# taz.de -- Debatte Schwarze Null: Jeder ist ein Sparschwein | |
> Das gehortete Geld verschimmelt bei den Banken wie die Nüsse eines | |
> Eichhörnchens, das seine verbuddelte Winterration nicht wiederfindet. | |
Bild: In Deutschland spart jeder: die privaten Haushalte, die Unternehmen und n… | |
Mit dem Taschengeld wird es eingeübt: Wer in seine Schatzkiste 100 Euro | |
gestopft hat, ist reicher als ein Kind, das nur 50 Euro besitzt. Diese | |
Erziehung war beispiellos erfolgreich. Die Bundesbürger benehmen sich, als | |
seien sie das personifizierte Sparschwein. In Deutschland spart jeder: die | |
privaten Haushalte, die Unternehmen und neuerdings auch der Staat. | |
Einzelne Firmen oder Familien nehmen zwar noch Kredite auf, um Maschinen zu | |
kaufen oder ein Haus zu bauen. Aber in der Summe wird überall Geld | |
gehortet, und diese Manie hat einen Namen: schwarze Null. | |
Sie wurde zum Symbolbegriff dieser Woche. Die Regierung ist stolz darauf, | |
dass sie keine neuen Schulden aufnimmt, und lässt sich selbst durch eine | |
Wirtschaftsflaute nicht beirren. Ein Konjunkturpaket kommt nicht infrage, | |
denn es würde ja die schwarze Null bedrohen. Man opfert Wachstum, weil | |
Kredite als unsolide gelten. | |
Es ist tragisch, dass die meisten Deutschen Staatsschulden für gefährlich | |
halten. Wenn Haushalte und Unternehmen ihr Geld horten, muss eigentlich der | |
Staat Kredite aufnehmen. Sonst bleibt das Geld auf den Konten liegen – und | |
verliert seinen Wert. Es verschimmelt bei den Banken wie die Nüsse eines | |
Eichhörnchens, das seine Winterration erst verbuddelt hat und dann nicht | |
wiederfinden kann. | |
Geld wird mit Reichtum verwechselt. Doch eine elektronische Zahl auf einem | |
Bankauszug hat noch keinen Wert. Spareinlagen müssen als Kredite zurück in | |
die Wirtschaft gelangen; sie müssen in Maschinen und Infrastruktur, in | |
Bildung und Forschung investiert werden. Doch genau diese Ausgaben | |
unterbleiben. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat | |
ausgerechnet, dass jedes Jahr 75 Milliarden Euro zu wenig investiert | |
werden. Die Deutschen verzichten auf Reichtum, den sie haben könnten. | |
## Die Deutschen schenken ihren Reichtum weg | |
Schulden werden mit moralischer Schuld assoziiert, und die Folgen sind | |
bizarr: Der deutsche Staat darf zwar keine neuen Kredite aufnehmen – aber | |
die Deutschen finanzieren nur zu gern Schulden im Ausland. Das Phänomen | |
heißt Exportüberschuss. Die Bundesrepublik führt ständig mehr Waren aus, | |
als sie selbst importiert. Daraus folgt mit zwingender Logik, dass das | |
Ausland nicht genug Einnahmen hat, um die deutschen Produkte zu kaufen, und | |
Darlehen aufnehmen muss – in Deutschland. Die Bundesrepublik liefert nicht | |
nur die Waren, sondern auch das nötige Geld. | |
Die Deutschen exportieren also ihre Ersparnisse, für die es zu Hause keine | |
Verwendung gibt. Sie schenken ihren Reichtum weg. Denn regelmäßig brechen | |
Finanzkrisen aus, weil das Ausland zu hohe Schulden hat, die es nicht | |
bedienen kann. Schockiert stellen die Deutschen dann fest, dass sie kein | |
Vermögen haben, sondern nur wertlose „Wertpapiere“. Dies ist keine | |
abstrakte Überlegung, sondern eine sehr konkrete Zahl: Das DIW hat | |
ausgerechnet, dass deutsche Anleger zwischen 2006 und 2012 etwa 600 | |
Milliarden Euro im Ausland verloren haben. | |
Trotz dieser Rückschläge bleiben die meisten Deutschen stur: Dem deutschen | |
Staat wollen sie keine neuen Kredite geben, obwohl er ein sicherer | |
Schuldner wäre. | |
Der Wahn der schwarzen Null hat nicht nur die Regierung erfasst, sondern | |
auch die Grünen versagen und toppen den Unsinn sogar noch. Stolz stellten | |
sie kürzlich den Plan vor, jedes Jahr einen Überschuss im Haushalt | |
erwirtschaften zu wollen, um für den demografischen Wandel vorzusorgen. | |
Würde die Idee umgesetzt, müsste man jährlich etwa 30 Milliarden Euro | |
zurücklegen. Klingt doch gut: Sparen für die Zukunft! Nur leider | |
funktioniert es nicht. Der Staat muss investieren, nicht horten, sonst | |
werden alle ärmer. | |
Allein die Linke warnt vor der schwarzen Null, aber sie dringt nicht durch. | |
Hartnäckig hält sich das Vorurteil, Linke hätten sowieso keine Ahnung von | |
Wirtschaft. Aber sie haben recht: Sparen macht nicht reich. | |
18 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
## TAGS | |
Schwarze Null | |
Wirtschaft | |
Sparen | |
Schulden | |
Kredite | |
Reichtum | |
EZB | |
Mindestlohn | |
Haushalt | |
Wachstumsprognose | |
Joschka Fischer | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar Vermögen in Deutschland: Cooler Blick auf die Wohlhabenden | |
Reichtumskritik ist zum erwartbaren Austausch von Klischees verkommen. | |
Politische Konsequenzen fehlen. Eine nüchterne Betrachtung hilft. | |
Debatte Europäische Zentralbank: Viel Geld, das nichts bringt | |
EZB-Chef Mario Draghi will eine Billion Euro in die Banken pumpen. Es wird | |
nicht funktionieren. Trotzdem ist die deutsche Kritik an ihm falsch. | |
Trübe Konjunkturaussichten: Unionspolitiker wollen bremsen | |
Weil die Wirtschaft schwächelt, fordern Unionspolitiker, Vorhaben wie | |
Mindestlohn und die Rente mit 63 auszusetzen. Die SPD reagiert | |
zurückhaltend. | |
Streit um Haushaltskonsolidierung: Sigmar Gabriel hält an Sparkurs fest | |
Die Konjunktur schwächelt, doch der Wirtschaftsminister möchte keine neuen | |
Schulden machen. Der SPD-Chef trotzt damit dem linken Parteiflügel. | |
Kommentar Wachstumsprognosen: Mit Karacho in die Rezession | |
Die Zeichen stehen auf Niedergang. Krisen machen offenbar nicht klüger. Die | |
Bundesregierung setzt weiter auf neoliberale Konzepte. | |
Joschka Fischers „Scheitert Europa?“: Schwarze Null und grüne Zehn | |
Bei seiner Buchvorstellung spricht der frühere Außenminister von der | |
„neoimperialen Politik“ Russlands und einer EU nach Schweizer Modell. |