# taz.de -- Ein Kopf des Widerstands: Es macht keinen Spaß mehr | |
> Der Fischer Heinz Oestmann hat lange gegen den Abriss von Altenwerder | |
> gekämpft. Jetzt versucht er, sein Fischrestaurant zu verkaufen, damit er | |
> in Rente gehen kann. | |
Bild: War einst eine Symbolfigur des Widerstands gegen die Hafenerweiterung: He… | |
HAMBURG taz | Heinz Oestmann sitzt in seiner Wohnküche und flucht über die | |
elend langen Iban-Kontonummern. Auf einer Wachstuchtischdecke liegen | |
Rechnungen und Kontoauszüge – Papierkram, der ihm das Leben schwer macht. | |
Bis vor vier Jahren ist er noch mit seinem Kutter „HF 512“ hinaus auf die | |
Nordsee gebrummt. Jetzt kümmert er sich nur noch um sein Fischrestaurant. | |
Doch statt ihm mit einem stetigen Geldsegen ein sorgenfreies Leben zu | |
ermöglichen, macht das Restaurant das mit ihm, was er immer vermeiden | |
wollte: Es macht ihn unfrei. | |
Oestmann hat sich das Restaurant 1997 mit dem Geld gekauft, das ihm die | |
Stadt Hamburg dafür gab, dass er aus seinem Heimatdorf Altenwerder wegzog, | |
um Platz für einen Containerhafen zu machen. Die Oestmanns waren fast die | |
Letzten, die in der ehemaligen Fischersiedlung ausharrten – nur der Lehrer | |
Werner Boelke ließ sich länger bitten. | |
Vorausgegangen waren 25 Jahre Widerstand dagegen, dass das Dorf dem | |
Hamburger Hafen geopfert werden sollte. Genützt hat es am Ende nichts. Der | |
Containerterminal ist seit 2002 in Betrieb. Ab Dienstag verhandelt das | |
Verwaltungsgericht über die Frage, ob es rechtens war, dafür das Dorf | |
abzureißen. | |
Mit seinem Wuschelkopf, seinem Rauschebart und seiner direkten Art war | |
Oestmann eine bekannte Persönlichkeit des Widerstands in Altenwerder. 48 | |
Jahre lang hat er dort gelebt. Zurück blickt er ungern. Seit er weggezogen | |
ist, war Oestmann nur noch zweimal in Altenwerder: Einmal auf dem Friedhof | |
neben der heute noch stehenden Kirche, auf dem sein mit Anfang 50 | |
verstorbener Vater liegt. „Ich hab’ ihm noch mal auf den Kopf gepinkelt“, | |
erzählt er. „Du sollst es schön warm haben.“ Seinem Vater sei derlei egal | |
gewesen. Außerdem ging er hin, als sein Haus frisch abgerissen war. Er | |
wollte sehen, ob es auf Pfählen stand. Dann gab es mehr Geld von der Stadt. | |
Oestmann findet, er sei fair entschädigt worden. 480.000 Mark habe er | |
bekommen, keineswegs die Millionen, von denen immer gemunkelt worden sei. | |
2,7 Millionen, großteils auf Kredit, investierte er in die eingeschossige | |
Kombination aus Wohnhaus und Restaurant im Nachbardorf Finkenwerder. „Es | |
war nicht geplant, dass meine Frau nach anderthalb Jahren schon den Löffel | |
abgibt“, sagt Oestmann. Nur 47 Jahre alt sei sie geworden. Der Krebs. | |
## Ein Foto aus den 70er-Jahren | |
An der Wand überm Küchentisch hängt ein Foto von ihr aus den 70er-Jahren: | |
ein Mädchen in Jeans, lange blonde Haare. Als sie starb, habe er keine Zeit | |
gehabt, groß darüber nachzudenken. „Nach 20 Jahren Ehe ist nicht mehr viel | |
mit verliebt sein“, sagt er und schaut ins Leere. | |
Nach ihrem Tod musste der Fischer sein Restaurant von Bord aus managen. So | |
