| # taz.de -- Der Absturz der Linkspartei: Die linke Seniorenpartei | |
| > Regieren schadet den Genossen. Diese Analyse reicht aber nicht, um das | |
| > Wahldebakel in Brandenburg zu erklären. Die Probleme sind ernster. | |
| Bild: So sieht ein Minus von acht Prozent aus. Auf der Wahlparty der Linksparte… | |
| Acht Prozent. So viel verliert die Linkspartei, wenn sie regiert. | |
| Mindestens. In Schwerin 2002 büßte die PDS acht Prozent ein, in Berlin 2006 | |
| sogar mehr als neun, in Brandenburg am letzten Sonntag acht. Offenbar | |
| machen Teile der Klientel der Linkspartei den Sprung von der Protest- zur | |
| Regierungspartei nicht mit. Also besser Opposition? Haben die Fundis doch | |
| recht? | |
| Am letzten Sonntag traf sich Kerstin Kaiser (54) in Strausberg im Norden | |
| von Berlin zur Wahlparty. Man wettete das Ergebnis. Doch 18,6 hatte niemand | |
| auf dem Zettel stehen. Kaiser holte wieder das Direktmandat – eins von | |
| vieren. 2009 waren es noch 21. „Die Partei ist erschrocken und | |
| verunsichert“ sagt sie. | |
| Die Parteispitze versucht nun Rot-Rot zu retten. Justizminister Helmuth | |
| Markov warnt schon mal frühzeitig, jetzt „auf den Putz zu hauen“. Zeigt die | |
| Linkspartei der SPD in Potsdam, dass sie an einer weiteren | |
| Regierungsbeteiligung zweifelt, dann wechselt die SPD zur CDU. Und dann | |
| würde die Linkspartei ihre letzte Regierungsbeteiligung verlieren. Und ob | |
| aus Rot-Rot-Grün in Erfurt etwas wird, steht in den Sternen. | |
| Es ist das Problem der Genossen in rot-roten Regierungen: Sie hauen nie auf | |
| den Putz und wirken oft sozialdemokratischer als die SPD. | |
| Dietmar Bartsch, Wortführer des Realoflügels in der Bundestagsfraktion, war | |
| 1998 einer der Architekten der ersten roten-roten Regierung in Schwerin. | |
| Für den Absturz 2002 gab es besondere Gründe: Die Wahl fand damals parallel | |
| zur Bundestagswahl statt, als die zerstrittene PDS im Bund an der | |
| Fünfprozenthürde scheiterte. Bartsch hält Verluste durch | |
| Regierungsbeteiligung für normal: „In der Opposition weckt man die | |
| Illusion: Mit uns wird alles anders, alles besser. In der Regierung | |
| enttäuscht man einige.“ Das sei „unvermeidlich“ so Bartsch. | |
| ## Mal richtig auf den Putz hauen | |
| Dass Ministersessel Linkssozialdemokraten schaden, ist kein deutsches | |
| Phänomen. In Norwegen halbierte sich die Wählerschaft der Linkssozialisten | |
| in der Regierung. Die französische KP, sagt Bartsch, haben „die | |
| Regierungsbeteiligungen nahezu pulverisiert.“ Also eine Art Naturgesetz? | |
| In Schwerin 2002 und in Berlin 2006 gab es spezielle Gründe. In Schwerin | |
| war es die Bundestagswahl, in Berlin hatte Gregor Gysi den Senatorenjob | |
| hingeworfen. Der Berliner Bankenskandal, der die PDS an die Macht gebracht | |
| hatte, war wieder halb vergessen. In Potsdam 2014 gibt es keine misslichen | |
| Umstände, keinen miesen Bundestrend. Und keine Ausrede. | |
| Das Ergebnis in Brandenburg zeigt, wenn man genau hinschaut, aber auch: Es | |
| liegt nicht nur an der Regierungsbeteiligung. Es ist komplizierter. | |
| Die große Mehrheit der Stammwähler der Linkspartei in Brandenburg will, | |
| dass die Partei regiert. Fast 40 Prozent der Bürger zwischen Uckermark und | |
