# taz.de -- Rechter Nährboden der Hells Angels: Neues Leben an der West Side | |
> Das einst mächtige Bremer Charter der Hells Angels ist heute verboten. | |
> Seine Mitglieder sind weiter aktiv, pflegen Verbindungen zu Promis und | |
> Werder. | |
Bild: Die Hells Angels bei einer Trauerfeier in Bremen im Jahr 2010. | |
HAMBURG/BREMEN taz | Das Bild irritiert. An dem filigranen Tisch mit seinen | |
braunen Bastdeckchen und den pinkfarbenen Plastikstühlen sitzt eine kleine | |
Gruppe muskulöser Männer, die Haare kurz geschoren, die massigen Oberarme | |
vor der Brust gekreuzt. Sie reden leise miteinander, schauen sich kaum an. | |
Ein Mann sitzt dabei, der mit seiner Bürstenfrisur anders aussieht, eher | |
wie der Nachbar von nebenan. Am nächsten Mittag sind sie wieder da. | |
In dem unscheinbaren Café im unscheinbaren Bremen-Woltmershausen halten, | |
Tag für Tag, über Monate hinweg, die Anführer der Bremer Hells Angels Hof. | |
Mal erscheint eine viel zu auffällig gekleidete junge Frau mit teurem | |
Geländewagen, mal Männer, die dem Klischee von Türsteher und Kampfsportler | |
entsprechen. Am 10. Februar 2014 sitzt ein CDU-Lokalpolitiker am Tisch mit | |
den Rockern, es ist der Bürgerliche mit der Bürstenfrisur. Früher war er | |
mal eine große Nummer in der Partei. Das Treffen war ein zufälliges, sagt | |
er der taz. | |
Offiziell sind die Hells Angels in Bremen nicht mehr präsent. Das alte | |
Clubhaus ist abgerissen, das Tragen von Kutten untersagt. Das Charter MC | |
Bremen wurde 2013 verboten, das mächtige Charter MC West Side hatte sich | |
2012 selbst aufgelöst. Vorangegangen waren blutige Auseinandersetzungen mit | |
den verfeindeten Mongols, es gab zahlreiche Verletzte. Als die Polizei 2013 | |
die Räume von zwölf Rockern in Bremen und Delmenhorst durchsucht, werden | |
Schlag- und Stichwaffen, Gaspistolen, Anabolika, Datenträger und Bargeld | |
beschlagnahmt. Allein zwischen 2005 und 2010 wurde laut einer | |
Senatsmitteilung gegen 23 Bremer Hells Angels strafrechtlich ermittelt, | |
mindestens zehn wurden verurteilt, unter anderem wegen Körperverletzung, | |
Menschenhandels, Drogen- und Waffendelikten. | |
Inzwischen scheint das alte Charter West Side wieder aktiv zu sein – im | |
niedersächsischen Umland. Zudem gibt es ein Charter namens „North County“, | |
das im Nordwesten seine Arbeit aufgenommen hat. Lakonisch wertete der | |
Sprecher der Hells Angels, Rudolf „Django“ Triller, diesen Schachzug als | |
einen „Beleg für Flexibilität“. Antworten auf die Fragen der taz gab er | |
nicht. | |
Im September 2014 grüßt auch Michael Wellering bei Facebook wieder aus | |
Bremen, als „West Side“-Member. Früher war er Präsident dieses Charters. | |
Der Cuxhavener, der Hummer fährt und im Baugewerbe in Delmenhorst tätig | |
ist, verfügt über internationale Kontakte und gilt als Vertreter der alten | |
Rockerschule, mit Ehrenkodex und Disziplin. Selten wird er mit Zuhälterei | |
und Drogen in Verbindung gebracht, er zählt eher zu dem Typus Rocker, der | |
alte Damen bei Kaffeefahrten abzockt. | |
## Der Rotlicht-Gangster | |
Gegenüber „Gentleman-Rockern“ wie Wellering, Triller oder dem inhaftierten | |
Frank Hanebuth aus Hannover, die noch aus motorradfahrenden Gruppen wie den | |
„Bones“ oder „Free Eagles“ stammen, gibt der Bremer Marcel Seidler ganz | |