richtig gut geklappt hat das nie. Seine Wohnküche zum Beispiel hat einen | |
ellenlangen Tresen, zwei Oma-Schränke verlieren sich in ihr. Dass sie so | |
groß ist, liegt daran, dass sie eigentlich die Restaurant-Küche werden | |
sollte. Dafür war sie dann aber zu klein. | |
So wie sich die Dinge entwickelten, musste er dem Restaurant mit den | |
Einnahmen aus der Fischerei über die Runden helfen. Dass er sich ohne die | |
Fischerei ganz auf das Restaurant konzentrieren kann, macht die Sache nicht | |
besser. „Ich hab mir in den letzten Jahren nichts mehr gönnen können“, | |
erzählt Oestmann. | |
## Oestmann möchte wieder frei sein | |
Seit zwei Jahren versuche er, das Restaurant zu verkaufen. Ohne das | |
Restaurant wäre er wieder frei und die Freiheit ist das, was er am Beruf | |
des Fischers genossen hat: „Dass ich gemacht habe, wozu ich Lust hatte“, | |
sagt Oestmann. „Wenn ich genug Geld hatte, habe ich das erst mal verlebt. | |
Das geht jetzt nicht mehr.“ | |
Das Leben auf See vermisst er nicht. Zu seinem Kutter, den Oestmanns Vater | |
in dessen Geburtsjahr gekauft hat, hat er ein unsentimentales Verhältnis. | |
Das 15 Meter lange Schiff liegt ein paar Hundert Meter entfernt in einem | |
kleinen Hafen. Der Kostenvoranschlag dafür aus dem Jahr 1950 hängt | |
ebenfalls überm Küchentisch: ein vergilbter, handgroßer Zettel. „25.000 | |
Mark“ steht mit der Maschine geschrieben drauf. Rumpf aus Eiche. Der Kutter | |
läuft zwar noch auf Oestmanns Namen, ist aber bereits verkauft. Was der | |
neue Eigentümer damit vorhat? Oestmann tappt mit den Fingern auf den Tisch. | |
„Mir vollkommen egal“, sagt er. „Gefühle hab ich mir längst abgeschmink… | |
das ist alles nur Material.“ | |
An der Wand hängt Oestmanns Geschichte und die von neun Generationen | |
Fischerei: die Arbeit auf dem Kutter in der guten Zeit Mitte der | |
80er-Jahre; Oestmann mit befreundeten Fischern. Der mit der | |
„Elbsegler“-Mütze und dem langen blondem Bart ist ertrunken, als im Auslauf | |
des AKW Brunsbüttel sein Boot voll lief. Eine Bilderserie zeigt ein | |
Torfrock-Konzert aus der Zeit des Widerstands gegen die Zerstörung | |
Altenwerders, ein Kinderfoto Heinz Oestmann mit Vater und Bruder vor dem | |
trocken gefallenen „HF 512“. | |
## Vorfahren aus dem 19. Jahrhundert | |
Auch die Vorfahren sind dabei, etwa die Gebrüder Oestmann am 16. April | |
1883. Auf dem Foto der fünf Brüder sieht einer besonders bleich aus. Es | |
entstand, als der älteste, Jahrgang 1798, gestorben war. Um ihn mit aufs | |
Bild zu kriegen, holten sie einen Ersatzmann und ließen den Kopf des toten | |
Bruders hineinmontieren. | |
Das Haus, um das Oestmann so lange gekämpft hat, wurde 1905 gebaut – lange | |
bevor Altenwerder zum „Hafenerweiterungsgebiet“ wurde. Mehr als 2.000 | |
Menschen wohnten einmal im Dorf. Oestmann erinnert sich an vier Bäckereien | |
und zwei Schlachter. Schön und ruhig habe man dort gewohnt. „Wenn man das | |
nicht kennt, kann man sich kein Bild davon machen“, sagt er. | |
Als der Containerterminal kommen sollte, sprühte Oestmann „Hände weg“ quer | |
über das Anti-Hafen-Wandbild auf seiner Garage. Als Gesandte der Stadt | |
