| # taz.de -- Hells Angels in Walsrode: Stadt der Angst | |
| > Im niedersächsischen Walsrode traut sich niemand mehr, etwas gegen die | |
| > Hells Angels zu sagen. Nicht Rocker gelten dort als Nestbeschmutzer, | |
| > sondern ihre Kritiker. | |
| Bild: So geht Einschüchterung: Hauswand eines Anwalts in Walsrode. | |
| HANNOVER taz | Hells Angels, ein rundes Dutzend. In voller Montur, mit | |
| schwarzen Lederjacken, auf denen der geflügelte Totenkopf Angst machen | |
| soll. Sie sitzen auf schweren Maschinen der Marke Harley-Davidson, darunter | |
| augenscheinlich auch das Modell „Fat Boy“, das aktuell ohne jedes Extra für | |
| 20.995 Euro verkauft wird: Bei den Höllenengeln, denen Niedersachsens | |
| SPD-Innenminister Boris Pistorius die „Anwendung von Gewalt und anderer zur | |
| Einschüchterung geeigneter Mittel“ vorwirft, die das Landeskriminalamt | |
| immer wieder mit Tötungsdelikten, Körperverletzung, Raub, Erpressung, | |
| Prostitution und Geldwäsche in Verbindung bringt, ist die US-amerikanische | |
| Marke noch immer Pflicht. Schließlich pflegt kein anderer | |
| Motorradhersteller den Machismo-Kult mit V-Motoren, unendlich viel Chrom | |
| und schwarzem Leder so wie Harley-Davidson. | |
| Die Motoren brüllen auf der Hannoverschen Straße in Walsrode im Heidekreis, | |
| ländlich abgeschieden in der Mitte des Städtedreiecks Hamburg, Bremen, | |
| Hannover. Mit den umliegenden Dörfchen zusammen zählt die Stadt nicht | |
| einmal 24.000 Einwohner. Dann biegt der Tross nach rechts ab: Der lokale | |
| Boss der Hells Angels, Wolfgang Heer, hat hier jahrelang das Bordell | |
| „Casanova Club“ betrieben. Den in einem merkwürdigerweise pink-rosa | |
| gestrichenen Gebäudekomplex direkt am Eingang der Stadt kann niemand, | |
| wirklich niemand übersehen, der sich Walsrode von Süden her nähert. | |
| Natürlich ist dieser Auftritt, den die Rocker noch im Frühsommer 2014 | |
| hinlegten, also kurz bevor die niedersächsische Landesregierung ein | |
| Kuttenverbot erließ, eine Machtdemonstration – und das hier, ausgerechnet | |
| in Walsrode. Das beschauliche Heidestädtchen hat ab 2010 bundesweit | |
| Schlagzeilen gemacht: als „Stadt der Angst“, als Beispiel eines Ortes, dem | |
| die sukzessive Machtübernahme durch die zur organisierten Kriminalität | |
| gezählte Rockerbande droht, in dem die bürgerliche Rechtsordnung durch ein | |
| System aus Geld und Drohungen langsam zersetzt werden könnte. | |
| Hier bewachten Mitglieder der Firma GAB-Security, die Rocker-Boss Heer mit | |
| dem Hannoverschen Hells-Angels-Chef Frank Hanebuth (siehe Seite 45) | |
| betrieben haben soll, das Stadtfest – die aufgepumpten Mitarbeiter trugen | |
| Shirts mit der Aufschrift „Kleinstadt der Engel“. Mitgliedern der grünen | |
| Stadtratsfraktion, die diese Übernahme öffentlicher Aufsicht durch | |
| potenzielle Kriminelle kritisierten, wurden dagegen die Autos zerschlagen, | |
| die Reifen zerstochen – schließlich forderte die Partei ein Ende der | |
| Geschäftemacherei mit den Rockern. Deren Lokalchef Heer zählte | |
| währenddessen auf, dass „der Weihnachtsmarkt“, der Fußballverein „Germa… | |
