| # taz.de -- Die Mumins werden 80 Jahre alt: Wir brauchen mehr Mumins | |
| > Im Schatten des Zweiten Weltkriegs schrieb Tove Jansson ihre ersten | |
| > Mumin-Geschichten. Eine Reise nach Finnland zu den nilpferdartigen | |
| > Trollwesen. | |
| Bild: Sind häufig in Gruppen anzutreffen: Mumin-Figuren | |
| Helsinki und Tampere taz | Ihre runden, nilpferdartigen Umrisse zieren | |
| bunte Tassen, hängen als Anhänger an Rucksäcken und schmücken | |
| Lakritzverpackungen: [1][die Mumins]. Sie sind klein und niedlich – und in | |
| ihrem Heimatland Finnland allgegenwärtig. In den Büchern von Tove Jansson | |
| leben Mumintroll, Muminpapa und Muminmama im Mumintal in ihrem blauen Haus. | |
| Im Laufe der Geschichten kommen zahlreiche Charaktere wie Klein Mü und | |
| Snupferich hinzu, die sie in ihrer Wahlfamilie integrieren und mit denen | |
| sie Abenteuer erleben – um am Ende stets in ihr gemütliches Zuhause | |
| zurückzukehren. Dort trinken sie Tee und essen Pfannkuchen. | |
| Weniger heimelig geht es in den Mumin-Geschäften im Stadtzentrum [2][von | |
| Helsinki] zu. Hier drängen sich Touristen – viele von ihnen aus Asien – um | |
| die bunten Tassen zu kaufen, die längst so legendär wie die Figuren selbst | |
| sind. | |
| Keine Frage: Die Mumins sind das bekannteste Kulturgut Finnlands. Doch in | |
| diesen verregneten Herbsttagen sind sie noch präsenter als sonst. Die bunte | |
| Trollbande feiert dieses Jahr ihren 80. Geburtstag. Im Jahr 1945 erschien | |
| das erste Mumin-Buch, „Småtrollen och den stora översvämningen“ („Die | |
| Mumins und die große Flut“) auf Schwedisch – der Muttersprache der | |
| finnlandschwedischen [3][Autorin Jansson], die 2001 verstarb. | |
| Ihre Biografie prägte die Entstehung der Figuren. 1914 wurde sie in | |
| Helsinki geboren, kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs. In ihrer Jugend | |
| erlebte Jansson die Kriegsjahre Finnlands – vom Winterkrieg bis zum Ende | |
| des Zweiten Weltkriegs. | |
| ## Die androgyne Too-Ticky | |
| Während dieser Zeit schrieb sie das erste Mumin-Buch, dessen Zeichnungen | |
| experimenteller und die Handlung noch spröder wirkt als in den späteren | |
| Bänden. In einem späteren Vorwort schrieb Jansson: „Es war Kriegswinter im | |
| Jahr 1939. Es schien völlig sinnlos zu sein, Bilder zu schaffen. Ich fühlte | |
| plötzlich den Drang, etwas aufzuschreiben, das mit „Es war einmal“ begann.… | |
| Das Buch handelt davon, wie Muminmama und Mumintroll den verlorenen | |
| Muminpapa nach einer Flut suchen und dafür einen dunklen Wald durchqueren. | |
| Am Ende finden sie ihn und bauen ihr Haus, das auch in den kommenden | |
| Büchern für Geborgenheit und Sicherheit stehen sollte. In den folgenden | |
| acht Büchern fügte Jansson zentrale Figuren wie die androgyne Too-Ticky | |
| hinzu, inspiriert von ihrer Lebenspartnerin Tuulikki Pietilä. | |
| Ab Mitte der 1950er Jahre hatten die Bücher und Comics Kultstatus erreicht, | |
| später folgten internationale Animationsserien und Merchandiseartikel. Das | |
| Jubiläum wird nun mit einer breiten Marketingkampagne gefeiert. Das Motto: | |
| „The door is always open“. In den Geschichten ist die Tür des blauen | |
| Muminhauses stets geöffnet – nicht nur für die Familienmitglieder, sondern | |
| auch für ihre Freund:innen und Weggefährt:innen, die wärmstens | |
| aufgenommen und einquartiert werden. | |
| Was können wir heute, fünfzig Jahre später, von den drolligen Figuren und | |
