| # taz.de -- Joschka Fischers „Scheitert Europa?“: Schwarze Null und grüne … | |
| > Bei seiner Buchvorstellung spricht der frühere Außenminister von der | |
| > „neoimperialen Politik“ Russlands und einer EU nach Schweizer Modell. | |
| Bild: Die weise Eule auf dem Podium raunt ins Mikro, verschleppt das Tempo und … | |
| BERLIN taz | „Hält Deutschland an der Europäisierung fest, oder hat hier | |
| ein schleichender Wechsel in der Zielsetzung eines deutschen Europas | |
| stattgefunden?“ Der diese Frage aufwirft, ist kein Geringerer als Joschka | |
| Fischer. Der frühere Außenminister und langjährige Spielmacher der Grünen | |
| stellt im Gespräch mit Kiepenheuer-&-Witsch-Verleger Helge Malchow in | |
| Berlin sein neues Buch „Scheitert Europa?“ vor. Dies beschäftigte vorab die | |
| Zeit, der Spiegel bat zum Titelgespräch. | |
| Ursprünglich hätte das Buch „Die Vereinigten Staaten von Europa“ heißen | |
| sollen, sagt Malchow zu Beginn. Doch die jetzige Entwicklung hätte zu einer | |
| skeptischeren Färbung geführt. Fischer wirft der Europäischen Union vor, | |
| dass sie auf die Finanz- und Bankenkrise bis heute politisch keine Antwort | |
| fand. | |
| In seinem Buch beschreibt er, wie die Krise 2007 in den USA begann. Nach | |
| dem „großen Knall“, der Pleite von Lehman Brothers 2008, schwappte sie auf | |
| Europa und sein schlecht reguliertes Bankensystem über. Fischer erwähnt | |
| auch, wie der damalige Finanzminister und spätere SPD-Kanzlerkandidat Peer | |
| Steinbrück noch im Herbst 2009 die deutsche Öffentlichkeit beruhigte und | |
| behauptete, die Banken- und Finanzkrise sei ein Problem der USA. In | |
| Wirklichkeit so Fischer, konnte man bereits Steinbrücks „Frackschöße | |
| brennen sehen“. | |
| Ein Jahr nach der Niederlage von Rot-Grün bei der Bundestagswahl 2005 zog | |
| sich Fischer aus der aktiven Politik zurück. Knapp zehn Jahre später hat | |
| der 1948 Geborene seine Leidenschaft für Politik offenbar nicht verloren. | |
| Auch nicht die rhetorischen Fähigkeiten, mit denen es der Frankfurter | |
| Sponti bis zum Außenminister und zeitweise beliebtesten Politiker der | |
| Deutschen brachte. | |
| ## Merkels „schwarze Null“ | |
| Befragt, was er zur Ukrainepolitik der deutschen Regierung sagt, teilt er | |
| mit, er könne wenig kritisieren. Doch sehe er ein Problem in der | |
| europäischen Erzählung, der Renationalisierung, die das gesamte EU-Projekt | |
| gefährde. Denn wer keine Idee habe und nicht mit einer Stimme spreche, | |
| mache es außen- und innenpolitischen Gegnern der Europäischen Union, siehe | |
| Putins Russland, sehr leicht. | |
| Die Folgen von Banken- und Finanzkrise, die ganze EU-Staaten wie | |
| Griechenland in den Bankrott trieben, seien nicht überwunden. Und während | |
| der deutsche Hegemon in der Mitte Europas das wirtschaftlich alles | |
| glücklich überstand, erstarkten die antieuropäischen Protestparteien. Auch | |
| eine Folge der falschen deutschen Sparpolitik, wie Fischer meint. | |
| Der Deutschen Sorge um ihr Geld sei verständlich, doch könne man kaum | |
| verlangen, gleichzeitig Strukturreformen durchzuführen und die Haushalte zu | |
| konsolidieren. Entschuldung bei schrumpfender Wirtschaft, wie solle das | |
| gehen, fragt Fischer in den Saal der Böll-Stiftung hinein. Und erzählt, wie | |
| er Angela Merkel in Italien gegen nationalistische Kritik verteidigt („Ja | |
| ja, die bösen Deutschen; da habe ich gesagt, lass mal gut sein, was hat | |
| denn euer Berlusconi all die Jahre gemacht?“). Einen Satz weiter ironisiert | |
| er die Haushaltspolitik der rot-schwarzen Koalition („bei schwarzer Null | |
| fallen mir aber ganz andere Sachen ein“). Das sorgt für Gekicher. | |
| ## Churchill, Göring-Eckardt | |
| Fischer ist immer noch ein Ereignis. Die weise Eule auf dem Podium raunt | |
| ins Mikro, verschleppt Tempo und Lautstärke, dirigiert mit den Armen, | |
| spricht in sich gewandt und dann wieder zum Publikum: „Das müssen wir | |
| diskutieren, meine Damen und Herren!“ Der deutsch-französische Motor müsse | |
| wieder angeworfen werden. „Die Kanzlerin hat ein Vakuum entstehen lassen.“ | |
| Statt eine politische Vertiefung der Europäischen Union hätten wir nun so | |
| die Souveränitätskrise. | |
| Fischer zitiert Winston Churchills berühmte Zürcher Rede von 1946 – „Bei | |
| all diesen dringenden Aufgaben müssen Frankreich und Deutschland zusammen | |
| die Führung übernehmen […] Lassen Sie Europa entstehen!“ – und sieht | |
| ausgerechnet in der kantonalen, mehrsprachigen Schweiz vielleicht eine | |
| Struktur für eine künftige EU. Um kleine Seitenhiebe auf die | |
| eidgenössischen EU-Skeptiker zeigt sich Fischer ebenso wenig verlegen | |
| („mögen nicht, was ihnen ähnlich ist“) wie gegenüber Katrin Göring-Ecka… | |
| Überlegungen zu deutschen Bodentruppen in Syrien („das müssen wir noch | |
| intern diskutieren“). | |
| Doch eines sei gewiss: Frankreich und Deutschland sind jeweils zu groß für | |
| Europa, aber zu klein, um eine eigenständige weltpolitische Rolle zu | |
| spielen. | |
| 14 Oct 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Fanizadeh | |
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