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# taz.de -- Neues Album von Mouse on Mars: Koketterie der Klangforscher
> Clevere Quälgeister zwischen Avantgarde, Dancefloor und Pop: Mouse on
> Mars gönnen sich zum 21. Jahrestag das Doppelalbum „21 Again“.
Bild: Das kleinste Kollektiv der Welt: Mouse on Mars
„Veteranen – so werden wir in letzter Zeit oft genannt. Was uns das Gefühl
gibt, etwas falsch gemacht zu haben, weil das so militärisch klingt.“
Ein bisschen Koketterie darf’s schon sein. Jan St. Werner, eine Hälfte des
Elektronik-Duos Mouse on Mars, weiß genau, was sein Bandprojekt alles
richtig gemacht hat. Die Schnittmenge aus Pop, Avantgarde und Dancefloor
haben er und sein Kollege Andi Toma zu ihrer eigenen Nische ausgebaut. So
sind Mouse on Mars zu einflussreichen Klangforschern geworden. Ihr
cleverer, bisweilen anstrengender Sound wird besonders im Ausland auf eine
Bedeutungsebene mit Kraftwerk gestellt.
Beim Besuch in ihrem Studio im Berliner Funkhaus Nalepastraße, ehemals
Heimstätte des DDR-Rundfunks, übernimmt St. Werner den Job, zu erklären,
wie Mouse on Mars funktionieren – und prognostiziert, dass ihnen auch im
dritten Jahrzehnt ihres Bestehens die Ideen nicht ausgehen werden. Das
macht er ausführlich, obwohl er und sein Mitstreiter an diesem Nachmittag
noch proben müssen. Andi Toma bleibt derweil im Hintergrund, bastelt an
Gerätschaften und schaltet sich nur gelegentlich ein.
Bis zu „21 Again“, der Geburtstagssause, die sie gemeinsam mit
Wegbegleitern und befreundeten Künstlern heute und morgen feiern, bleibt
wenig Zeit. Zur Veröffentlichung des gleichnamigen Doppelalbums haben sich
Mouse on Mars Kollaborationen gegönnt, mit Musikern, die sie bewundern. Vom
Berliner Party-Technoprojekt Modeselektor, den Chefs ihres Labels
Monkeytown, bis hin zur Chicagoer Postrock-Combo Tortoise gibt es
Gastbeiträge auf dem Album. Und auch im Berliner Theater Hebbel am Ufer
werden Gäste dabei sein.
## Werk für Orchester
Unter anderem wird „Paeanumnion“ aufgeführt, ein von Mouse on Mars
komponiertes, bislang unveröffentlichtes Orchesterwerk. Nun lässt es sich
zum zweiten Mal überhaupt live erleben, umgesetzt mit dem Ensemble
Musikfabrik und dirigiert von Andre de Ridder. Mouse on Mars werden
natürlich auch spielen, unterstützt von Schlagzeuger Dodo NKishi und
Laetitia Sadier, der ehemaligen Sängerin der britischen Band Stereolab.
„21 Again“ heißt das Unternehmen auch deshalb, weil Toma und St. Werner im
besten Flegelalter 21 waren, als sie sich kennenlernten, der Legende nach
bei einem Metal-Konzert. „Die gute Chemie hat dafür gesorgt, dass man sich
aufeinander verlassen kann, sich geistig auch immer wieder verwirrt“,
erklärt St. Werner. Was die beiden auf musikalischer Ebene – seinerzeit
noch in Köln und Düsseldorf – entwickelten, dem konnten er und Toma
zunächst keinen Namen geben. Doch ihre ganz eigene Vorstellung von
Klangforschung traf einen Nerv und sorgte für Anerkennung in
unterschiedlichsten Szenen.
Grußbotschaften zwischen den Tracks auf „21 Again“ vermitteln eine
Vorstellung davon, was Kollegen an den freundlichen akustischen
Quälgeistern finden – besonders hübsch ist da der bekiffte Monolog des
US-Experimental-HipHop-Produzenten Scott Herren alias Prefuse 73, der Mouse
on Mars in den Neunziger Jahren im fernen Atlanta auf dem Schirm hatte.