| ihrer Erfinderin lernen – in einer Zeit, in der wir mit Kriegen und | |
| Katastrophen konfrontiert sind? Wer sind ihre leidenschaftlichen Fans? | |
| Eine erste Anlaufstelle, um die Mumins besser zu verstehen, ist das | |
| Architektur- und Designmuseum im Zentrum Helsinkis. Hier wurde Anfang | |
| Oktober die Ausstellung „Escape To Moominvalley“ eröffnet. Finnlands | |
| Präsident Alexander Stubb besuchte die Ausstellung zuerst. „Wir haben die | |
| Mumin-Geschichten durch die Linse von Raum, Architektur und Design | |
| untersucht“, erklärt Kuratorin Suvi Saloniemi in der pfirsichfarbenen | |
| Sitzecke der Ausstellung. | |
| „Dabei wurde schnell deutlich, dass sie viele Begegnungen und Themen | |
| enthalten, die uns auch heute beschäftigen: von Zugehörigkeit bis zu den | |
| globalen Herausforderungen unserer Gegenwart. Die Mumins lehren uns | |
| Empathie und Toleranz, sowie dass jeder Mensch ein Recht auf ein Zuhause | |
| hat.“ | |
| ## Die Mumins fürchten den Weltuntergang | |
| Die Ausstellung führt chronologisch durch das Leben und die Räume Janssons | |
| – von ihrem ersten Studio bis hin zum Haus auf der Insel Klovharu, wo sie | |
| mit Pietilä die Sommer bis kurz vor ihrem Lebensende verbrachte. Im Zentrum | |
| der Ausstellung steht das Muminhaus. Besonders gelungen ist, wie die | |
| Macher:innen der Ausstellung die Zeichnungen und Geschichten Janssons in | |
| die Gegenwart rücken. Anhand der Geschichte „Komet im Mumintal“ ziehen sie | |
| Parallelen zur finnischen Gegenwart. | |
| In der Geschichte fürchten die Mumins den Weltuntergang und ziehen sich in | |
| einer Höhle zurück – mit einer Badewanne und Kuchen. Eine Videoinstallation | |
| des Architekten Tapio Snellman zeigt Helsinkis Untergrund mit | |
| Schwimmhallen, Skatehallen und Fluchträumen. Eine Installation der | |
| Künstlerin Dana Olărescu greift die Themen Flucht und Zugehörigkeit auf. | |
| Die Kuratoren verbinden dieses Exponat mit dem Muminpapa, der in | |
| „Muminpapas wildbewegte Jugend“ über sein Aufwachsen als Waisenkind und | |
| ohne festes Zuhause schreibt. Erst später wird er dieses mit dem von ihm | |
| gebauten Muminhaus finden. | |
| Wer noch tiefer in die Geschichten eintauchen will, reist weiter nach | |
| Tampere, ins weltweit einzige Mumin Museum. Kurz nach Eröffnung ist es in | |
| der Ausstellung ruhig, beinahe andächtig, abgesehen von umherlaufenden | |
| Kindern. „Aus Finnland reisen besonders Familien mit Kindern an, aus Europa | |
| und Asien vor allem Erwachsene“, berichtet die Ausstellungsleiterin Virpi | |
| Nikkari. Jährlich sehen sich rund 100.000 Menschen Janssons Illustrationen | |
| und Pietiläs Schaubilder an. | |
| Einer der Besucher an diesem Morgen ist Keigo, 25 Jahre alt, aus Tokio. Er | |
| kam als Auslandsstudent nach Finnland, kurz vor seinem Rückflug reist er | |
| alleine durchs Land. Sorgfältig schaut er sich die zahlreichen Exponate an | |
| und hört konzentriert die japanischen Hörspielvertonungen der Schaukästen. | |
| Wie erklärt er sich die Mumin-Verehrung in seinem Heimatland? „In Japan | |
| sind niedliche Figuren beliebt – deshalb passen die Mumins zu unserer | |
| Kawaii-Kultur.“ | |
| Eine andere Besucherin, Silke aus Finsterwalde, ist einige Generationen | |
| älter als Keigo. Eine finnische Freundin hat ihr die Mumins vor zwanzig | |
| Jahren gezeigt. Bevor sie ihre Freundin trifft, wollte sie noch einen | |
| Abstecher ins Museum machen. „Die Mumins zeigen, dass es so viele | |
| Möglichkeiten gibt, wie Menschen sein können“, überlegt sie. „Ich finde … | |
