# taz.de -- Apartheid-Vorschlag in Italien: B für die Braven, R für die Roma | |
> Ein linker Bürgermeister fordert Sonderbusse für Roma. Empört ist | |
> niemand, denn Roma-Hass ist in Italien in allen Lagern salonfähig. | |
Bild: Wollen sich gern separieren: busfahrende ItalienerInnen | |
ROM taz | 13.000 Einwohner hat das Städtchen Borgaro Torinese, gleich | |
nördlich von Turin, und dank der Buslinie 69 ist man auch schnell in der | |
Metropole nebenan. Jetzt aber möchte der Bürgermeister von Borgaro den | |
Service weiter verbessern: Die Linie soll „verdoppelt“ werden. Gemeint sind | |
keineswegs häufigere Fahrten, sondern das Angebot soll diversifiziert | |
werden – man könnte auch sagen: die Rassentrennung im Bus. | |
Da wäre zunächst die Linie 69 für die braven Bürger, nennen wir sie 69B; | |
und dann soll es noch eine neue Linie geben, für die wohl die Bezeichnung | |
69R passen würde – R wie Roma. Die 69B soll, wenn es nach Bürgermeister | |
Claudio Gambino geht, ohne Halt am großen, außerhalb des Ortskerns | |
gelegenen Roma-Camp mit seinen 600 Bewohnern vorbeirauschen. | |
Doch auch für die Roma ist gesorgt: Sie sollen ja die Extralinie 69R | |
bekommen, die bloß ihr Lager anfährt. „Ein Niemandsland“ sei der 69er Bus | |
geworden, erregt sich Gambino in einem Brief an den Präfekten von Turin, | |
und deshalb bedürfe es jetzt „radikaler Lösungen“; gerade erst hätten | |
Roma-Mädels auf der Fahrt wieder versucht, ein 13-jähriges Mädchen zu | |
bestehlen. „Toleranz und Geduld“ hätten Borgaros Bürger dem Roma-Lager vor | |
ihrer Tür seit nunmehr 20 Jahren entgegengebracht, jetzt sei Schluss. | |
Das Pikante an der hochoffiziellen Stellungnahme: Sie kommt keineswegs aus | |
den Reihen der üblichen Verdächtigen von der | |
rechtspopulistisch-fremdenfeindlichen Lega Nord. Der da schreibt, ist ein | |
Bürgermeister aus den Reihen der gemäßigt linken Partito Democratico (PD) – | |
und sein Verkehrsdezernent gehört gar zur stramm linken Kleinpartei | |
Sinistra Ecologia Libertà (SEL – Linke, Ökologie, Freiheit). | |
## Gesellschaftsfähige Apartheidsfantasien | |
Dennoch wurde kein Skandal aus der Geschichte. Kurz meldeten die Medien den | |
Apartheidvorstoß und niemand regte sich auf. Stellungnahmen der PD, vor Ort | |
oder gar von der nationalen Parteileitung? Fehlanzeige. Roma-Bashing | |
nämlich ist in keinem westeuropäischen Land so gesellschaftsfähig wie in | |
Italien. Seit den 60er Jahren entstanden Favelas, in denen Tausende Roma | |
und Sinti, oft aus Osteuropa, in Wellblechhütten, manchmal gar bloß in | |
Pappverschlägen hausen – und der italienische Staat verzichtete konsequent | |
auf jegliche Integrationspolitik. | |
Lieber errichten die Gemeinden bisweilen ganz „offizielle“ Lager, wo die | |
Menschen dann in Containern hausen, hinter hohen Zäunen, weit draußen in | |
den Peripherien der Großstädte. Diese Politik der Segregation lässt sich | |
zum Beispiel die Stadt Rom 24 Millionen Euro pro Jahr kosten. Und zugleich | |
gelten die Camps dann der öffentlichen Meinung als Beweis, dass die | |
„Nomadi“, die „Nomaden“, sich eben nicht integrieren wollen. | |
Von rechts bis links schlägt den Roma und Sinti nichts als Abscheu | |
entgegen: 85 Prozent der Italiener bekennen sich zu einer negativen Meinung | |
ihnen gegenüber, das ist europäische Spitze. Mit der Abwertung und dem Hass | |
geht ein völlig verzerrtes Bild einher: So glauben tatsächlich 84 Prozent | |
der Italiener, die „Zingari“ seien „fahrendes Volk“ ohne Wohnsitz. Übe… | |
Prozent sind überzeugt, dass sie freiwillig separiert in Elendslagern | |
wohnen, weil sie „für sich“ sein wollen. | |
Da überrascht es nicht, dass selbst das Klischee von den Kinder stehlenden | |
Zigeunern in Italien noch lebendig ist. 2008 kam es in Neapel zu einem | |
wahren Pogrom gegen ein Roma-Lager, weil eine junge Romni angeblich | |
versucht hatte, ein Kleinkind zu rauben. Und so hatte auch in Borgaro vor | |
vier Wochen ein Vater von einer durch Roma versuchten Kindesentführung | |
schwadroniert. Damals rückten sofort reichlich TV-Teams an. Jetzt dagegen, | |
angesichts des realen bürgermeisterlichen Vorstoßes zur Einrichtung der | |
Sonderbusse, reist kein einziger Reporter an. | |
28 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Italien | |
Roma | |
Bus | |
Schriftsteller | |
Italien | |
Rom | |
Toleranz | |
Öffentlicher Nahverkehr | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Südafrikanischer Schriftsteller: Apartheidgegner André Brink ist tot | |
Der drei Mal für den Literatur-Nobelpreis nominierte Schriftsteller André | |
Brink ist gestorben. Sein Anti-Apartheid-Roman wurde mit Marlon Brando | |
verfilmt. | |
Vor Präsidentenwahl in Italien: Bewährungsprobe für Matteo Renzi | |
2015 verabschiedet sich Präsident Napolitano vorzeitig aus dem Amt. Die | |
Wahl eines Nachfolgers wird zur Nagelprobe für die Regierung. | |
Mafia-Strukturen in Rom: Gut geschmierte Politiker | |
Kreditwucher, Geldwäsche, Bestechung. In Rom wurde ein Kartell zerschlagen, | |
dem auch Gianni Alemanno angehörte. Er ist Ex-Bürgermeister und | |
Ex-Faschist. | |
„Themenwoche Toleranz“ bei der ARD: Die Oma und die Roma | |
Für den ARD-Film „Bis zum Ende der Welt“ holten sich Produzent und | |
Regisseur Rat von der „Rom und Cinti Union“. Klischees werden trotzdem | |
bedient. | |
Diskriminierung von Roma in Italien: Bürgermeister fordert Sonderbusse | |
Ein Stadtoberhaupt möchte nicht länger, dass Roma dieselben Busse nehmen | |
wie die übrige Bevölkerung. Parteifreunde werfen ihm vor, Apartheid zu | |
fördern. | |
Roma in Berlin: Ganz kleine Brötchen | |
Der Senat hat zwei Notwohnungen für obdachlose Familien eröffnet – | |
inklusive Rückkehrberatung. Die Gewobag sucht Mieter fürs | |
„Roma-Modellhaus“. |