# taz.de -- „Der Freischütz“ in der Staatsoper: Unterirdisch fromm | |
> Michael Thalheimer hat Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ neu | |
> inszeniert. Der Premierenapplaus war – na ja, überwiegend freundlich. | |
Bild: Die Chorsolistinnen singen „Wir flechten dir den Jungfernkranz“, dane… | |
Ihre Welt ist ein dunkler Schacht, den jemand vor Jahren kreisrund in die | |
Erde gebohrt hat. Die Wände sind schwarz, verkarstet und rissig. | |
Abgebrochene Äste liegen herum. Licht kommt nur von ganz hinten aus dem | |
Eingangsloch. Es ist blendend weiß, verliert sich aber bald in dieser | |
vermoderten Unterwelt. | |
Nur schemenhaft sind deshalb im Bühnenvordergrund die Leute zu erkennen, | |
die sich hier unten versammelt haben. Sie tragen korrekte Anzüge aus gutem | |
Tuch, und halten Äste in der Hand. Man könnte sie für Bürger einer | |
vergangenen Zeit halten, die vielleicht von einem Sonntagsausflug in die | |
Natur zurückgekehrt sind. | |
Wozu diese unterirdische Anlage einmal gebaut worden ist, wissen sie | |
wahrscheinlich auch nicht mehr. Sie sind hier zu Hause und achten auf | |
Regeln des Anstands, der Treue und Frömmigkeit. Sie besingen die | |
Waidmannslust. Nur einer kauert in der Ecke. Er umklammert eine Flinte, | |
aber sie lachen ihn aus, weil er in der letzten Zeit nichts mehr getroffen | |
hat. | |
Wie diese Geschichte weitergeht, ist so allgemein bekannt, dass es heute | |
ein Problem ist, diese Oper aufzuführen. Man muss sie gegen ihre | |
Popularität in Schutz nehmen. Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ ist | |
seit der Uraufführung im Berliner Schauspielhaus am Gendarmenmarkt von 1821 | |
die Oper der deutschen Nation schlechthin. So hat es das stürmisch jubelnde | |
Publikum bei der Premiere verstanden, die Presse feierte mit. | |
## Frömmigkeit, Treue, und Gehorsam | |
Ganz falsch war das nicht. Der Freischütz spiegelt sehr genau die deutsche | |
Stimmung nach den Wirren der napoleonischen Kriege. Frömmigkeit, Treue, und | |
Gehorsam sind das Thema des Textes von Johann Friedrich Kind aus Dresden | |
und der ganz Europa herumreisende, gar nicht national gesinnte Pianist und | |
Komponist Weber hat seine Musik nicht dagegen geschrieben. Sie stimmt mit | |
ein in die Feier der Ordnung und Obrigkeit, lässt den Teufel höllisch | |
flackern, aber eben nicht gewinnen: „Wir flechten dir den Jungfernkranz“ | |
gehört noch heute zum Kernbestand ländlicher Singvereine. | |
Michael Thalheimer und sein Bühnenbildner Olaf Altmann zeigen auf | |
beeindruckend drastische Weise, warum gerade diese Oper noch immer geliebt | |
und überall aufgeführt wird. Meistens haben Intendanten und Regisseure | |
dabei ein schlechtes Gewissen wegen der deutschtümelnden Jägerei, die sich | |
nun mal nicht austreiben lässt - und wenn man es doch tut, dann hagelt es | |
Verrisse wie zuletzt bei Calixto Bieito an der Komischen Oper Berlin. | |
Thalheimer und Altmann haben keine Angst davor, beides gleichermaßen ernst | |
zu nehmen: Die nationale Romantik des Textes und die volksliedhafte | |
Sanglichkeit der Musik. | |
Sie stecken beide im selben Erdloch, und sind dort so aktuell wie sind nur | |
sein können. Auf der Bühne steht gar nicht symbolisch, sondern konkret und | |
plastisch sichtbar der Geburtskanal der Pegida-Demonstrationen. Selten hat | |
ein Opernhaus mehr getan für die politische Aufklärung als hier. Alles ist | |
zu hören und zu sehen, was gegenwärtig zehntausende auf die Straße treibt: | |
Das unheimliche Fremde in der Wolfsschlucht, das Elend eines Versagers, | |
dann die Güte des Vaters, die Unschuld der Frauen, die Wahrheit des | |
christlichen Glaubens. | |
Und es geht am Ende gut aus. Nicht weil irgendwelche Forderungen erfüllt | |
werden, sondern weil sich alles wieder einfügt in die Rituale der | |
Biederkeit. Immer wieder müssen Figuren durch das blendend weiße Loch des | |
Höhleneingangs hinein kriechen. Da draußen ist offenbar nichts, was sie | |
halten könnte, sie müssen zurück in den Schacht, den sie nicht als | |
Gefängnis, sondern als Heimat empfinden. | |
## Ausnahmslos großartig gesungen | |
Das ist großes, wenn auch bedrückendes Theater. Bedrückend, weil es nichts | |
kritisiert. Weber vor allem kommt zu seinem vollen Recht, wunderbar dicht | |
und klangvoll gespielt von der Staatskapelle unter Sebastian Weigle, und | |
ausnahmslos großartig gesungen von Burkhard Fritz, Falk Struckmann, | |
Dorothea Röschmann, Anna Prohaska und Roman Trekel. Es ist wohnliche Musik, | |
die da erklingt, sie artikuliert Lust und Leid, Angst und Trost, aber immer | |
so, dass keine Grenzen gesprengt werden. Wir dürfen zurück kehren in den | |
vertrauten Garten der frühen Romantik. | |
Ganz am Ende jedoch, wenn der Oberförster aufruft, die Augen zu heben, um | |
dem Schöpfer zu danken, schickt Thalheimer dann doch eine Warnung in den | |
Saal. Max und Agathe, das Brautpaar, blicken zu Boden. Und die Sprechrolle | |
des Samiel geistert ohnehin schon seit der Ouvertüre überall herum. Denn | |
hier muss niemand hinunter in die Wolfsschlucht. Wir sind schon dort, ganz | |
unten, wo Webers Höllenmusik das Böse spielen lässt. Verstehen muss man | |
nur, und man kann es bei Thalheimer hören, dass die fröhlichen Jäger oben | |
das selbe Lied singen. | |
Natürlich hat auch die Staatsoper die öffentliche Erklärung der Deutschen | |
Bühnen gegen die Pegida-Bewegung unterzeichnet, und der Premierenapplaus | |
war – na ja, überwiegend freundlich. | |
19 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Niklaus Hablützel | |
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