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# taz.de -- Proteste in Hongkong: Raubtier von Pekings Gnaden
> Die Vita des verhassten Regierungschefs Leung zeigt, wie groß der
> Einfluss der Kommunistischen Partei in Hongkong ist. Offiziell gibt es
> die hier gar nicht.
Bild: Leung Chun-ying saugt Hongkong den Lebenssaft aus den Adern, beklagen die…
HONGKONG taz | Die Menschenmenge bildet einen Chor.
„Sechshundertneunundachtzig“, ruft die eine Hälfte. „Tritt zurück“, d…
andere. Tausende Demonstranten stehen auf dem Tamar-Platz vor dem
gigantischen gläsernen Regierungsgebäude inmitten des Hongkonger
Finanzviertels.
Die meisten hier sind jung, vor allem Studenten sind es. Mit der Zahl 689
spielen sie auf die Anzahl der Stimmen an, die Leung Chun-ying bei seiner
Bestimmung zum Hongkonger Regierungs- und Verwaltungschef im Frühjahr 2012
erhielt.
Mit 689 zu 285 Stimmen hob das mehrheitlich pekingtreue Wahlkomitee ihn
damals ins Amt. In der Bevölkerung genoss laut Umfragen sein Gegenkandidat,
der Geschäftsmann Henry Tang, sehr viel mehr Ansehen. Für die
Demokratiebewegung ist die 689 seither ein Symbol für den ungeliebten Chef
der Sonderverwaltungszone und seine Hintermänner in Peking.
Zwei Wochen dauern die Demokratieproteste in Hongkong nun, es ist die die
schwerste politische Krise seit der Rückgabe der britischen Kronkolonie an
die Volksrepublik China 1997. Zehntausende Studenten und Aktivisten der
Bewegung „Occupy Central“ haben Leung diese Woche ein Ultimatum gestellt.
Sollte er bis Ablauf des vergangenen Donnerstags nicht zurücktreten, würden
sie ihre Proteste ausdehnen und die Regierungsgebäude auch unmittelbar
blockieren. Bislang saßen sie nur auf den umliegenden Straßen.
## Nur genehme Kandidaten
Eine halbe Stunde vor Ablauf der Frist lud Leung zu einer Pressekonferenz.
Er zeige sich gegenüber den Demonstranten gesprächsbereit und beauftragte
seine Stellvertreterin, den Dialog zu führen. Die Anführer der
Demonstranten gingen zunächst auf das Angebot ein, drohten aber mit einem
Abbruch der Gespräche, sollten die „organisierten Angriffe“ auf
Demonstranten andauern. Am Freitag kam es dann wieder zu Zusammenstößen
zwischen pekingfreundlichen Angreifern und Demokratie-Demonstranten.
Dass derzeit keine Person in Hongkong so verhasst ist wie Leung Chun-ying –
und zwar nicht nur unter den demonstrierenden Studenten –, hat mehrere
Gründe. Eine Mehrheit der Hongkonger kritisiert, dass Leung nur die reichen
Geschäftsleute und Banker der Stadt begünstigt. Versprechungen, die er
einst gemacht hatte, hat er nicht einmal ansatzweise gehalten. So kündigte
er etwa angesichts der immer weiter steigenden Immobilienpreise eine
Rückkehr zum sozialen Wohnungsbau an. Vor allem aber werfen die Hongkonger
ihm vor, die bislang noch existierenden demokratischen Rechte auszuhöhlen.
Vor der Rückgabe an China war festgelegt worden, dass die sieben Millionen
Einwohner ihren Regierungschef auch frei und direkt wählen dürfen. Nun hat
Peking angekündigt, für die Wahlen ab 2017 nur ihm genehme Kandidaten
zuzulassen. Leung stützt diesen Beschluss. Überall sind nun Plakate von dem
60-Jährigen zu sehen, mal mit triefenden Vampirzähnen, mal mit Wolfsohren.
Wolf klingt auf Kantonesisch ähnlich wie der Name Leung. Der
Regierungschef, ein Raubtier von Pekings Gnaden.
Viele Hongkonger sehen in Leung den Handlanger der kommunistischen Führung
in Peking, die das Land mit immer härterer Hand zu regieren versucht. Und
zwar mehr noch als seine beiden Vorgänger, die auch pekingfreundlich waren.
Als am vergangenen Sonntag Polizisten mit Tränengas gegen Demonstranten
vorgingen, war das der bislang härteste Polizeieinsatz seit mehr als 40
Jahren. Das zeige doch, was Leung von Demokratie hält, beklagt sich die
29-jährige Demokratie-Aktivistin Lesley Chiu. Friedliche Proteste werden
einfach niedergeschlagen. „Leung schafft im Auftrag Pekings unsere
Demokratie ab“, sagt ein Passant neben ihr. „Er ist der Gesetzesbrecher.“
## Eine klassische Vita
Leung wurde 1954 als Sohn eines Polizisten geboren. Seine Familie kommt aus
der Provinz Shandong im Osten Chinas und stammt aus armen Verhältnissen. In
seinen jungen Berufsjahren soll er stets stolz darauf verwiesen haben, dass
er zu Zeiten der britischen Oberhoheit in Hongkong geboren wurde. Damals,
unter britischer Herrschaft, war das opportun.
