# taz.de -- Polizei in Berlin: „Wir haben Vertrauen verloren“ | |
> Der NSU-Skandal war eine „schmähliche Niederlage“, sagt Berlins | |
> Staatsschutzchef Oliver Stepien und will daraus Lehren für die | |
> Polizeiarbeit ziehen. | |
Bild: Nach dem NSU-Skandal: Das Image der Polizei ist angekratzt. | |
taz: Herr Stepien, der Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsauschusses im | |
Bundestag umfasst 1.300 Seiten. Wie genau kennen Sie den Bericht? | |
Oliver Stepien: Ich habe ihn gelesen. | |
Was für ein Gefühl hatten Sie bei der Lektüre? | |
Es ist schwer, das in Worte zu fassen. Ich habe es als schmähliche | |
Niederlage empfunden, was da passiert ist. Egal, wer welche Verantwortung | |
oder Schuld für das Ermittlungsversagen hatte. Dass es uns als | |
Sicherheitsbehörden nicht gelungen ist, früher einzugreifen, ist | |
schmerzhaft. | |
Berlin war kein Tatland des NSU, aber mehrere V-Männer des LKA waren am | |
braunen Terror-Trio relativ nah dran. In einem 44-seitigen Papier hat die | |
Berliner Polizei jetzt umfangreiche Konsequenzen aus dem Versagen | |
angekündigt. Viele Menschen glauben, das ist nur Makulatur. | |
Es ist nachvollziehbar, dass wir bei einem Teil der Gesellschaft Vertrauen | |
verloren haben. Aber ich würde mir wünschen, dass wir eine Chance haben, es | |
wiederzugewinnen. | |
Aber Sie verlieren das Vertrauen ja ständig neu. | |
Worauf wollen Sie hinaus? | |
Konkreter Fall: Am 18. September wird in einem Asylbewerberheim in Köpenick | |
eine Scheibe eingeworfen. Die Polizei sagt noch am selben Tag, es gebe | |
keinen politischen Tathintergrund. In dem „Konsequenzen-Papier“ heißt es | |
aber: Die Polizei werde bei Ermittlungen keine voreiligen Schlüsse mehr | |
ziehen. | |
Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das ansprechen. Der Vorgang ist Ausdruck | |
für die dicken Bretter, die wir bohren müssen. Ich will Ihnen mal | |
schildern, wie dieser Fall gelaufen ist: Gegen 21 Uhr war die Tat. Um 23 | |
Uhr wurde der Dauerdienst des Staatsschutzes in Kenntnis gesetzt. | |
Ist das schnell? | |
23 Uhr ist frühzeitig. In der Vergangenheit wären wir vielleicht gar nicht | |
in Kenntnis gesetzt worden, weil es geheißen hätte, das sei nichts für den | |
Staatsschutz. Obwohl die Direktion 6 also eine Staatsschutz-Meldung | |
initiiert und der Staatsschutz die Übernahme des Vorgangs angekündigt | |
hatte, wurde der Vorgang in die Direktion 6 technisch abverfügt. | |
Was heißt das? | |
Der Vorgang wurde elektronisch einer Direktionsdienststelle zugewiesen | |
statt dem Staatsschutz. Irgendjemand sagte dann den Kollegen von der | |
Pressestelle: „Ich glaube nicht, dass da was ist.“ Daraus wurde dann: | |
Polizei schließt politischen Hintergrund aus. Es ist also unsauber | |
kommuniziert worden. Der Fall ist ein Superbeispiel, aus dem alle nur | |
lernen können. | |
Wie ist der aktuelle Ermittlungsstand? | |
Bisher haben sich tatsächlich keine konkreten Hinweise auf eine rechte | |
Motivation ergeben. Die Ursache dürfte – vorbehaltlich ausstehender | |
Befragungen – möglicherweise eher im Bereich von unpolitischen | |
Streitigkeiten unter Kindern oder Jugendlichen liegen. Gleichwohl verbleibt | |
der Vorgang bis zum Abschluss der Ermittlungen beim zuständigen Dezernat 53 | |
im Staatsschutz. | |
Polizisten sollen durch Aus- und Fortbildungen interkulturell | |
sensibilisiert werden, lautet ein weiteres Vorhaben. Neu ist diese Idee | |
nicht, oder? | |
In gewisser Weise doch. Wir versuchen die Fortbildung im Staatsschutz auf | |
neue Füße zu stellen in unterschiedlichen Phasen und Modulen. Die | |
modulartige Fortbildung besteht nicht nur aus Fachvorträgen von Polizisten | |
für Polizisten. Die dritte Phase soll unter anderem von | |
zivilgesellschaftlichen Organisationen gestaltet werden. | |
An wen genau denken Sie? | |
Wir haben bislang 16 Personen oder Institutionen angeschrieben. Es geht | |
auch darum, die Erwartungshaltung aus dem politischen Raum und von | |
Betroffenen, also den Opfern einer solchen Straftat, zu erfahren. Wenn es | |
klappt, würden wir auch gern mit einem rechten Aussteiger sprechen. | |
Haben Sie auch bei der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) | |
angefragt? | |
Die MBR wollen wir zu einem späteren Zeitpunkt einladen. Für die erste | |
Umsetzung der Phase III Anfang 2015 ist eine Einladung an die | |
Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt | |
ReachOut Berlin rausgegangen. | |
Gab es schon Rücklauf? | |
Acht Angeschriebene haben schon zugesagt, darunter auch ReachOut. Aber die | |
Briefe sind noch nicht so lange raus, bezüglich weiterer Zusagen bin ich | |
optimistisch. Diese Sachen sind wirklich neu. Wenn zum Beispiel ein Opfer | |