| toll, wie Jansson die Einzelcharaktere herausgearbeitet hat. Es ist wie im | |
| echten Leben, auch wenn es eine Fantasiewelt ist.“ | |
| Eine, die sich bestens mit Tove Jansson, den Mumins und ihren | |
| internationalen Fans auskennt, ist die 83-jährige Autorin Tuula | |
| Karjalainen. Sie hat die Künstlerin persönlich gekannt und mit vielen ihrer | |
| Weggefährten zusammengearbeitet. Als Kuratorin des Kunstmuseums Atheneum in | |
| Helsinki stellte sie die erste große Ausstellung zu Tove Janssons | |
| umfangreichen Schaffen als Künstlerin zusammen. Sie schrieb eine Biografie | |
| über Jansson und gab Vorträge in Russland und Japan. | |
| ## Auf jeden Fan-Brief geantwortet | |
| Ende August veröffentlichte sie ein Buch mit dem Titel „Tove Jansson ja | |
| maailman lapset“ – übersetzt aus dem Finnischen: „Tove Jansson und die | |
| Kinder der Welt“. Darin widmet sie sich den Fanbriefen, die Jansson | |
| geschickt wurden und den Antworten der Autorin. | |
| „Tove Jansson antwortete auf jeden Brief“, weiß Tuula Karjalainen. „Ihr | |
| schrieben Fans aus Finnland und Schweden, aber auch aus Japan, Deutschland | |
| und Frankreich“, berichtet sie im Büro ihres Verlegers in Helsinki. „Viele | |
| schrieben ihr in der Pubertät, fragten sie über Liebe und sprachen über | |
| Probleme mit ihren Eltern. Manche schrieben ihr sogar Liebesbriefe“, sagt | |
| sie mit einem Lächeln. | |
| Erschöpft von den Erwartungen und dem Erfolg ihrer Mumins schrieb Jansson | |
| 1970 das letzte Buch „Herbst im Mumintal“. Es markiert das stille Ende der | |
| Mumins und ihrer heilen Welt. Jansson wollte sich ihrer eigentlichen | |
| Passion – der Kunst – widmen und schrieb später Romane für Erwachsene. �… | |
| japanischen Fans waren höflich und verstanden, warum sie die | |
| Mumin-Geschichten beenden musste“, resümiert Karjalainen. „Die schwedischen | |
| und finnischen Fans waren sehr fordernd. Sie wollten mehr Geschichten und | |
| warfen ihr vor, dass sie das Paradies zerstört hätte.“ | |
| Bis zu 2.000 Briefe bekam Tove Jansson pro Jahr, hochgerechnet waren es | |
| fast hunderttausend. Sie antwortete bis kurz vor ihrem Tod. „Sie sagte | |
| ihren Fans, dass sie keine Briefe mehr schreiben sollten“, so Karjalainen. | |
| Heute bekommt die Autorin selbst Briefe von Mumin-Fans, manchmal sind sie | |
| zwanzig Seiten lang. | |
| Die Reise durch Finnland und die Begegnung mit Fans und Mumin-Expert:innen | |
| zeigt, dass das Mumintal auch lange nach dem Tod seiner Schöpferin | |
| weiterlebt. Wie in den liebevoll inszenierten Figuren des Mumin Museums in | |
| Tampere, den Installationen des Designmuseums oder den Büchern von Tuula | |
| Karjalainen. | |
| Vor allem werden die Mumins in den leuchtenden Augen von Fans wie Keigo | |
| oder einem zweijährigen Kind lebendig, das ein Mumintroll-Kuscheltier im | |
| Arm hält. Sie alle verbinden andere Geschichten und Lebensweisheiten mit | |
| den Mumins. Vielleicht liegt darin ihr Erfolgsgeheimnis: Die Welt des | |
| Mumintals ist kindlich und gleichzeitig offen für Menschen jeglicher | |
| Herkünfte und Generationen. | |
| Das ist der friedliche Gegenpol zur echten Welt, die jeden Tag ein Stück | |
| geschlossener scheint. Wer Trost sucht, kann Mumin-Bücher lesen, Tee | |
| trinken und Pfannkuchen essen – nach dem Rezept von Muminmama. | |
| 16 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Louisa Zimmer | |
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