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# taz.de -- Neueröffnung der Hamburger Rindermarkthalle: „Gehst du da etwa h…
> Eigentlich sollte die Neugestaltung der Rindermarkthalle in Hamburg ein
> Paradebeispiel der Beteiligung werden. Wurde es aber nicht. Eine
> Ortsbegehung.
Bild: "Moin, Moin", rufen die Verkäufer in der neuen Rindermarkthalle, statt w…
HAMBURG taz | Tagelang schaukelten die blauen und weißen Luftballons nach
der Eröffnung noch über dem Eingang der Rindermarkthalle im Hamburger
Karolinenviertel vor sich hin. Nun sind sie weg und mit ihnen ist auch der
Sicherheitsmann im schwarzen Anzug verschwunden. Niemand hat das Gebäude
angegriffen, keine Farbbeutel sind geflogen, nur einmal ging die
Feuersirene los, aber das war bloß falscher Alarm. Der Einkaufsalltag kann
also einziehen. Aber Bodo Schmid ist noch nicht recht zufrieden.
Er verkauft auf 34 Quadratmetern Gewürze, bietet etwa 30 verschiedene Salze
an, eines davon ist schwarz und schmeckt nach Ei. Lange hat Schmid in der
Gastronomie gearbeitet, aber er wollte raus aus der Branche und irgendwann
kam ihm die Idee mit den Gewürzen. Keinen gemahlenen Pfeffer aus dem
Katalog, sondern etwas Besonderes sollte es sein. Noch läuft das Geschäft
an seinem Stand nicht so gut, wie er sich das erhofft hat. Und viele Kunden
sagen ihm: „Wissen Sie, eigentlich dürfte ich ja gar nicht hier sein.“
Seit hier im Mai 2010 der riesige Real-Markt geschlossen hat, fehlte ein
großer Supermarkt im Stadtteil. Der Eingang des denkmalgeschützten Gebäudes
direkt neben dem Stadion des FC St. Pauli wurde verrammelt und seitdem
stand es leer, bis auf die Mevlana-Moschee in der oberen Etage. Bald ging
der Streit darüber los, wie das Gebäude genutzt werden soll. Die zunächst
geplante Musikhalle für bis zu 8.000 Besucher wurde durch anhaltenden
Widerstand von Anwohnern und Aktivisten verhindert, und schließlich
investierten die Sprinkenhof AG als Inhaber des Gebäudes elf Millionen Euro
und Edeka Nord als Hauptpächter noch einmal 14 Millionen Euro. Die nächsten
zehn Jahre gibt es hier nun also das Einkaufszentrum. Dann will man
weitersehen.
Nicht nur gegen die Musikhalle wurde protestiert, auch das Einkaufszentrum
mit einer Verkaufsfläche von rund 11.000 Quadratmetern hat Gegner. Allein
Edeka verkauft hier auf 4.500 Quadratmetern Lebensmittel. Alles ist riesig.
Hier stehen nicht ein paar Flaschen einer O-Saft-Sorte, sondern gleich
Dutzende. Gleiches gilt für Kaffeesahne, Konserven und Bier, eigentlich für
alles. In den ersten Tagen nach der Eröffnung fingen viele Gespräche im
Stadtteil mit Fragen wie „Gehst du da etwa hin?“, „Hast du was gekauft?“
an. Neben Edeka gibt es die Drogerie Budnikowsky, Aldi und einen Bioladen,
Fressstände, Schlachter und kleinere Geschäfte für Blumen, Schokolade, Tee
oder eben Gewürze.
Auch die Bäckerei gleich am Eingang der Halle soll nicht nur schnöde
Bäckerei sein. Hier kann „Bäckermeistern bei echtem Handwerk zugesehen
werden, hier wird Teig geknetet und Mehl glitzert in der Luft“, steht auf
der Internetseite der Rindermarkthalle und Sprecher Ole Müggenburg sagt:
„Es geht hier darum, die Wahl zu haben. Ich kann hier preisgünstig
einkaufen, habe aber eine Auswahl, die es bisher hier nicht gab.“ Und er
sagt, dass es auch um Kochen als „Kulturgut“ gehe.
## Markthalle vs. Einkaufszentrum
Müggenburg will nicht, dass man das Einkaufszentrum Einkaufszentrum nennt.
Schließlich gibt es hier keine Ketten wie Starbucks oder Klamottenläden wie
H & M. Die Rindermarkthalle erinnere ihn an Markthallen wie den Mercat de
la Boqueria in Barcelona. Aber eine Halle, in denen die Stände dicht an
dicht stehen, die Kunden den Verkäufern laut ihre Wünsche zubrüllen und
sich in jedem Gang andere Gerüche ausbreiten, ist das hier nicht geworden.
Hier ist es nicht laut und voll und dreckig. Hier gibt es glatte Wände,
Lampen, die genau richtig dosiertes Licht verbreiten und viel Platz.
Als hier noch der Real war, waren die Flaschensammler mit ihrer Tages- und
Nachtausbeute Stammkunden und man wurde an der Kasse von der Verkäuferin
Valerie schon mal gefragt: „Was soll das, was willst du mit einer einzigen
Tomate?“ Hatte ein Kunde zu wenig Geld dabei und begannen die nachfolgenden
Wartenden in ihren Portemonnaies zu kramen, sagte Valeria: „Nein! Er muss
lernen, dass er zum Einkaufen Geld braucht.“ Dann packten alle ihre Münzen
wieder ein und der Kunde mit zu wenig Geld musste Joghurt oder Mettwurst da
lassen. In der Rindermarkthalle rufen alle fröhlich: „Moin! Moin!“, gleich
links am Eingang gibt’s einen Haushaltswarenladen, in dem es Holzbrettchen
für über 100 Euro das Stück zu kaufen gibt und an der Wursttheke meinen die
VerkäuferInnen mit „normal“ hauchdünn geschnitten. Die Frage ist, ob sich
der Stadtteil in den vergangenen Jahren verändert hat oder ob der neue
Markt so aussieht, wie sich Projektentwickler die Zukunft hier vorstellen.
