesmal heißt es | |
| „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, spielt irgendwo in Amerika und ist | |
| von Bert Brecht und Kurt Weil. | |
| Der Regisseur Vincent Boussard, der Bühnenbildner Vincent Lemaire und – vor | |
| allem – der Haute Couturier Christian Lacroix sind inzwischen ein erprobtes | |
| Team, das seine unverwechselbaren Codes für die Inszenierung von Opern | |
| entwickelt hat. Boussard erzählt die Geschichten so wie sie geschrieben | |
| sind, ohne allzu viel Tiefsinn und ohne jeden Ehrgeiz, uns über den wahren | |
| Zustand der Welt und des menschlichen Geschlechts an sich aufzuklären. | |
| Vincent entwirft dazu imaginäre Räume mit symbolischen Requisiten und | |
| Lacroix gibt den handelnden Personen Kleider, in denen sie allein schon | |
| einen abendfüllenden Auftritt hinlegen könnten. „Ansahen sich die Männer | |
| von Mahagonny. Ja, sagten die Männer von Mahagonny“, singt Evelyn Novak als | |
| Nutte Jenny am Ende, wenn Gott selbst in die Netzestadt kommt. Dürfen die | |
| Männer des Staatsopernchores ihre Anzüge danach mit nach Hause nehmen? | |
| Und Evelin Novak das raumgreifend üppige Hochzeitskleid, das sie tragen | |
| darf, um sich Michael König, dem Holzfäller Mohoney anzupreisen? Oder | |
| Gabriele Schnaut, die Wagnersängerin in der Rolle der Witwe Begbick, ihre | |
| Palliettenrobe? Die Laufstege der Welt ständen ihnen offen. | |
| Großartig anzuschauen ist das im Schillertheater. Mode und Luxus feiern | |
| Party zur Musik von Kurt Weil, die, von Wayne Marshall dirigiert, leider | |
| ein wenig blass klingt. Und Gabriele Schnaut kommt mit Wagner ganz sicher | |
| besser zurecht, als mit Weils komplizierter, jazziger Ballhaus-Mischung von | |
| Zitaten, Parodien und Schlagern. Aber die Garderobe macht's am Ende auch in | |
| ihrem Fall. | |
| Alle anderen haben ohnehin ihren Spaß, weil das Konzept dieser Regie sie | |
| von der heiligen Pflicht befreit, den großen Dichter Bertolt Brecht auf | |
| einer deutschen Bühne zu spielen, angefüllt bis zum Rand mit den | |
| ästhetischen und politischen Ballaststoffen, die gewöhnlich dabei erwartet | |
| werden. Anders vorgestellt hatte sich Brecht das wahrscheinlich schon, | |
| billig, vulgär und sogar proletarisch. Jetzt ist aus der Vorstadt plötzlich | |
| die Metropole geworden. Aber das schadet nicht. | |
| Hinter den Glitzerfäden steht neongrün der Mond von Alabama am Himmel. Er | |
| leuchtet über einem Theaterstück, das in dieser kostbaren Umgebung zu sich | |
| selber kommt. Natürlich ist es eine Satire auf den Kapitalismus. Aber das | |
| ist nur die Oberfläche, und hier ganz unwichtig. „Geld macht sinnlich“ ist | |
| hier keine Kritik. Wer soviel Geld für Kleider ausgeben kann, muss diesen | |
| Satz für eine ziemlich triviale Tatsachenfeststellung halten. | |
| Und wenn einer die Rechnung nicht bezahlen kann, nun ja, in der | |
| Wirklichkeit wird man ihn nicht gleich aufhängen, aber abtreten muss der | |
| schon. Mit moralischen Fallhöhen ist in keinem Fall zu rechnen, weder im | |
| Kapitalismus noch im Theater dieses befreiten Brecht. Er hat mit Kurt Weil | |
| zusammen kein Drama geschrieben, und schon gar kein Lehrstück der | |
| politischen Propaganda, sondern eine nur lose zusammen hängende Folge von | |
| Szenen. | |
| Oft sind sie grotesk überzeichnet wie in einem Slapstick-Film, manchmal | |
| aber auch so still und anrührend wie das Lied vom Kranich und der Wolke, | |
| das längst zum Kanon der großen deutschen Liebeslyrik gehört. Nichts und | |
| niemand wird in diesen singulären Gesamtkunstwerken verurteilt. Sie | |
| gehorchen ausschließlich ihren inneren, formalen Regeln. | |
| Die Staatsoper fügt ihnen eine weitere Ebene gut brechtischer Verfremdung | |
| hinzu. „Glotzt nicht so revolutionär“, scheint das französisch-belgische | |
| Trio sagen zu wollen. Und wenn am Ende der Fadenvorhang endgültig fällt und | |
| das Licht ausgeht, dann sind wieder alle Fragen offen. Endlich sind sie | |
| wieder offen, möchte man sagen, aber es hat nicht allen gefallen in der | |
| Premiere. Ein paar vernehmliche, entschlossene Buhs waren auch zu hören, | |
| als die drei Regisseure auf die Bühne kamen. | |
| 9 Jun 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Niklaus Hablützel | |
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