offen den Rotlicht-Gangster. Seidler, Anfang 40, ehemaliger Seargant of | |
Arms – die Polizei nennt das „Waffenwart“ – wurde zum Anführer in Brem… | |
als es Wellering und Co. zu heiß wurde. Dafür muss Seidlers Gang nun im | |
Verborgenen agieren. 2010, bei der Beerdigung eines türkischen „Bruders“ in | |
Bremen-Nord, trug er noch die schwere Lederkutte mit dem Patch, das einem | |
offenen Bekenntnis zur organisierten Kriminalität und zum Milieu gleicht: | |
„Red Light Crew Bremen“. Dazu der kleine rote-weiße Sticker „Dirty white | |
Boy“, ein als rassistisch zu bewertendes Statement der Rocker: | |
dunkelhäutige Menschen werden in deren Bruderschaft nicht geduldet. 2006 | |
galt Seidler als Rädelsführer bei einem äußerst brutalen Überfall von 14 | |
Hells Angels auf Bandidos in deren Clubhaus in Stuhr bei Bremen. Seidler | |
erhielt dafür eine zehnmonatige Gefängnisstrafe – auf Bewährung. | |
Auch Andree Pröhl, Bauunternehmer aus Delmenhorst, musste sich deswegen vor | |
Gericht verantworten. Zudem soll er später einem Bordellbetreiber in Bremen | |
sein Haus abgeluchst haben. Doch auch Pröhl, 2009 in Bremen wegen | |
Zuhälterei, schweren Menschenhandels und Ausbeutung von Prostituierten | |
verurteilt, kam bisher immer glimpflich davon. Nun empfängt der groß | |
gewachsene Glatzkopf gemeinsam mit Seidler zur Mittagszeit in dem kleinen | |
Café jene, die bei ihm vorsprechen möchten. Die beiden sind mit der | |
örtlichen Türsteher-Szene gut vertraut, sie kennen Tätowierer und | |
Sportstudiobetreiber, aber auch Geschäftsleute und Promis aus dem Umfeld | |
von Werder Bremen. Auch allerlei rechte Hooligans der „Standarte Bremen“ | |
und Neonazis zählen zu ihrem Bekanntenkreis. | |
10. Februar 2014, ein eisiger Wind weht über Bremen. Pröhls blütenweißer | |
Daimler mit der obligaten „81“ (für „HA“) auf dem Nummernschild parkt … | |
dem kleinen Café in Woltmershausen. Seidler ist zu Fuß gekommen. Als sie | |
gehen, tragen beide Akten in dünnen Klemmordnern bei sich. Auch der Mann | |
von der CDU ist wieder da. „Bestimmt“ habe er auch was über seine Tätigke… | |
im Immobilienbereich erzählt, sagt er der taz. „Wirtschaftliche | |
Beziehungen“ zu diesem Personenkreis pflege er aber nicht, sagt er, und das | |
schließe er „auch für die Zukunft“ aus. Er habe und suche keine Kontakte | |
zum Umfeld der Hells Angels. Und Herrn Seidler kenne er noch aus Zeiten, | |
als der noch kein Hells Angel war, aus einer Disco. Und das ist auch schon | |
über 20 Jahre her. | |
## In der VIP-Lounge von Werder | |
Trotz ihres Doppellebens verfügen Seidler und Pröhl mancherorts in Bremen | |
über eine gute Reputation. Wenige Minuten vor dem Start des Nordderbys | |
zwischen Werder Bremen und dem HSV im März 2014 fuhr Pröhl bis zum | |
exquisiten Spielerparkplatz im Weser-Stadion vor. Pröhl, in teurer | |
Business-Kleidung, und der kleinere, breitschultrige Seidler im blauen | |
Kapuzenpulli, eilten zur VIP-Lounge – und wurden sofort durchgelassen. | |
Seidler, der in einem Bremer Reihenhaus lebt, mag nicht nur Fußball, | |
sondern auch Formel-1-Rennen. Er reiste deswegen eigens ins belgische Spa. | |
Im Herbst war er dann unterwegs zu den „Angels Places“ in London und | |
Malaga. Zwischendurch postet er den Brüdern ein fröhliches „Fuck the | |