einer fremdenfeindlich oder antisemitisch motivierten Straftat beschreibt, | |
wie es ihm ergangen ist, dient das mit Sicherheit der Sensibilisierung und | |
Förderung der interkulturellen Kompetenz. | |
Für welche Mitarbeiter in der Polizei sind diese Veranstaltungen gedacht? | |
Wir können das jeweils nur einem begrenzten Kreis öffnen – aber | |
grundsätzlich sollte es für alle Interessierte gelten. Unabhängig davon | |
gibt es den Strang Aus- und Fortbildung in der Landespolizeischule für den | |
mittleren Dienst. Im Oktober wollen wir zusammen mit den Fachlehrern | |
überlegen, wie die Konsequenzen im Zusammenhang mit dem NSU noch weiter in | |
die Aus- und Fortbildung eingebracht werden können. | |
Was halten Sie von dem Eindruck, dass NGOs wie die MBR zum Teil deutlich | |
besser über die rechtsextreme Szene informiert sind als der Staatsschutz? | |
Diesen Eindruck teile ich nicht. Auch zu Ermittlungsverfahren, die wir | |
führen, wird uns mitunter vorgeworfen, dass die MBR Informationen hat, die | |
wir nicht haben. Bei Einzelinformationen kann das mal zutreffen, | |
beispielsweise wenn ältere Informationen uns nicht (mehr) vorliegen oder | |
wir unsere Kenntnisse nicht so offen in die Ermittlungsverfahren einführen | |
dürfen. Da sind wir dann froh, wenn jemand kommt und sagt: Die MBR hat dazu | |
was veröffentlicht. | |
Sehen das alle Mitarbeiter im Dezernat 53 so wie Sie? | |
Ich habe hier nichts anderes erlebt. Einzelne Mitarbeiter mögen noch | |
Berührungsängste haben, wenn ein Dossier oder Unterlagen von der MBR oder | |
wem auch immer vorgelegt werden. Wir versuchen zu vermitteln, dass man | |
keine Angst haben darf vor neuen Dingen. Dass das für uns Erkenntnisse sind | |
wie andere Erkenntnisquellen auch. | |
Kommen wir zur Fehlerkultur – noch so ein Begriff aus den „Konsequenzen“. | |
Was ist damit gemeint? | |
Die zentrale Konsequenz aus dem NSU ist, dass wir sicherstellen, in | |
Richtung rechts zu ermitteln, wenn es angezeigt ist. Der Staatsschutz kann | |
nicht alle Ermittlungsverfahren der Berliner Polizei bearbeiten. Das | |
leuchtet jedem ein. Falsch wäre aber auch, wenn wir nur das bearbeiten, wo | |
wir sicher zuständig sind. Es gilt den Punkt dazwischen zu finden. Der Fall | |
Burak B. ist da so ein Bespiel. | |
Der 22-jährige Neuköllner ist im April 2012 an einer Bushaltestelle | |
erschossen worden. Bis heute fehlt vom Täter jede Spur. Freunde und | |
Angehörige vermuten die Täter im rechtsradikalen Milieu. | |
Nach meinem Stand gibt es keinen Anhaltspunkt auf politisch motivierte | |
Kriminalität. Man kann es aber insofern auch nicht ausschließen, weil man | |
gar nicht weiß, wer der Täter ist. | |
Was heißt das nun für die Ermittlungen? | |
Die Mordkommission führt im Fall Burak B. die Ermittlungen, aber es gibt | |
einen früher nicht da gewesenen engeren Informationsaustausch mit dem | |
Staatsschutz zum einzelnen Stand der Ermittlungen. Wir gucken uns immer | |
wieder wesentliche Teile der Akten mit an. Das hat natürlich auch zu tun | |
mit Fehlerkultur. | |
Da sind die Kollegen empfindlich? | |
Wenn eine andere Dienstelle kommt und sagt, da gucken wir noch mal drauf, | |
bedarf das erst mal einer geeigneten Kommunikation. | |
Das haben Sie aber freundlich ausgedrückt. | |
Das ist natürlich ein potenzielles Konfliktfeld. Der Kollege wird eventuell | |
nicht gerne kritisiert vom Kollegen. Es geht aber nicht um Kritik oder | |
Kontrolle, sondern um einen gemeinsamen Mehrwert. Mittlerweile nehmen | |
diesen Austausch alle Beteiligten sehr gerne an. | |
Fazit: Alles wird gut? | |
Es gibt über 20.000 Mitarbeiter bei der Polizei. Ich sage nicht, ab morgen | |
wird alles gut, dazu bin ich zu lange in dieser Behörde. Man muss sich den | |
Problemen stellen, sich ständig entwickeln. Aber wir würden uns auch | |
freuen, wenn die vorhandenen Erfolge ein wenig mehr gewürdigt würden. | |
Darüber wird relativ wenig berichtet. | |
Was haben Sie denn zu vermelden? | |
Allein in diesem Jahr hat das für rechtsextremistische Straftaten | |
zuständige Dezernat 17 Strafbefehle und 31 Urteile erwirkt, circa 50 | |
Durchsuchungen durchgeführt und 60 Haftbefehle vollstreckt. Das Thema | |
Flüchtlingsheime ist für die rechte Szene ein Fokussionsthema, auch für | |
Gewalttaten. Die Polizei macht da eine Menge, auch in Hellersdorf. Wenn ein | |
israelischer Staatsbürger – der mutmaßlich aus antisemitischen Gründen | |
Opfer einer gefährlichen Körperverletzung wurde – uns ein Dankschreiben | |
schickt, weil wir das zu seiner Überraschung in relativ kurzer Zeit | |
aufklären konnten, werten wir das auch als Beleg erfolgreicher Arbeit. | |
1 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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