Die Leute von der Initiative Keimzelle, die ein UrbanGardening-Projekt auf
dem Gelände verwirklichen wollten, haben zur Eröffnung eine
Abschiedsveranstaltung gemacht, „Vom Ende der Utopie“ hieß der Abend.
Torsten Hönisch von Maßmann & Co Handelsimmobilien, dem Unternehmen, das
gemeinsam mit Edeka das Projekt entwickelt hat und auch für die Vermietung
zuständig ist, spricht von „multidimensionalen Problemen“, wenn es um die
Keimzelle geht.
## Nur noch "Marketing-Symbol"
Anke Haarmann von der Initiative dagegen sagt, dass man irgendwann nur noch
„hübsches Symbol“ des Hamburger Marketings war, dass aber nichts dafür
getan wurde, um deren Anliegen zu verwirklichen. Deshalb hat die Zelle die
Gärten vor ein paar Wochen abgebaut.
Letztlich ging es vor allem um Geld. Die Keimzelle wollte 1.000
Quadratmeter für ihr Urban-Gardening-Projekt. Verschiedene Optionen wurden
geprüft: auf dem Dach – ging nicht wegen der Statik –, hinterm Gebäude –
ging nicht wegen der schattenwerfenden Schule direkt daneben –, links neben
dem Gebäude – schwierig wegen der Parkplätze. Letztlich gab es die Idee,
die Gartenfläche mit einer Holzkonstruktion aufzuständern und so über der
Parkfläche eine zweite Ebene zu schaffen. Bloß die 300.000 Euro, die das
hätte kosten sollen, wollte (Edeka und Sprinkenhof) und konnte
(Keimzellen-Aktivisten) niemand aufbringen.
Die Haltung im Stadtteil ist eher kritisch. So wie man nicht in den
McDonalds am nahen S-Bahnhof Sternschanze geht, keine Möbel aus dem neuen
Ikea in Altona will, kauft man nicht in der Rindermarkthalle ein. Man
dürfte nicht hier sein, wie die Kunden von Schmid es ausdrücken. Also
theoretisch jedenfalls. „Bisher kommen vor allem die Anwohner her“, sagt
Müggenburg, mit dem Auto kaum jemand. Das werde sich aber sicher noch
ändern und kämen erst die Besucher aus anderen Stadtteilen, profitierten
gerade Läden wie der von Schmid mit seinen Gewürzen. „So etwas greift man
sich dann im Vorbeigehen“, sagt Müggenburg.
## Wichtig ist "das Viertel"
Aber derzeit ist ihm vor allem das Wohlwollen der Anwohner ein Anliegen.
„Hier ist kein Shopping-Ufo gelandet“, sagt er und spielt auf den neuen
Ikea in der FußgängerzoneHamburg-Altona an. Der silbrige Riesenbau dort
wurde oft als Ufo bezeichnet, das wie ein Fremdkörper in den Stadtteil
hineinplatzte. In der Rindermarkthalle legen sie jetzt Wert drauf, dass
alles mit „dem Viertel“ passiert. Die beiden Worte „das Viertel“ fallen…
Gespräch mit Müggenburg im Minutentakt. „Aus dem Viertel, mit dem Viertel,
für das Viertel“, formuliert es auch Immobilienmann Hönisch und meint damit
auch die Räume im erste Stock.
Hier gibt es ein Parkdeck, die Moschee, es gibt Flächen für Büros, eine
Kung-Fu-Schule und mehrere Räume für Stadtteilinitiativen wie eine
Street-Art- und eine Nähschule, ein Keramikatelier und eine
Kindertagesstätte für die Schausteller des Doms, der viermal im Jahr auf
dem benachbarten Heiligengeistfeld stattfindet. Diese Mischung aus
Einkaufen unten und Mietern aus dem Stadtteil oben nennt Hönisch wegweisend
und vorbildlich auch für andere Städte. Noch ist Baustelle, Kabel hängen
lose herum, in den Räumen der Moschee hängen hier und da noch die alten
Fototapeten, die meisten neuen Leichtbauwände stehen aber schon und durch
die großen Fenster kommt viel Licht rein. Die Nachfrage nach diesen Räumen
war groß und immer noch kommen neue Anfragen. Bald ziehen die ersten Mieter
ein und dann wird sich zeigen, ob das Konzept aufgeht.
Jozep Zivko ist schon dabei. Er betreibt in der Rindermarkthalle auf 45
Quadratmetern eine Weinbar und findet die teilweise ablehnende Haltung im
Stadtteil schwachsinnig. Seit 1990 lebt er in St. Pauli, ist Möbelbauer und
hat 2009 damit begonnen, Weine aus Kroatien und Slowenien zu importieren
und sie an Kneipen und Restaurants zu liefern. Tim Mälzer und das
Levantehaus gehören ebenso zu seinen Kunden wie die Kiezkneipe Ex-Sparr
oder das Molotow. Er hat schon ähnliche Sätze gehört wie Schmid. „Und ich
wurde auch angefeindet, weil ich hier drin bin“, sagt er. „Aber wenn hier
schon gentrifiziert wird, dann mach‘ ich lieber mit, statt zuzugucken.“
5 Oct 2014
## AUTOREN
Ilka Kreutzträger
## TAGS
Hamburg
Stadtentwicklung
Gentrifizierung
Bürgerbeteiligung
Einzelhandel
Gentrifizierung
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