| Lausitz waren zufrieden mit der Arbeit der Linkspartei-Minister. Die | |
| Linkspartei, früher mal vollmundig CSU des Ostens genannt, kriselt nicht | |
| nur, weil sie zu unauffällig regiert hat und für Protestwähler unattraktiv | |
| geworden ist – in Brandenburg machten 19.000 Ex-Linkspartei-Wähler am | |
| Sonntag ihr Kreuz bei der AfD. Aber fast 60.000, die 2009 links wählten, | |
| tauchen in keiner Wählerwanderung auf. Sie sind teils weggezogen, teils | |
| gestorben. Horst Kahrs, der bei der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung | |
| arbeitet und ein scharfsinniger Beobachter der Partei ist, sagt: „Der | |
| Linkspartei sterben die Wähler weg.“ In Sachsen seien die Hälfte ihrer | |
| Verluste Sterbefälle. Es liegt also nicht nur am Regieren. Es ist ernster. | |
| Die Linkspartei in Brandenburg verliert den Draht zu Jungwählern und jungen | |
| Familien. Nur 14 Prozent der 30- bis 45-Jährigen votierten für die | |
| Genossen. Der Linkspartei, so Kahrs, fehlen zündende Angebote für „die | |
| normalen Leute, die Pendler mit Kindern und Durchschittseinkommen“. Die | |
| Partei droht zur Zwei-Generationen-Partei zu werden. Im Osten zu einer | |
| Ü-60-Veranstaltung, im Westen wird sie von Männern zwischen 45 und 60 | |
| Jahren geprägt. Nachwuchs? Mangelware. | |
| Normalerweise suchen Parteien nach Debakeln Schuldige, Minister werden | |
| gestürzt, in harter Debatte Fehler gesucht. War es richtig, auf Sparen und | |
| einen linken Finanzminister zu setzen anstatt mehr auf soziale | |
| Gerechtigkeit? | |
| ## Gespenstische Ruhe | |
| Doch in der Linkspartei in Brandenburg ist es gespenstisch ruhig. Man | |
| sondiert unter Federführung von Finanzminister und Parteichef Christian | |
| Görke mit der SPD. Also Augen zu und durch – mit dem gleichen Personal, der | |
| gleichen Politik, der gleichen Koalition? Weiter so bis zur nächsten | |
| Niederlage? | |
| Kerstin Kaiser, die zum Reformerlager zählt, kritisiert: „Ruhig zu regieren | |
| reicht für eine linke Partei nicht.“ Man wusste in Potsdam zwar, was den | |
| Genossen mit Rot-Rot in Schwerin und Berlin passiert war. „Doch wir waren | |
| als Fraktion und Partei nicht selbstbewusst und stark genug, um neben den | |
| Regierungszwängen eigenes Profil zu entwickeln“, so Kaiser zur taz. | |
| Sie war sieben Jahre lang Fraktionschefin in Potsdam, 2012 wurde sie von | |
| dem neuen starken Mann Christian Görke verdrängt. Die Partei, sagt sie, | |
| wurde „den Erfordernissen der Regierung untergeordnet“. Zudem habe man | |
| versäumt, den NSU-Skandal, in den auch der Brandenburger Verfassungschutz | |
| verwickelt war, offensiv zu nutzen, um die Linkspartei-Forderung, den | |
| Verfassungsschutz abzuschaffen, nach vorne zu rücken. Zu leise, zu viel | |
| Regierung, zu wenig Partei. | |
| Und nun? Künftig, so Kaiser, sollten Minister nicht Parteichef sein. Wenn | |
| Rot-Rot weitergeht, solle Görke nicht Parteichef bleiben. Damit die Partei | |
| nicht zum Anhängsel wird. | |
| Wie viel solche Rochaden bringen, ist zweifelhaft. Ähnliches probierte die | |
| SPD, als Kanzler Schröder 2004 den Job des Parteichefs an Müntefering | |
| übergab. Geholfen hat es nicht. | |
| 20 Sep 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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