# taz.de -- Biografie über die Erfinderin der Mumins: „Ihre Briefe haben etw… | |
> Die finnische Kunsthistorikerin Tuula Karjalainen über Briefe in | |
> Schuhschachteln, lesbische Frauen und den erstaunlich späten Ruhm der | |
> Tove Jansson. | |
Bild: „In Japan liebt man die Mumins sehr“ – man geht sogar mit ihnen fr�… | |
taz: Frau Tuula Karjalainen, Sie sind nicht die Erste, die eine Biografie | |
über Tove Jansson geschrieben hat. Was ist neu an Ihrem Buch? | |
Tuula Karjalainen: Es gibt eine Biografie der schwedischen | |
Literaturwissenschaftlerin Boel Westin, die sich auf die Literatur | |
konzentriert. Mein Buch entstand parallel zur Arbeit an der großen | |
Tove-Jansson-Ausstellung im Ateneuem, dem staatlichen Kunstmuseum in | |
Helsinki, und mein Fokus liegt mehr auf der Malerei und den Zeichnungen. – | |
Es gibt natürlich noch viele andere Veröffentlichungen über Toves Arbeit. | |
Vor allem gibt es zahlreiche Versuche, in ihren Werken Hinweise auf ihre | |
lesbische Identität zu finden – auch in den Mumin-Büchern. Es gab eine | |
Doktorarbeit in Schweden, die intensiv auf diese Fragen einging. Das ist | |
aber sehr lange her. | |
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Tove Jansson bei der Verteidigung dieser | |
Dissertation in Schweden dabei war? | |
Ja, genau. Die Autorin dieser Arbeit war die Lebenspartnerin einer | |
schwedischen Kusine von Tove. Diese Kusine, Karin, war auch lesbisch und | |
stand Tove sehr nahe. Ich glaube, nur deswegen hat sie diese Arbeit | |
überhaupt zugelassen. Denn generell sprach sie nicht gern über diese Dinge, | |
obwohl sie ganz offen lesbisch lebte. | |
Haben Sie Tove Jansson eigentlich persönlich kennengelernt? | |
Ja. Ich hatte sie vorher schon ein paarmal getroffen, auf Vernissagen in | |
Helsinki, ohne sie wirklich kennenzulernen. Als ich dann eine Ausstellung | |
des Malers Sam Vanni vorbereitete, der Toves erster Freund gewesen war, | |
kontaktierte ich sie, um sie über ihr Leben mit Sam zu interviewen. Das war | |
1995. Sie war sehr offen und entgegenkommend, stellte mir später sogar ihr | |
Tagebuch aus jener Zeit zur Verfügung. Jedenfalls war ich sehr zufrieden | |
mit dem Gespräch und wollte mich gerade ganz glücklich verabschieden, da | |
sagte sie: Haben Sie es eilig? Und lud mich ein, noch auf einen Whisky zu | |
bleiben. Also tranken wir zusammen Whisky, und rauchten sogar! Es war | |
natürlich dumm von mir, aber ich gab ihr eine Zigarette. Sie konnte nicht | |
mehr wirklich rauchen, denn sie hatte schon Lungenkrebs, aber auf jeden | |
Fall versuchte sie es. | |
Haben Sie sich danach noch einmal gesehen? | |
Nein. Sie war schon ziemlich krank. Und ich war damals mit anderen Dingen | |
ziemlich beschäftigt. Aber ich habe oft daran zurückgedacht. Das war ein | |
sehr intensives Erlebnis, dort in ihrem Atelier. Später saß ich dann allein | |
in ihrem Atelier, und sie war nicht mehr da. | |
Was ist denn jetzt in ihrem Atelier? | |
Es ist immer noch ihr Atelier. Ein sehr privater Ort! | |
Das heißt, es gehört der Familie und wird geschlossen gehalten? | |
Ja. Natürlich wollen alle hinein, aber das wird nur sehr selten erlaubt. | |
Als ich erzählte, ich wolle diese Ausstellung machen und das Buch | |
schreiben, gab mir Sophia Jansson, Toves Nichte, gleich die Schlüssel und | |
den Sicherheitscode. Ich ging dann drei, vier Monate regelmäßig in das | |
Atelier und saß dort, um die Briefe zu lesen. Ich habe mein Buch fast ganz | |
dort geschrieben. | |
Waren Sie die erste Person, die diese Briefe einsehen konnte? | |
Nein, Sophia hatte sie sicher gelesen, und Boel Westin natürlich. Es sind | |
nicht alle Briefe im Atelier, aber die wichtigsten. Die Briefe, die Tove an | |
ihre Freundin Eva Konikoff während des Krieges schrieb, sind fast wie | |
Tagebuchaufzeichnungen. Damals konnte man nicht unbedingt damit rechnen, | |
auf einen Brief eine Antwort zu bekommen; vielleicht kam der Brief nicht | |
einmal an. Daher sind es regelrechte Monologe. | |
Wie werden denn die Briefe dort aufbewahrt? Gibt es eine Art Archiv? | |
Nicht wirklich. Ein Schuhschachtelarchiv! | |
Wann haben Sie eigentlich begonnen, sich für Toves Leben zu interessieren? | |
Eben damals, als ich diese Briefe las. Eigentlich hatte ich, als | |
Begleitbuch für die Ausstellung, ein rein kunsthistorisches Buch geplant. | |
Aber als ich die Briefe las, hat sich irgend etwas verändert. Es lag sicher | |