Police“ zu. Pröhl residiert derweil mit seiner Baufirma Marmik im | |
Delmenhorster Gewerbegebiet, abgelegen, mit einem hohen Drahtzaun umgeben. | |
Die neue weiße, doppelstöckige Villa hat Solarpaneele auf dem Dach. Die | |
Nachbarn kennen seinen Namen nicht, auch nicht den der Firma. Unbefugten | |
ist das Betreten untersagt. | |
Nach den Verboten der Hells Angels und der Mongols ist die Luft für die | |
Outlaws in Bremen etwas dünner geworden. „Eine offene Szene ist nicht mehr | |
vorhanden“, verkündet die Polizei stolz. Dennoch müssen die Rotlichtgrößen | |
Präsenz zeigen – ein Vakuum würde schnell von anderen Rockern ausgefüllt. | |
Gegenseitige Abschreckung ist in der Szene wichtig, so Experten. Sie | |
verdienen ihr Geld aber nicht mehr nur mit Prostitution und Drogen, sondern | |
zunehmend auch mit dem Verkauf von Anabolika. Dort seien ähnlich hohe | |
Gewinne zu erzielen wie im Drogenhandel, aber das Risiko viel geringer, | |
sagen Ermittler. Die Rocker betreiben heute Tattooläden, Gaststätten, sind | |
im Baugewerbe tätig. | |
Früher liefen die Frauen der Rot-Weißen im Bremer Holzhafen, ab und an | |
wurden sie von einem ehemaligen NPD-Politiker aus Verden mit einer | |
Stretchlimousine abgeholt, der als Chauffeur der Rotlichtgröße Stefan | |
Ahrlich arbeitete. Heute betreiben auch rockernahe Hooligans | |
Modellwohnungen in Wohngegenden mit Veranda und gepflegtem Vorgarten. Und | |
Bordelle gibt es in Bremen immer weniger. Delmenhorst allerdings, gleich | |
nebenan, hat im Vergleich zu seiner Größe eine große Rotlicht-Szene. | |
Seidlers Frau Michaela, Mitte 20, eine gertenschlanke, langhaarig-blonde | |
Tschechin, arbeitete früher als Prostituierte. | |
## „Wir finden dich“ | |
Ansonsten wollen sich die Rocker so wenig wie möglich mit Huren zeigen. Die | |
Arbeit überlassen sie ihren Supportern, jungen Männern, die nach Geld und | |
Einfluss im Milieu streben, denen es imponiert, wie die Angels Furcht | |
einflößen. Die Rocker arbeiten gern mit Drohungen, wenn es um Prostituierte | |
geht: „Wir sind überall, wir finden dich, wenn du redest!“ Dort wo die | |
Rocker aktiv sind, sagt ein Experte, haben die Frauen besonders viel Angst. | |
Zuletzt soll es bei den Bremer Hells Angels einige Richtungsstreitigkeiten | |
gegeben haben. Ein Szenekenner behauptet, im Club herrsche ein | |
„menschenverachtendes Weltbild“ vor. Dazu passt, dass immer mehr Rechte, | |
vor allem bei den Supporter-Clubs, an Einfluss gewinnen. Dabei hatten | |
Hanebuth und Triller stets betont, keine Neonazis im Club zu dulden. Medien | |
und Polizei beanstandeten die Aussagen nicht, obwohl immer mehr Hooligans | |
auch unter Hanebuths Obhut in die Charter drängten. | |
Einer von ihnen war Markus Warnecke. 1998 prügelte er bei der | |
Fußballweltmeisterschaft in Frankreich den Gendarm Daniel Nivel fast tot. | |
Auch Sascha M., Intimus von Hanebuth-Gefolgsmann Wellering, zählt zu den | |
Bremer Hooligans mit guten Kontakten in die rechte Szene. Die Hells Angels | |
haben heute ein Überalterungsproblem, sie brauchen junge Leute. | |
Bruderschaften der Neonazis sind da ein guter Nährboden. | |
2 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Otto Belina | |
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