# taz.de -- Frankfurter Buchmesse: Broterwerb und -schneidemaschinen | |
> Was verändert Geschichte? Die Schriftsteller Michael Kleeberg, David | |
> Wagner und Jochen Schmidt erinnern an die Zeit vor 1989. | |
Bild: Autor Jochen Schmidt verspürte zu DDR-Zeiten Neid auf die Brotschneidema… | |
Vom Geld wird in deutschen Romanen nur ungern gesprochen. Das sei etwas | |
„bäbäbäh“, wie es der Schriftsteller Michael Kleeberg zusammenfasst, als… | |
am Stand von 3sat über seinen Roman „Vaterjahre“ spricht. Darin werden | |
Fragen des Broterwerbs durchaus angeschnitten, im Guten wie im Schlechten. | |
Einer der Protagonisten erlebe gar einen sozialen Absturz, „der unter den | |
Brücken endet“, so Kleeberg. | |
Die wirtschaftlichen Veränderungen, die sich in Deutschland mit dem | |
Übergang von den achtziger in die neunziger Jahre bemerkbar machten, sind | |
eines der Themen, die ihn beim Schreiben beschäftigten. Die durchlässige | |
Gesellschaft mit ihren Aufstiegschancen, wie es sie noch während der | |
sozialliberalen Koalition unter SPD-Kanzler Willy Brandt gegeben hat, sei | |
inzwischen Geschichte. | |
Heute hingegen hätten die Abstiegsgefahren deutlich zugenommen, die Gefahr, | |
durch alle Raster zu fallen, sei durchaus real und passiere hierzulande | |
öfter. Man könne sein Buch ein wenig als „Illustration“ der Thesen von | |
Thomas Piketty lesen, der die ökonomischen und sozialen Verschiebungen hin | |
zu den aktuellen Formen von Ungleichheit beschreibt. | |
Auf die Frage der Moderatorin Tina Mendelsohn, ob es eine andere Welt sei, | |
in der wir leben, was sich auch darin äußere, dass die Buchmesse etwas | |
leerer aussehe – die Ausstellerzahlen sind in diesem Jahr etwas | |
zurückgegangen –, reagierte Kleeberg mit einem Hinweis auf die veränderten | |
Lesegewohnheiten der jüngeren Generation: Literatur lesen, um „in Welten | |
einzutauchen“, als ein Tun, das sein eigenes „Zeitrecht“ beansprucht, sei | |
nicht mehr sehr verbreitet. | |
Beim Dauerthema Amazon blieb Kleeberg vorsichtig. Die Gewohnheit von | |
Schriftstellern, laut „hier“ zu schreien, wenn es darum gehe, den | |
Kapitalismus zu kritisieren, finde er etwas seltsam. Den Protesten habe er | |
sich nicht angeschlossen, aber seine Kollegen aufgefordert, Lesungen in | |
inhabergeführten Buchhandlungen anzubieten, um diese gezielt zu | |
unterstützen. Nicht zuletzt habe der Erfolg von Amazon damit zu tun, dass | |
es mittlerweile schick sei, zu Hause „seinen Kram im Internet zu | |
bestellen“. | |
## David Wagner und Jochen Schmidt über ihr Wendebuch | |
Veränderungen zeitgeschichtlicher Art waren auch Gegenstand eines Gesprächs | |
der Schriftsteller David Wagner und Jochen Schmidt mit dem Moderator Ernst | |
A. Grandits über ihr Wendebuch „Drüben und drüben. Zwei deutsche | |
Kindheiten“. Wagner, in der Bundesrepublik geboren, und Schmidt, in | |
Ostberlin aufgewachsen, rekapitulieren darin ihre parallelen Kindheiten bis | |
zur Wende. Jochen Schmidt war frischgebackener NVA-Soldat, als die Mauer | |
fiel. „Ich hatte Nachtwache und habe erst am Tag darauf davon erfahren.“ | |
Aber gerade das mache einen zum Schriftsteller, dass man „verpassten | |
Chancen hinterherschreibt“. Wagner verbrachte die Nacht des 9. Novembers | |
1989 in einer Disco, saß am nächsten Tag übermüdet in einer Lateinklausur, | |
als es hieß: „Die Mauer ist auf.“ | |
Für ihn sei die DDR erst im Rückblick entstanden, da sie im Westen im | |
Grunde nicht vorkam. Schmidt wiederum verweigerte sich in seiner Jugend | |
allen Dingen, die mit der DDR assoziiert wurden, lehnte es ab, Defa-Filme | |
zu sehen, und habe erst im Nachhinein entdeckt, „was es da für großartige | |
Dinge gab“. | |
Der Westen sei immer etwas gewesen, wovon man geträumt hat. Neid verspürte | |
er unter anderem auf die Brotschneidemaschinen. Ein wenig DDR könnte eines | |
Tages wiederkommen, so Schmidt. Dort sei es selbstverständlich gewesen, | |
sich aus dem „Müll der westlichen Welt“ das zu basteln, was man brauchte. | |
„Wir werden irgendwann alle so leben“, prophezeite er. Denn mit dem Konsum | |
der westlichen Welt könne es nicht ewig weitergehen. | |
9 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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