Anfang der 70er-Jahre mit Kaufangeboten ankamen, soll er sie mit der | |
Mistgabel vom Hof gejagt haben. 1979 hat seine Mutter dann doch an die | |
Stadt verkauft. Ihr Sohn erhielt zwar das Nutzungsrecht; trotzdem hat er, | |
wie er einmal erzählte, aus Zorn darüber fünf Jahre lang die neue Wohnung | |
seiner Mutter nicht betreten. | |
## Politik war nichts für ihn | |
Anfang der 80er-Jahre schloss sich Oestmann der sich formierenden | |
Grün-Alternativen Liste (GAL) in Hamburg an. Er polterte und fluchte in der | |
Bürgerschaft gegen den Abriss seines Heimatdorfes, doch auf Dauer war die | |
Politik nichts für ihn. Seine Sicht ist die eines Fischers: Er kämpfte | |
gegen die Vertiefung der Elbfahrrinne, weil sie die Fische vertrieb; gegen | |
die Abwässer von Dow-Chemical in Stade, weil sie die Fische krank machte | |
und gegen die Atomkraftwerke, weil deren Kühlung die Fische ansaugte. | |
Bis vor ein paar Jahren verkaufte Oestmann seinen Fang selbst am Wochenende | |
auf dem Hamburger Fischmarkt – er war der Letzte, der hier noch selbst | |
gefangenen Fisch anbot. Doch die Nachfrage habe nachgelassen und als 2010 | |
die Dieselpreise explodierten, sei das Geschäft vorbei gewesen. Theoretisch | |
könnte er heute noch auf der Elbe fischen, doch dazu habe er keine Lust | |
mehr, weil man nur noch den großen Frachtern im Weg liege. „Da kommt man | |
sich ja vor wie ein Bremsklotz“, sagt er. | |
Leider ist auch das Restaurant-Gewerbe schwierig geworden. Vom Küchenflur | |
sind es nur ein paar Schritte schräg über einen schmucklosen Hof zum | |
Hintereingang des Restaurants. Oestmann will nachsehen, ob Kundschaft da | |
ist. Denn an einem normalen Werktag, wenn nicht mit viel Betrieb zu rechnen | |
ist, bedient der Chef selbst, aus Kostengründen. Auf dem gekiesten | |
Parkplatz steht nur ein Auto. | |
Es sieht so aus, hätte Oestmann nichts zu tun. | |
## Im April erschienen: Mathias Denzlinger: „Heinz Oestmann – was Mut | |
vermag: Eine wahre Geschichte aus Deutschland“, Elbaol Verlag, 132 S., 9,90 | |
Euro | |
15 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
## TAGS | |
Hafenerweiterung | |
Hamburg | |
Fischerei | |
Hafen | |
Stadtentwicklung Hamburg | |
AKW | |
Streitfrage | |
Hafen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kirche ohne Dorf: Das letzte Stückchen Altenwerder | |
Als der Hamburger Hafen den Stadtteil Altenwerder schluckte, blieb nur die | |
Kirche stehen. Jetzt stellt der Friedhof gleich nebenan den Betrieb ein. | |
AKW Stade strahlt länger: Atomaufsicht außer Kontrolle | |
Niedersachsens Umweltministerium hat den Austritt von Radioaktivität aus | |
dem Reaktor Stade verschwiegen. Der Abriss wird sich um Jahre verzögern. | |
Der sonntaz-Streit: Nordsee oder Ostsee? | |
Nasse Füße kann man sich überall holen. Aber welches der beiden | |
innerdeutschen Urlaubsziele liebenswerter ist, können nur Schriftsteller | |
umfassend klären. | |
Ein Dorf verschwindet: Der lange Kampf um Altenwerder | |
Da, wo früher das Fischerdorf Altenwerder war, steht heute ein | |
Containerterminal. Der Bauer Manfred Brandt hat dagegen geklagt. |