# taz.de -- „Themenwoche Toleranz“ bei der ARD: Die Oma und die Roma | |
> Für den ARD-Film „Bis zum Ende der Welt“ holten sich Produzent und | |
> Regisseur Rat von der „Rom und Cinti Union“. Klischees werden trotzdem | |
> bedient. | |
Bild: Bero spielt toll Akkordeon. Maria will ihn fördern. Leider allzu rührse… | |
„Was will die denn mit den Zigeunern?“, war von aufgebrachten Schaulustigen | |
in Hamburg-Wilhelmsburg zu hören, als dort vor etwas mehr als einem Jahr | |
die Außenszenen des Films „Bis zum Ende der Welt“ mit Christiane Hörbiger | |
gedreht wurden. Anlass für den Unmut war die Anwesenheit einiger Roma, die | |
in dem Drama an der Seite der 76 Jahre alten Schauspielerin als Komparsen | |
und Nebendarsteller zu sehen sind. Am Montag ab 20.15 Uhr können sich die | |
Pöbler noch einmal vor dem Fernseher aufregen. Der 90-Minüter ist eine von | |
drei fiktionalen ARD-Produktionen, die im Rahmen der seit Samstag laufenden | |
[1][„Themenwoche Toleranz“] gezeigt werden. | |
Die Story ist rasch erzählt: Die Witwe Maria Nikolai (Hörbiger) traut sich | |
kaum noch vor die Tür, seitdem in ihrem Viertel zunehmend Ausländer leben, | |
vor allem die Roma-Flüchtlinge aus ihrem Haus betrachtet sie als Gesindel. | |
Aber wie es dann so ist: Beim Einkaufen fällt ihr das Portemonnaie aus der | |
Tasche – und es ist der Roma-Junge Bero (Samy Abdel Fattah), der es ihr | |
nach Hause bringt. Als er etwas später in ihrer Wohnung Unterschlupf vor | |
rechtsradikalen Schlägern findet, erkennt die Rentnerin seine musikalische | |
Begabung. Die musikbegeisterte Frau fördert den Jungen, lernt seine Familie | |
kennen und kann einen Teil ihrer Vorurteile überwinden. | |
Produzent Markus Trebitsch und Regisseur Matthias Tiefenbacher ließen sich | |
für den Film von der in Hamburg ansässigen Rom und Cinti Union beraten. | |
Vertreter des Vereins haben das Skript von Thorsten Näter gelesen, das | |
Casting sowie Gespräche mit Roma organisiert und waren täglich am Set. | |
„Ich war skeptisch, als ich das Drehbuch in die Hand bekam“, sagt der | |
Vorsitzende Rudko Kawczynski. „Wir wurden in den vergangenen Jahren immer | |
mal wieder um Fachberatung gebeten, aber da wollte man meist nur ein paar | |
Alibi-Roma zur Dekoration im Film haben und hat ansonsten munter Vorurteile | |
und Stereotype wiederholt. Da ging es nur um schlitzohrige Zigeuner, die | |
betteln und sonst nichts zu tun haben. Dieses ganze dumme Zeug. Deshalb | |
hatten wir eigentlich entschieden, so etwas gar nicht mehr anzubieten.“ | |
## „Alles direkt aus dem Alltag gegriffen“ | |
In diesem Fall sei es aber anders gewesen: „Ich habe mich und die | |
Geschichten vieler anderer Roma in dem Drehbuch wiedergefunden. Das ganze | |
Filmteam inklusive der Schauspieler war neugierig und wollte die | |
Reproduktion von Vorurteilen unbedingt vermeiden.“ Natürlich werden in dem | |
Film nicht die Problemlagen und Biografien sämtlicher Roma in Deutschland | |
verhandelt. Im Zentrum steht die Situation einer Flüchtlingsfamilie, die | |
unter Armut, ihrer beengten Wohnsituation und mies bezahlten Knochenjobs | |
leidet. | |
Interessant ist auch die Nebengeschichte einer Polizistin (Marie-Lou | |
Sellem), die aus Angst vor Diskriminierung ihre Herkunft verleugnet. „Das | |
ist alles direkt aus dem Alltag gegriffen“, sagt Kawczynski. „Es ist immer | |
ein guter Weg, solche Geschichten aus der Sicht der Betroffenen zu | |
erzählen. Nicht nur über sie, sondern mit ihnen zu reden. Ich bin sicher, | |
dass dank der realistischen Darstellung einige Zuschauer Aha-Erlebnisse | |
haben und zum Nachdenken angeregt werden.“ | |
Das wäre erfreulich. Das Vorgehen der Filmemacher ist aller Ehren wert, und | |
der Film bietet sicherlich einen guten Einblick in Lebenswelten, die selten | |
Thema von Primetime-Spielfilmen sind. Leider hat „Bis zum Ende der Welt“ | |
aber auch zahlreiche Schwächen. So kommt die simpel gestrickte Geschichte | |
ohne jegliche Überraschungen daher. Wer schon einmal einen dieser typischen | |
Degeto-Filme gesehen hat, wird auch bei diesem nach zehn Minuten den Rest | |
der Handlung vorhersagen können. Viele Dialoge haben vor allem den | |
pädagogischen Zweck, den Zuschauer auf Ungerechtigkeiten aufmerksam zu | |
machen – und klingen dabei nicht gerade wie aus dem Leben gegriffen. | |
## Entscheidung für ein Klischee | |
Allzu rührselig wird es im Zusammenspiel zwischen alter Dame und jungem | |
Musiktalent. Der sanftmütige Knabe besitzt keine einzige schlechte | |
Eigenschaft und geht immer brav zum Integrationskurs, dennoch wirkt das | |
übermäßige Engagement der alten Dame nicht glaubwürdig. Und auch, dass der | |
Junge so schön Akkordeon spielen kann, ist letztlich doch eine Entscheidung | |
für ein Klischee. | |
Vielleicht sollte man Begrifflichkeiten von Themenwochen nicht auf die | |
Goldwaage legen, aber es stellt sich auch die Frage, warum dieser Film | |
unter dem Label „Themenwoche Toleranz“ läuft. Der ohnehin schwammige | |
Begriff „Toleranz“ führt in die Irre. Er sendet das Signal an die | |
Zuschauer, dass „die Roma“ ein negativ von der Norm abweichendes Verhalten | |
an den Tag legen, das man tolerieren möge. Diese Botschaft vermittelt „Bis | |
zum Ende der Welt“ aber gar nicht. Zum Glück. | |
17 Nov 2014 | |
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## AUTOREN | |
Sven Sakowitz | |
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