# taz.de -- Rechte Gewalt gegen Journalisten: Angst ist keine Option | |
> Die „Lausitzer Rundschau“ wird seit zwei Jahren immer wieder von Neonazis | |
> angegriffen. Die Redaktion lässt sich nicht einschüchtern. | |
Bild: Rechte Schmierereien an der Redaktion der „Lausitzer Rundschau“ in Sp… | |
COTTBUS/SPREMBERG taz | Wer in der Lausitz in Brandenburg mit | |
Zeitungsredaktionen, Polizei, Rathaus oder Innenministerium spricht, hört | |
immer wieder dieses eine Wort: Idioten. | |
René Wappler sitzt beim Mittagessen in Spremberg, Niederlausitz. „Hallo | |
Pizza“, es ist die schnelle Variante für die Pause. Ein Becher Pepsi, | |
vegetarische Pizza. Er sagt lieber „die Jungs“. Dabei hätte er Grund genug, | |
„Idioten“ zu sagen. | |
Wappler, kurze Haare, Brille, ist seit 2011 Lokalredakteur der Lausitzer | |
Rundschau (LR) in Spremberg. „Zweitausendölf“ sagt er, er ist in Cottbus | |
geboren. Er redet gern, über die Vergangenheit von Spremberg, über die | |
DDR-Zeit, über Kinofilme. Aber bei diesem einen Thema, für das er bekannt | |
wurde, zu dem so viele Journalisten ihn in seiner kleinen Lokalredaktion | |
interviewen wollen, wird er einsilbig. | |
Wappler schreibt über Nazis in der Region und wird dafür immer wieder | |
angegriffen. Zuletzt, im September dieses Jahres, beschmierten vermutlich | |
Rechte die Fenster der Spremberger Redaktion mit „Juden“ und „Wir kriegen | |
euch“. Dazwischen Hakenkreuze und ein gelber Davidstern. Am Tag darauf | |
standen ähnliche Parolen an den Fenstern der LR-Lokalredaktion in Lübbenau, | |
50 Kilometer nördlich von Spremberg. | |
## Schweinsgedärme und Tierblut | |
Es waren nicht die ersten Anschläge auf die Redaktion. „Lügenpresse halt | |
die Fresse“, stand 2012 nach einem Bericht von Wappler über die lokale | |
Naziszene an den Redaktionsräumen. Am nächsten Tag hingen Schweinsgedärme | |
an der Tür und Tierblut war auf dem Boden verschüttet. Seitdem haben sich | |
„die Jungs regelmäßig in Erinnerung gebracht“, sagt Wappler. | |
Mal ließen sie einen Silvesterknaller neben ihm explodieren, mal kamen sie | |
in die Redaktion und drohten mit Gewalt, bei Gerichtsprozessen beobachten | |
sie ihn und konfrontieren ihn mit Sprüchen wie: „Als Journalist lebste | |
schon gefährlich.“ Hat Wappler keine Angst? „Nee. Ich glaube, dass solche | |
Gefühle erst entstehen, wenn man sie zu sehr in Betracht zieht.“ Also zieht | |
Wappler sie nicht in Betracht – sagt er zumindest. | |
Er ist 43, Journalist wollte er schon zu Schulzeiten werden. Er findet die | |
Idee toll, „Geschichten aus dem Leben“ zu erzählen. Die Nazis nehmen dabei | |
gerade einmal zehn Prozent seiner Arbeit ein, schätzt Wappler. Er sieht | |
sich nicht als Experte für Rechtsextremismus, schon gar nicht als „Kämpfer�… | |
dagegen. „Ich habe immer nur berichtet“, sagt er. „Wenn ich für etwas | |
kämpfe, dann dafür, das Selbstverständnis dieses Berufs | |
aufrechtzuerhalten.“ | |
2012 hat er den Wächterpreis für seine Berichterstattung bekommen, 2013 den | |
Nannen-Preis. Zeigt das nicht, dass seine Arbeit eben nicht | |
selbstverständlich ist? „Den Nannen-Preis habe ich stellvertretend | |
bekommen, für alle, die gegen Widerstand berichten. So interpretiere ich | |
das.“ Wappler ist keiner, der sich im Ruhm sonnt. | |
## Die aggressivsten Neonazis des Landes | |
Es ist einer der letzten warmen Herbsttage in Spremberg. Knapp 23.000 | |
Menschen leben hier an der brandenburgisch-sächsischen Grenze. Rund um den | |
Markt stehen bunte Häuser, hübsch saniert, mit Blumenkästen davor. Vor dem | |
Bäcker sitzen drei Männer bei Bockwurst und Kaffee, um die Ecke sammelt | |
eine Frau Kastanien. Ob die Stadt ein Naziproblem habe? Die Frau zuckt mit | |
den Schultern. „Na ja, so kann man das nicht sagen. Das sind halt ein paar | |
dumme Jungs.“ | |
Diese „dummen Jungs“ von Spremberg sind laut Verfassungsschutz die | |