| Walsrode“ von ihm mit Spenden bedacht würden, ebenso die „Aktion Mensch, | |
| das SOS-Kinderdorf, Ärzte ohne Grenzen, das Rote Kreuz“. Selbst ein | |
| „Patenkind in Indien“ vergaß der vermeintliche Wohltäter nicht. | |
| Der Anwalt eines Grünen aber fand eine Morddrohung auf seiner Hauswand: | |
| „Eine Kugel reicht“ war neben einem Fadenkreuz zu lesen. Und bei einer | |
| öffentlichen Diskussion in der Stadthalle, zu der im November 2010 neben | |
| rund 500 Bürgern auch etwa 100 Hells Angels aufmarschierten, durfte | |
| Rockerkönig Hanebuth, der aktuell in Spanien in Untersuchungshaft sitzt, | |
| die ehemalige innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Silke | |
| Stokar, unmissverständlich bedrohen: Die Politikerin solle sich „genau | |
| überlegen“, was sie sage, warnte der Zwei-Meter-Mann, der | |
| selbstverständlich in der ersten Reihe Platz genommen hatte, mehrmals. | |
| Vier Jahre später sind die Kritiker mundtot. | |
| Sie schweigen, wollen ihren Namen heute auf keinen Fall in der Zeitung | |
| lesen, haben offensichtlich Angst. „Die sind sicher, da kommt noch was“, | |
| sagt ein Walsroder – und meint neue Einschüchterungen, Anschläge, Gewalt. | |
| Denn die Hells Angels sind weiter in der Stadt: „Die Jungs sind alle noch | |
| da – persönlich und geschäftlich sowieso“, ist in der Heide zu hören. �… | |
| ein bis zwei Dutzend“ Rocker lebten in der Gegend, sagt Thorsten Möhlmann, | |
| Sprecher der Polizeiinspektion Heidekreis mit Sitz in Soltau, „die | |
| Fluktuation“ sei groß. | |
| Das Bordell in Walsrode werde weiter betrieben, ebenso ein Fitnessstudio | |
| und die Bowlingbahn „Colosseum“. Dahinter sei „eine kleine Disco | |
| entstanden“. Ob Heer weiter der Besitzer sei, sage die Polizei nicht, da | |
| müsse man doch bitte „beim Gewerbeamt“ nachfragen. Letztlich sei die Frage | |
| aber auch unerheblich, da „in diesem Milieu oft mit Strohmännern“ | |
| gearbeitet werde – längst soll nicht nur Heers Sohn, der ehemalige | |
| Waldorfschüler Michel Heer, mit ins Geschäft eingestiegen sein. Auch der | |
| Sicherheitsdienst der Rocker ist wieder aufgetaucht: auf dem Bauschild | |
| eines Einkaufszentrums, für alle sichtbar mitten in der Stadt. | |
| Die Geschäfte der Rocker laufen also weiter, und sie werden verharmlost. | |
| „In Walsrode sehen wir keine Hells Angels“, sagt der Vorsitzende des | |
| Stadtmarketing-Vereins, Reinhard Plötz, treuherzig. Die Kaufmannschaft der | |
| Kleinstadt mache „keine Geschäfte mehr mit Heer gemeinsam“. Seit 2012 sei | |
| der lange als Geschäftsmann firmierende Rockerboss kein Mitglied des | |
| Vereins mehr, man gehe „getrennte Wege“. Dass sich Walsrodes Kaufleute | |
| trotz aller Kritik zwei Jahre lang geweigert haben, den großzügigen Spender | |
| Heer aus ihrem Verein zu entfernen, sagt Plötz dagegen nicht. | |
| Wichtig ist dem Marketing-Mann aber: Heers Bordell sei gar kein Bordell. | |
| „Das ist ein Club, da können auch Frauen hingehen“, erzählt er – und | |
| beteuert, persönlich natürlich noch nie einen Fuß in „den Club“ gesetzt … | |
| haben. | |
| Dass er damit klingt wie der Hells-Angels-Chef selbst, scheint Plötz egal: | |