auch daran, dass ich in ihrem Atelier saß, inmitten ihrer Sachen. Es war | |
fast so, als ob sie noch dort lebte. | |
Können Sie kurz etwas zur Ausstellung sagen? | |
Es war die erste umfassende Tove-Jansson-Retrospektive überhaupt, mit etwa | |
600 Werken. Sie war bis zum Schluss permanent überfüllt, ein Riesenerfolg! | |
Jetzt wird sie eingepackt und geht auf Reisen. Im Oktober ist sie in | |
Yokohama zu sehen, danach in anderen japanischen Städten. In Japan liebt | |
man die Mumins sehr, aber die Leute wissen natürlich nichts über die | |
Gemälde oder die politischen Zeichnungen. Viele Werke sind in Japan | |
allerdings nicht dabei, weil nicht alle reisefähig sind. Es sind | |
monumentale Wandgemälde darunter, die mehrere Tonnen wiegen. Es war | |
schwierig genug, sie ins Ateneum zu kriegen. | |
Wie kriegt man überhaupt ein Wandgemälde ins Museum? | |
Sie benutzte ein ganz bestimmtes Verfahren. Einer ihrer Lehrer hatte ihr | |
gesagt, sie solle nicht direkt auf die Wand malen, denn wenn man al fresco | |
arbeitet, braucht man eine ganz bestimmte Art wässrigen Zement. Der wird | |
auf so eine Art Holzkiste aufgebracht, und diese Kisten werden an die Wand | |
gehängt. | |
Gilt Tove Jansson eigentlich generell als Repräsentantin der gesamten | |
finnischen Kultur oder doch eher als Vertreterin der finnlandschwedischen | |
Minderheit? | |
Das kommt darauf an, wen Sie fragen. Ich zum Beispiel habe über vier | |
abstrakte Maler promoviert, die alle Finnlandschweden waren. Ich hatte sie | |
nicht deswegen ausgesucht, sondern weil ich mich für die abstrakte Kunst | |
interessierte. Und ich bin wirklich sehr finnisch-finnisch. Jetzt habe ich | |
allerdings schon manchmal das Gefühl, dass manche Leute denken, ich raube | |
ihre Kronjuwelen. Nein, das ist natürlich ein Scherz, aber bis zu einem | |
gewissen Punkt stimmt es schon. Andererseits haben fast all die | |
finnischsprachigen Finnen, denen ich erzählt habe, dass ich über Tove ein | |
Buch schreibe und eine Ausstellung mache, gesagt: Oh, interessierst du dich | |
jetzt für die Mumins? Ja, natürlich, das auch, aber die Mumins sind es | |
nicht, die Tove Jansson ausmachen. Die Leute, die das fragen, wissen gar | |
nichts von ihrer sonstigen künstlerischen Arbeit. Nichts über ihre Gemälde, | |
die Illustrationen, die politischen Karikaturen. | |
Inwieweit war Tove Jansson, abgesehen von den Mumins, als Autorin | |
akzeptiert? | |
Das hat gedauert. Ihr erstes, autobiografisches Buch, „Die Tochter des | |
Bildhauers“, war sehr erfolgreich, weil es wie eine Fortsetzung der | |
Mumin-Welt verstanden wurde. Die nächsten Bücher waren bei weitem nicht so | |
beliebt. – In Schweden war Tove als Autorin viel anerkannter als in | |
Finnland. Aber sogar dort waren die Erwachsenenbücher nur mäßig | |
erfolgreich. Eine Kritikerin schrieb, sie könne nicht verstehen, warum Tove | |
Jansson Erwachsenenbücher schreibe, statt weiterzumachen mit den | |
Mumin-Geschichten. Das sei, als wenn die weltbeste Geigerin sich in den | |
Kopf gesetzt hätte, plötzlich lieber Klavier zu spielen. | |
Das muss für sie als Autorin etwas frustrierend gewesen sein. | |
Erstaunlicherweise gar nicht. Im Gegenteil, sie war immer überglücklich, | |
wenn die Verleger sich bereiterklärten, ein Buch zu veröffentlichen. Sie | |
war da lange Zeit nicht verwöhnt, denn sogar die Rezeption der Mumin-Bücher | |
in Finnland war insgesamt sehr träge. Sie wurden ins Englische übersetzt, | |
erschienen auch in Amerika, wurden sehr berühmt in Schweden – und erst | |
nachdem all das passiert war, kamen sie auch auf Finnisch heraus! Ein | |
einziges Bilderbuch war früher schon übersetzt worden – das hatte ja auch | |
nicht so viel Text. Darüber hatte sie sich damals sehr gefreut. Wenn ich an | |
ihrer Stelle gewesen wäre, hätte ich mich wahrscheinlich eher sehr | |
geärgert. | |
Wie gut konnte Tove Jansson selbst eigentlich Finnisch? | |
Ziemlich gut. Unser Gespräch damals haben wir auf Finnisch geführt. | |
Ihre jahrzehntelange Lebensgefährtin Tuulikki Pietilä war ja auch | |
finnischsprachig. In welcher Sprache haben die beiden denn miteinander | |
kommuniziert? | |
Oh, das war wunderbar. Tuulikki sprach finnisch, Tove schwedisch, und | |
häufig sprachen sie auch eine Mischsprache aus beidem. | |
29 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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