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# taz.de -- Buch von Ex-Bürgermeisterin Gaschke: Das große Mobbing
> Hinter den Deichen eines stockkonservativen Landes: Das Buch der früheren
> Kieler OB Susanne Gaschke demaskiert die SPD Schleswig-Holsteins.
Bild: Susanne Gaschke bei ihrem Rücktritt im Oktober 2013.
Susanne Gaschke war eine erfolgreiche, temperamentvolle und glänzend
formulierende Redakteurin der Zeit. Vorübergehend war ich ihr
Chefredakteur. Im Jahr 2012 entschloss sie sich, als SPD-Kandidatin für das
Amt der Oberbürgermeisterin ihrer Heimatstadt Kiel anzutreten. Einen
ähnlichen Exkurs in die Kommunalpolitik, wenngleich weniger erfolgreich,
hatte dieser Autor auch einmal riskiert.
Susanne Gaschke war eine „Quereinsteigerin“, die sich in das fein
austarierte Karriere- und Machtgefüge einer Partei wagte, die auf eine
eindrucksvolle, selbstmörderische Regionalgeschichte in Schleswig-Holstein
zurückblicken kann. Ihr strahlender Held Björn Engholm, immerhin
Vorsitzender der Gesamtpartei, musste im Kielwasser der Barschel-Affäre
1993 zurücktreten. Er hatte Parlament und Öffentlichkeit belogen. Seine
Nachfolgerin im Amt des Ministerpräsidenten, Heide Simonis, wurde in
vierfach missglückter Wahl im Parlament von den eigenen Abgeordneten
gemeuchelt.
Susanne Gaschke, seit ihrer Jugend Mitglied der Partei, wusste also, worauf
sie sich einließ. Mehr noch, ihr Mann Hans Peter Barthels, ist
Bundestagsabgeordneter der SPD. Beide zählen zum eher „rechten“ Flügel der
Sozialdemokraten.
Im November 2012 wurde Susanne Gaschke mit 54 Prozent der Stimmen in das
Amt der Oberbürgermeisterin gewählt. Die Kieler Position war frei geworden,
da ihr Vorgänger, Torsten Albig, nach erfolgreicher Wahl in das Amt des
Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein aufgerückt war. Fast die Hälfte
der Kieler Genossen hatten allerdings für eine andere Kandidatin votiert.
Sie würden sich rächen; denn Rache gehört zu den unerforschlichen Antrieben
einer Partei, die auch ihre Bundeskanzler aus dem Amt zu intrigieren
pflegt.
## Eine Skandalgeschichte
Dass Torsten Albig, der den Großteil seines Lebens als Pressesprecher
verbracht hat (zuletzt von Peer Steinbrück) aus Gründen, die er nur selbst
kennt, den Sturz seiner Nachfolgerin nicht verhindert, wenn nicht gar
betrieben hat, steht im Zentrum einer Bilanz von Susanne Gaschke, die unter
dem Titel „Volles Risiko“ eine Skandalgeschichte vorlegt, die über die nur
scheinbare Provinzialität einer kommunalen Posse weit hinausgeht.
Ein SPD-Innenminister erwirkt ganz offensichtlich über weisungsgebundene
Staatsanwälte Hausdurchsuchungen. Diese starten Ermittlungen wegen Untreue,
bemühen die höchsten Gerichte gegen die Oberbürgermeisterin. Und müssen zur
Kenntnis nehmen, dass alle juristischen Bemühungen, eine gewählte
Politikerin buchstäblich zu erledigen, von den Gerichten beiseite gewischt
werden wie dummes Zeug. Doch da war Susanne Gaschke bereits zurückgetreten
– worden. Von der eigenen Partei, Opfer eines medialen und
parteipolitischen Mobbings ohnegleichen.