St. Werner und Toma bedienen sich bei Techno, Funk, Noise, Dub, Ambient und
Jazz, zerhackstücken Sounds und setzen sie neu zusammen. Erstaunlicherweise
ist aus diesem kleinteiligen Eklektizismus mitunter richtiger Pop
entstanden. Oft führte die experimentierfreudigen, leicht streberhaften
Nerds in Klangwelten, die fordernd vor sich hin dengelten, dank eines
wohldosierten Quäntchens Albernheit aber doch Spaß machen. Und sich
rhizomatisch verzweigen.
## Ein kleines Kollektiv
„Wir sehen uns als Kollektiv – auch wenn wir nur zu zweit sind. Es kommen
immer neue Leute hinzu, die etwas beitragen oder herausziehen.“ Mouse on
Mars suchen nicht nur mit Musikern nach Synergieeffekten, sondern versuchen
auch den Brückenschlag zu anderen Kulturdisziplinen, etwa mit der
Ausstellung „doku/fiction“, die 2004 in der Kunsthalle Düsseldorf zu sehen
war: Dort wurden ihre Tracks gemixt – von bildenden Künstlern.
Auch die zweitägige „21 Again“ ist interdisziplinär angelegt: Kunst wird …
zu sehen sein und ein von Künstlern gekochtes synästhetisches Abendessen
soll serviert werden.
St. Werner und Toma schaffen als Duo die Bedingungen, unter denen der Track
sich seinen Weg suchen kann. Sie selbst sehen sich – darauf legt St. Werner
Wert – nicht als „Komponisten“, eher als „Handwerker, die aufpassen, da…
alles passt. „Man kann Lichtschalter ja auch nur an bestimmte Stellen
setzen.“
Dass die 23 Tracks auf „21 Again“ übers Ziel hinaus schießen, gehört bei
Mouse on Mars aber auch dazu: Die Tracksammlung deckt trotz der
unterschiedlichen Mitstreiter das Klangspektrum ab, das man von den beiden
kennt: „Metaloona Swamp“, eine apokalyptisch galoppierende Polka-Nummer mit
Candie Hank alias Patric Cantani etwa klingt erst mal anstrengend, andere
Tracks, etwa das radiokompatibel swingende, in Zusammenarbeit mit dem
House-Produzenten Eric D. Clark entstandene „Lost And Found“, haben
richtigen Pop-Appeal.
„Das Album ist ein Versuch, offene Baustellen zu schließen“, erklärt St.
Werner. „Wir sind beide eher unruhig und unkonzentriert“, so dass über die
Jahre einiges liegenblieb. Noch aus der Zeit vor ihrem Umzug nach Berlin
2010 hatten sie einige „Featuring“-Stücke begonnen.
## Alchemistisches Pulver
Was St. Werner als „unfokussiert“ bezeichnet, ist ein offener,
durchlässiger Arbeitsansatz, der dafür sorgt, dass Mouse on Mars es sich in
den Szenen und Blasen, an die sie andocken, nie gemütlich machen. Während
er ihre Arbeitsweise erläutert, macht St. Werner sich und Toma ganz
nonchalant ein fettes Kompliment: „Im Grunde sind wir alchemistisches
Pulver: ein Katalysator, der Dinge in Gang bringt. Wir haben ganz viel von
dem Zeug – und wissen, wie man mehr davon herstellt.“
In der zweiten Hälfte der Nuller Jahre war es jedoch still geworden um
Mouse on Mars. Alben, die angekündigt waren, erschienen nicht – mit
Ausnahme von „Tromatic Reflexxxions“ (2007), einer gelungenen
Zusammenarbeit mit Mark E. Smith, dem alten Grantler von The Fall.
Erschienen war das Ganze unter dem Projektnamen Von Südenfed. Der Umzug
nach Berlin habe dem Duo gut getan, erklärt St. Werner. 2012 erschien
„Parastrophics“, ihr Berlin-Album. Es handelt davon, „sich einen neuen Ort
zu erschließen, der noch voller Geheimnisse steckt“. Sie entwickelten eine
Musik-App fürs iPhone namens WretchUp und landeten beim Label Monkeytown.
Egal wie es um die Halbwertszeit ihres alchemistischen Pulvers bestellt ist
– für den Moment formuliert St. Werner ein sympathisches Manifest: „Wir
rebellieren gegen den Fatalismus, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie
sind.“ Und fügt hinzu: „Musik ist keine Skulptur, die für ewig da steht.
Man muss sie immer wieder dekonstruieren und für sich erwecken.“
31 Oct 2014
## AUTOREN
Stephanie Grimm
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