# taz.de -- AKW Stade strahlt länger: Atomaufsicht außer Kontrolle | |
> Niedersachsens Umweltministerium hat den Austritt von Radioaktivität aus | |
> dem Reaktor Stade verschwiegen. Der Abriss wird sich um Jahre verzögern. | |
Bild: Als dieses Luftbild im Jahr 2000 vom AKW Stade gemacht wurde, war es noch… | |
HANNOVER taz | Der Abriss des niedersächsischen Atomkraftwerks Stade wird | |
mindestens drei bis vier Jahre länger dauern als bisher geplant. Grund | |
dafür sind erhöhte Strahlungswerte im Sockel des Reaktorgebäudes. | |
„Der Bodenbereich ist flächendeckend kontaminiert“, musste Werner Fieber | |
einräumen. Fieber ist Leiter des für die „Stilllegung kerntechnischer | |
Anlagen“ und „nukleare Versorgung“ zuständigen Referats 42 des als | |
Atomaufsicht fungierenden niedersächsischen Umwelt- und Energieministeriums | |
in Hannover. Im Beton seien Werte von bis zu 164.000 Becquerel pro | |
Kilogramm gemessen worden. Zum Vergleich: Bei Lebensmitteln gilt ein | |
Grenzwert von 600 Becquerel pro Kilogramm. | |
Strahlender Müll aus anderen Teilen des AKW Stade sorgt seit Jahren für | |
Proteste – zuletzt in Sachsen: Nach heftigen Demonstrationen will der | |
Betreiber der dortigen Deponie Grumbach statt 2.000 nur 700 Tonnen noch | |
immer leicht strahlenden Materials aufnehmen, dass offiziell zu „Bauschutt“ | |
erklärt wurde. Erst am Dienstag war ein erster Lastwagen mit dem AKW-Schutt | |
aus Stade in Sachsen eingetroffen – und erst am späten Dienstagnachmittag | |
um 17.37 Uhr hatte das von Niedersachsens stellvertretendem | |
Ministerpräsidenten Stefan Wenzel (Grüne) geführte Umweltministerium per | |
Pressemitteilung über die erhöhte Strahlenbelastung in Stade informiert. | |
In Hannover ist deshalb bereits vom unschönen Wort „Vertuschung“ die Rede: | |
Schließlich wusste Wenzels Atomabteilung nach eigener Aussage zumindest in | |
groben Zügen bereits seit Februar von der „radioaktiv kontaminierten | |
Kondensnässe“, die aus dem Primärwasserkreislauf des Atomkraftwerks | |
ausgetreten sein soll. Außerdem hatte Minister Wenzel selbst die | |
sächsischen Proteste erst vor einer knappen Woche bei einer Pressekonferenz | |
zum Thema gemacht. Über erhöhte Strahlungswerte im AKW Stade aber verlor | |
der Grüne kein einziges Wort. | |
## Atomkraftgegner wenig überrascht | |
Die Atomaufsicht habe den eigenen Minister „nicht informiert“, sagte | |
Referatsleiter Fieber dazu vor der versammelten Landespressekonferenz – ein | |
detailliertes Fachgespräch mit dem AKW-Betreiber Eon habe erst einen Tag | |
nach Wenzels Pressekonferenz stattgefunden. Bereits im Juli auf Stand | |
gebracht wurden dagegen die Atomaufsichtsbehörden der anderen Bundesländer. | |
„Wenn das alles stimmt und der Minister nicht nur geschützt werden soll, | |
hat der erklärte Atomkraftgegner Wenzel seine Atomaufsicht nicht im Griff“, | |
meinen dagegen Insider. | |
Denn bis heute bleibt unklar, wann die strahlende Flüssigkeit den | |
Primärkreislauf verlassen hat: Dass die Radioaktivität im Normalbetrieb | |
entwichen sein könnte, schließt Referatsleiter Fieber aus. Stattdessen sei | |
ein Austritt „bei Druckprüfungen während der Revisionen“ wahrscheinlich. | |
Betreiber Eon erklärt dagegen, dass „die Kontaminationen im | |
Leistungsbetrieb“ entstanden seien – der Reaktor war also nicht | |
abgeschaltet. | |
Wenig überrascht von dem Radioaktivitätsaustritt geben sich | |
Atomkraftgegner. „In Stade hat es immer wieder Störfälle gegeben, bei denen | |
auch radioaktiver Dampf aus dem Primärkreislauf entwichen sein soll“, sagt | |
etwa der Vorsitzende des Umweltschutzverbandes BUND, Heiner Baumgarten, der | |
in Stade lebt. „Auch deshalb haben wir doch immer wieder vor dem AKW | |
demonstriert.“ | |
Es sei „unwahrscheinlich“, dass diese Störfälle bei den Ministerialen in | |
Wenzels Umweltministerium in Vergessenheit geraten seien, glaubt | |
Baumgarten. Stattdessen müssten die Pannen längst Teil des Rückbaukonzepts | |
für das AKW sein. „Die bisherige Informationspolitik ist nicht | |
ausreichend“, findet der BUND-Chef. „Nötig ist wirkliche Transparenz – | |
sonst wird selbst der Abriss der Atomkraftwerke und die Lagerung des | |
Atommülls von Misstrauen geprägt sein.“ | |
10 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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