Das Buch schildert die Freuden ihres erfolgreichen Wahlkampfs, die
Entdeckung der beschränkten Macht ihres Amtes, die Mühsal von
Rathaussitzungen mit ehrenamtlichen Freizeitpolitikern, Langzeitstudenten,
Frührentnern, Angestellten des öffentlichen Dienstes, die ihre Kiez-Hobbys
in Sitzungen bis Mitternacht verteidigen. Und will die Oberbürgermeisterin
nicht parieren, gibt es immer noch die „Kommunalaufsicht“ beim
Innenminister, und die wurde geleitet von Gaschkes unterlegener
Gegenkandidatin in der SPD.
Sie kommt dann in ihrem Buch schnell zum Kern des Skandals. Ein Kieler
Klinik-Unternehmer hatte es 15 Jahre lang geschafft, die Zahlung seiner
Gewerbesteuer zu vermeiden – unter Hinweis auf Arbeitsplätze. Insgesamt
ging es um gerichtsfeste Schulden von fast acht Millionen Euro. Doch der
ausgebildete Steuerjurist Torsten Albig, seit 2009 Vorgänger von Susanne
Gaschke, teilte dem Unternehmer mit, dass die Vollstreckung des Urteils
ausgesetzt werde und entschied, dass das Amt für Finanzwirtschaft „einen
Vergleich mit dem Unternehmer aushandeln solle, der mindestens 50 Prozent
der Gesamtforderung einbringen sollte“.
Die beteiligten Kieler Behörden bereiteten einen entsprechenden Vertrag
vor. Am 21. Juni unterzeichnete Albigs Nachfolgerin im Kieler Rathaus den
Vertrag in Form einer „Eilentscheidung“, die zum amtlichen Geschäft gehört
wie jede andere auch. Sie hätte auch gleich ihre Demission unterschreiben
können. Denn nun eröffnete die Opposition – CDU und Grüne – eine Treibja…
der sich schließlich der sozialdemokratische Ministerpräsident und sein
Innenminister anschließen sollten.
Susanne Gaschke hatte einen Fehler gemacht: Sie hatte sich auf ihre
Beamten, auf ihren Stadtkämmerer und vor allem auf die Sachkenntnisse
Albigs verlassen, der jenen Vertragsentwurf in Auftrag gegeben hatte und
kannte. Ihre SPD-Fraktion war unterrichtet und hatte zugestimmt. Die
Opposition hingegen hatte die Kieler Nachrichten, das örtliche
Monopolblatt. Gaschke: „Faszinierend (und erschütternd) war es später zu
beobachten, wie konsequent Medien, Ratsmehrheit und Opposition sich
weigerten, Albigs Verantwortung für den Weg, den die Verwaltung jahrelang
gegangen war, überhaupt nur zur Kenntnis zu nehmen.“
## Eine SMS von Torsten Albig
Am 17. September 2013 – inzwischen hatte der Pressesturm gegen Gaschke
Windstärke 9 – meldete sich der Ministerpräsident bei seiner Parteigenossin
mit einer ausführlichen SMS, mit der er ihr den wohlwollenden Ratschlag
gab, alles auf ihre eigene Person zu nehmen. Als hätte er selbst nichts mit
dem Vergleich zu tun, rein gar nichts. Und er deutete an, dass die
Oberbürgermeisterin über diese Angelegenheit stürzen könnte.
Die Lektüre dieser Nachricht – warum griff er nicht zum Telefon? – bereitet
das gebrochene Vergnügen, tückische Prosa im Kostüm wohlwollender
PR-Beratung zu genießen. Hier schrieb ein PR-Profi, der es in der
Vergangenheit gewohnt war, seine Chefs mit perfektem Spin vor der Presse zu
schützen. Nun schützte er sich selbst. Sein Problem, so ist das Ganze zu
verstehen, ist jetzt ihres – nach dem Kinderspiel-Motto „Der Plumpsack geht
um.“ Was trieb ihn an? Vielleicht war es die Sorge, dass ihm mit Susanne
Gaschke eine Nachfolgerin zu nahe kommen könnte?