| Mit ähnlichen Argumenten hat sich der ehemalige Binnenschiffer Heer 2012 | |
| aus einer Anklage wegen „ausbeuterischer und dirigistischer Prostitution“ | |
| herausgewunden. In Bordellen in Walsrode, Verden/Aller, Buxtehude, Soltau, | |
| Harburg und in diversen „Lovemobilen“ seien 57 Frauen gezwungen worden, | |
| „mindestens 50 Prozent ihrer Einnahmen abzuführen“, sagte der Sprecher der | |
| Staatsanwaltschaft Verden, Lutz Gaebel. Zusätzlich seien Mieten und | |
| „Strafgelder“ fällig geworden – etwa bei Verspätungen oder wenn die Fra… | |
| nicht die vorgeschriebene Reizwäsche trugen. Viele der Opfer stammten aus | |
| Osteuropa, sprachen kaum Deutsch. | |
| Ernst genommen hat Rockerboss Heer die Vorwürfe aber nie. „Ich weiß gar | |
| nicht, was die wollen“, tönte er von Anfang an. Die Anklage sei „ein groß… | |
| Lacher“. Seine „Mädels“ führten „alle ein selbstständiges Gewerbe“… | |
| freuten sich schon auf ihre Aussagen. Er selbst sei nicht mehr als eine Art | |
| Dienstleister, argumentierte Heer – und bekam Recht: Sowohl das Landgericht | |
| Verden als auch das Oberlandesgericht Celle lehnten die Eröffnung eines | |
| Hauptverfahrens ab. | |
| Noch heute kann der Rocker-Funktionär Heer, der als „Treasurer“ die | |
| Finanzen der Hells Angels bundesweit verantwortet, deshalb die Natur im | |
| Norden der Stadt genießen: Sein etwas protziges Anwesen liegt an der Straße | |
| zum Nachbarort Visselhövede hinter dem Gasthof „Dreikronen“, danach beginnt | |
| mit dem Grundlosen Moor ein wunderschönes Stück Niedersachsen. | |
| Seine Kritiker sind dagegen isoliert: In Walsrode gelten sie vielen als | |
| Netzbeschmutzer, die den Ruf des Ortes ruiniert hätten. Sie werden für | |
| wegbleibende Touristen verantwortlich gemacht. Auf dem Höhepunkt des | |
| selbstverschuldeten Imagedesasters, als Ex-Bürgermeisterin Silke Lorenz | |
| einen runden Tisch aus Parteien, Vereinen, Verbänden, Kirchen zusammenrief, | |
| wurde sogar die überregionale Presse ausgeschlossen – wegen angeblicher | |
| „Negativberichterstattung“. Teilnehmen durfte lediglich die lokale | |
| Walsroder Zeitung, die Rockerchef Heer offenbar so nahe steht, dass sie in | |
| ihren Artikeln gar nicht mehr erläutert, wer das eigentlich ist und die | |
| 2012 wegen einseitiger Berichterstattung zugunsten der Hells Angels vom | |
| Deutschen Presserat gerügt wurde. | |
| Trotzdem glaubt die Polizei im Heidekreis, sie habe die Situation im Griff. | |
| Ein Beamter kümmere sich „einzig und allein um die Rocker“, heißt es aus | |
| der Polizeiinspektion im 30 Kilometer entfernten Soltau: „Sie können sich | |
| darauf verlassen, wir haben da ein Auge drauf.“ | |
| Die Angst derjenigen, die sich mit den Hells Angels, den Kaufleuten, den | |
| von Heer bedachten Vereinen angelegt haben – sie wird dadurch nicht | |
| geringer. „Der Staat“, fürchtet einer, „kann mich und meine Familie nicht | |
| schützen.“ Dann schweigt er. | |
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| 31 Oct 2014 | |
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| Daniel Juergs | |
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