Er studierte zunächst an der Hongkonger Polytechnischen Universität
Vermessungswesen, später in England Immobilienmanagement. 1977 stieg er in
einer renommierten Hongkonger Immobilienfirma ein. Damals setzte der
Bauboom ein, Leung scheffelte Millionen. Mit 30 Jahren soll er bereits rund
eine Million Euro im Jahr verdient haben. Das verschaffte ihm schnell
Zugang zu den Tycoons der Stadt – reiche und superreiche Unternehmer und
Industriemagnaten, die auch unter britischer Herrschaft schon die Geschicke
der Stadt lenkten. Mit 34 wird er in das Beraterkomitee berufen, das eine
Verfassung für Hongkong nach 1997 entwerfen soll. Das war sein Einstieg in
die Politik.
Vordergründig hat Leung also die Vita eines klassischen Hongkongers: Kind
von geflüchteten Festlandchinesen, studiert, arbeitet sich nach oben und
verschafft sich als Unternehmer auch Einfluss in der Politik. Doch das ist
nur die halbe Wahrheit.
Denn tatsächlich soll er laut mehrerer ehemaliger Genossen schon früh auch
Mitglied der chinesischen Kommunistischen Partei gewesen sein. Die
Hongkonger Anwältin Christine Loh beschreibt in ihrem bereits 2010
erschienenen Buch den großen Einfluss der KP in Hongkong. Offiziell gibt es
die Partei in Hongkong gar nicht und sie agiert nur im Untergrund. Denn die
Führung in Peking weiß: Viele Hongkonger waren einst vor den Kommunisten
vom Festland in die damalige britische Kolonie geflohen. Ihre Abneigung
gegenüber der chinesischen KP ist in der Bevölkerung insofern groß. Würden
sich die Kommunisten und ihre vielen Unterorganisationen ganz offiziell in
der Stadt offenbaren, wäre die Aufregung riesig, schreibt Loh.
## Wie ein Staatsgeheimnis
Wie viele Hongkonger auch KP-Mitglieder sind, wird von zuständigen
Parteizentralen in der benachbarten chinesischen Provinz Guandong wie ein
Staatsgeheimnis behandelt. Loh schätzt zwischen 15.000 und 30.000
Mitglieder. Zwischen 1983 und 1997 sollen zudem rund 83.000 KP-Funktionäre
nach Hongkong geschleust worden sein, viele unter falscher Identität. Wie
eine fünfte Kolonne hätten sie Einfluss auf das Leben der Hongkonger
ausgeübt, so Loh. Würden sich diese Leute alle zu erkennen geben, käme
heraus, wie viel in der Wirtschaftsmetropole in all den Jahren spioniert
wurde und dies bis heute weiter der Fall ist. Selbst Familien würden
wahrscheinlich auseinanderbrechen.
Leung selbst bestreitet seine Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei.
Florence Leung Mo-Han hingegen beteuert in ihrem vor Kurzem veröffentlichen
Buch, dass der Regierungschef bereits in den achtziger Jahren von Mentoren
aus Peking betreut wurde. Die heute 73-Jährige war damals selbst Mitglied
der in Hongkong agierenden KP. Und er sei bei Weitem nicht der Einzige
gewesen. Eine Reihe von damals schon einflussreichen Unternehmern hätten
sich in die Fänge des KP-Regimes begeben. Auf diese Tycoons der Stadt setzt
die Führung in Peking auch heute noch.
Weder Leung noch die anderen Tycoons machen heute ein Hehl aus ihren guten
Kontakten zum chinesischen Regime. Das ist auch nicht verwunderlich. Die
Führung in Peking hätten auch Leungs beide Vorgänger, Donald Tsang und Tung
Chee-Hwa, nicht zu den Oberhäuptern Hongkongs erkoren, wären sie nicht
ihrer Treue sicher gewesen. Und doch gibt es Unterschiede. Tsang und Tung
hielten ihre Antrittsrede in Kantonesisch – der in Hongkong gesprochenen
Sprache. Sie wollten so um das Vertrauen der Bevölkerung werben. Leung
sprach demonstrativ Hochchinesisch.
Das Rücktrittsgesuch wies er übrigens ab. Warum sollte er auch
zurücktreten? Die Führung in Peking und Hongkongs Tycoone halten weiter zu
ihm.
4 Oct 2014
## AUTOREN
Felix Lee
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Hongkong
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Demokratie
Protest
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