Sein Innenminister bereitete inzwischen mit Hilfe seiner „Kommunalaufsicht“
den coup de grâce für Gaschke vor. Gutachten wurden geschrieben, die den
ganzen Vorgang für rechtswidrig darstellten. Die Presse wurde informiert,
der Landesvorsitzende der SPD, Ralf Stegner, ließ sich hören: „Mit dem
Ministerpräsidenten hat das alles überhaupt nix zu tun.“
Und der hält mit seiner Meinung nicht hinterm Busch: Es sei unerheblich, so
erzählt Albig dem NDR, wie andere Menschen (also er selbst) im Vorfeld
entschieden hätten. Wer sich auf vorgefundene Weichenstellungen berufe
(also seine) der solle „ähm, Gehilfin werden, aber nicht
Oberbürgermeisterin.“ Derlei Machismo scheint hinter den Deichen des
stockkonservativen Landes noch möglich.
Susanne Gaschke drohte, die SMS ihres Parteifreundes zu veröffentlichen.
Das Innenministerium ermuntert daraufhin durch „Nachfragen“ die Kieler
Staatsanwaltschaft, gegen die Oberbürgermeisterin wegen Nötigung zu
ermitteln. Die Herren lassen sich nicht zweimal bitten. Die Kieler
Nachrichten ziehen mit: „Untreue-Verdacht: Justiz ermittelt gegen Gaschke.“
Das Landgericht aber bescheinigt den forschen Staatsdienern im Februar
2014, ohne „erforderlichen Verdacht“ und ohne „tatsächliche Anhaltspunkt…
ermittelt zu haben. Doch da hatte die SPD-Führung Schleswig-Holsteins
Gaschke bereits zur Strecke gebracht. Am 28. Oktober 2013 war sie
zurückgetreten, zu Fall gebracht von einer durch und durch staatstreuen,
recherchefaulen Lokalpresse, einer unterlegenen Genossin und vor allem von
einem Ministerpräsidenten, der seine PR-Fähigkeiten mit aller Amtsmacht
eingesetzt hatte, um sich von einem alles in allem lächerlichen
Steuervergleich zu distanzieren, den er allein in die Wege geleitet und mit
zu verantworten hatte.
## Ihre eigenen Fehler
Was also hatte die „Quereinsteigerin“ falsch gemacht? In ihrem Buch zählt
sie ihre eigenen Fehler auf: Unter großem Stress musste sie einmal vor den
Ratsdamen und -herren mit den Tränen kämpfen. Das ist im Land der
Doppelkorn-Stammtischler nicht erlaubt. Sie hatte gehofft, mit dem Eintritt
in die praktische Politik jene idealistische Vorstellung Hannah Arendts zu
realisieren, dass allein im politischen Handeln eine Erfahrung von höchster
Freiheit beschlossen sei.
Das Gegenteil war der Fall. Ihren eigenen Beruf, den Journalismus, hatte
sie überschätzt: Im Getümmel des Lokaljournalismus fließen Meinungen,
Fakten und Abhängigkeiten von angestammten kommunalpolitischen
Stichwortgebern bisweilen zu einem üblen Skandalgebräu zusammen, der
Bundespräsidenten genau so zu Fall bringen kann wie eine
Oberbürgermeisterin. Und so werden die Kieler Kollegen ihr Buch ganz gewiss
als nachtragend und selbsttherapeutisch abtun, und Torsten Albig wird
weiter regieren, als wäre nichts geschehen. Jener Klinikunternehmer hat
inzwischen Insolvenz angemeldet, und die Stadt dürfte ihre Millionen als
Verlust abbuchen.
Die Kieler Sozialdemokraten aber müssen sich nach Lektüre des Buches fragen
lassen, ob sie die Ehre ihrer alten Partei als historischen Ballast nicht
schon längst entsorgt haben. In Zukunft werden sie mit allen möglichen
Antworten unter sich bleiben, und genau das haben sie wohl auch so gewollt.
15 Sep 2014
## AUTOREN
Michael Naumann
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