gefährlichsten in Brandenburg. 42 rechte Straftaten gab es 2013 in | |
Spremberg. Die meisten davon Propagandadelikte, aber auch Schläge, Tritte | |
und Morddrohungen gegen vermeintlich Linke, gegen Behinderte und Ausländer. | |
Die NPD ist schwach in der Region. 3,5 Prozent bekam sie bei der letzten | |
Landtagswahl, die AfD dafür 13,2 Prozent. Aber die aggressivsten Neonazis | |
haben mit den Parteien nichts zu tun, mutmaßt der Verfassungsschutz. Es | |
sind die freien Kräfte, die gefährlich sind. | |
Ende letzten Jahres wurde die Gruppe „Widerstand Südbrandenburg“ verboten. | |
Sie hatte die sogenannten Fackelläufe etabliert, die sogar in der Schweiz | |
Nachahmer fanden: Maskiert, mit Fackeln in der Hand zog der Mob durch die | |
Städte. „Mit so einem Verbot zerschlagen Sie die Strukturen: Vereinskapital | |
weg, Computer weg, und Sie setzen die Leute unter Druck“, sagt Wolfgang | |
Brandt vom brandenburgischen Innenministerium. „Aber die braune Soße | |
kriegen Sie damit nicht aus den Köpfen.“ | |
## Offizielles Naziproblem | |
Wie ein Kaugummi klebt das Nazi-Image an der Region. Christine Herntier | |
bedauert das. Sie ist die parteilose Bürgermeisterin von Spremberg, seit | |
einem knappen Jahr im Amt. „Ja, Spremberg hat ein Naziproblem“, sagt sie. | |
„Aber ich kann Ihnen auch sagen: Spremberg stellt sich dem Problem.“ | |
Zumindest offiziell. | |
Am Tag nach den jüngsten Anschlägen im September auf das Redaktionsbüro in | |
Lübbenau versammelten sich dort Bürger auf dem Markt. In Spremberg tagte | |
sechs Wochen nach den Anschlägen der runde Tisch, mit Kirchenvertretern, | |
Polizei, Staatsanwalt, Fraktionsvorsitzenden, Bürgern und René Wappler. | |
Ergebnis der Sitzung: Die Bürger von Spremberg sollen ermutigt werden, sich | |
gegen die Nazis zu stellen. Am Montag will die Stadtverordnetenversammlung | |
außerdem beschließen, Adolf Hitler und Paul von Hindenburg endlich die | |
Ehrenbürgerschaft abzuerkennen. | |
Aus der Mantelredaktion der LR in Cottbus bekommt René Wappler mehr | |
Unterstützung. Johannes Fischer, Chefredakteur, schrieb am Tag nach den | |
Anschlägen im Leitartikel: „Neonazis sind in ihrer persönlichen Entwicklung | |
nicht weit gekommen. Wenn sie voller Hass Parolen auf Wände und Fenster | |
schmieren, wollen sie infantile Aufmerksamkeit. Gleichzeitig sind sie zu | |
feige, sich öffentlich zu stellen.“ | |
Bevor Fischer die Leitung der Lausitzer Rundschau übernahm, arbeitete er | |
bei der Freien Presse in Chemnitz. Probleme mit Nazis kennt er aus dieser | |
Zeit. Aber Schmierereien? Drohungen? Für ihn sind das Anschläge auf die | |
Pressefreiheit und Aufrufe zum Mord. „Schlimmer geht es fast nicht“, sagt | |
er. | |
## Polizeischutz auf dem Heimweg | |
Dass die Ermittlungen zu dem Blutanschlag von 2012 erfolglos eingestellt | |
wurden, frustriert ihn. Diesmal hat die Polizei eine Spur, mehr sagt sie | |
noch nicht – Ermittlungstaktik. | |
Fischer hat Wappler angeboten, in einer anderen Redaktion zu arbeiten. „Das | |
kommt überhaupt nicht infrage“, sagt Wappler über seiner Pizza. „Wie soll | |
ich denn kritisch über Leute schreiben, wenn ich selber abhaue, wenn es | |
brenzlig wird?“ Einmal musste die Polizei Wappler von seinem Büro nach | |
Hause begleiten, weil vor der Tür Nazis warteten. Wo das ist, zu Hause, | |
will Wappler lieber nicht sagen. | |
Er wäre einfach, jetzt zu denken: die braune Lausitz, mit all diesen | |
„Idioten“. Aber Wappler ist sich sicher: Wenn andere Journalisten vor ihrer | |
Haustür genau gucken würden, würden sie ähnliche Geschichten finden. Die | |
Nazi-Krawalle in Köln am vergangenen Wochenende, SS-Siggi in Dortmund, der | |
NSU in Jena. Vielleicht ist es eben doch nicht so selbstverständlich, gegen | |
braune Idioten anzuschreiben. | |
1 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Anne Fromm | |
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