# taz.de -- Flüchtlinge in Bautzen: Das Hotel zur großen Angst | |
> 150 Asylbewerber leben in einem Viersternehotel am Bautzener Stausee. Die | |
> Nachbarn protestieren, den Rechten nützt der Streit. | |
Bild: Der Standard im Spreehotel Bautzen stimmt: Höchstens drei Leute pro Zimm… | |
BAUTZEN taz | Nieselregen sprüht auf gefegte, leere Dorfstraßen, als | |
Peter-Kilian Rausch vom Schreibtisch aus auf den Metallzaun vor seinem | |
Fenster blickt, der ihn täglich daran erinnert, wie sich unten im Ort der | |
Hass angestaut hat. Er hatte geahnt, dass er die Leute gegen sich | |
aufbringen wird, wenn er sein Hotel in ein Flüchtlingsheim umwandelt. „Ich | |
hab’ mit vielem gerechnet“, sagt er, „aber nicht mit diesen Extremen.“ | |
Drei Kreuzungen, zweimal rechts, einmal links. Margit Wenzel sitzt mit zwei | |
Nachbarn in ihrem Wohnzimmer. Ihre richtigen Namen sollen nicht in der | |
Zeitung stehen. Am Tisch skizzieren sie den Kampf, in den sie gezogen sind, | |
sie und viele andere Anwohner von Bautzen-Burk. Seit im Spreehotel keine | |
Urlauber mehr wohnen, sondern Asylbewerber, ist die Siedlung in Aufruhr. | |
„Es macht ein schlechtes Bild für unseren Stausee“, sagt Margit Wenzel, | |
„das ist, warum wir sagen: Das kann nicht sein.“ | |
In einem Café im Stadtzentrum überlegt ein Mann mit fleischigem Gesicht, | |
welche Folgen der Streit bringen wird. Frank Lüdke, | |
NPD-Kreisfraktionsvorsitzender, greift die Einwände auf und dreht sie | |
weiter. „Dass Asylanten in einem Viersternehotel untergebracht werden, | |
sendet die falschen Botschaften“, sagt er, „dass ein mittelständischer | |
Hotelbetreiber am besten Platze des Naherholungszentrums nicht lebensfähig | |
zu sein scheint und dass die Verwaltung sehr unsensibel handelt.“ | |
Was sich derzeit in Bautzen entspinnt, ist ein Lehrstück. Es zeigt, wie | |
schnell Wut und Angst wachsen können, wie vehement sich Menschen gegen | |
Veränderungen wehren und wie leicht sich dieser Widerstand mit | |
ausländerfeindlichen Impulsen auflädt, wenn es um Flüchtlinge geht. Der | |
Betreiber, die Anwohner und der NPD-Politiker sind Teil eines Konflikts, | |
dessen Dynamik sich aus einer bundesweiten Entwicklung speist: 2013 | |
erreichte die Zahl der neuen Asylanträge mit 127.000 den höchsten Stand | |
seit den neunziger Jahren. In diesem Jahr könnten es 200.000 werden. Doch | |
in vielen Kommunen fehlen Unterkünfte. | |
## 15 Jahre vergebliches Warten auf Gäste | |
Das Spreehotel ragt zwischen Wiesen und Äckern auf, ein weißer, kantiger | |
Bau, drei Etagen. „Reception“ steht noch im Foyer. Dahinter führt ein Gang | |
in Peter-Kilian Rauschs Büro. Der Betreiber, ein hagerer Mann mit | |
Hornbrille, wirkt matt und nervös; alle Linien in seinem Gesicht zeigen | |
nach unten. „Man hätte meinen können, dass das hier für alle eine gute | |
Lösung ist“, murmelt er in seine Zigarette. | |
Rausch stammt aus dem Schwarzwald. Vor 15 Jahren hat er das Hotel | |
übernommen, weil er glaubte, dass es dort mit dem Tourismus aufwärts gehen | |
könnte. Es hat nicht geklappt. „Hier können Sie keine 150, 160 Hotelbetten | |
füllen.“ Seine Gegner werfen ihm vor, er habe erst sein Hotel | |
heruntergewirtschaftet und bereichere sich nun an Steuergeldern. Rausch | |
wirft die Hände in die Luft. „Klar!“, ruft er. „Ich verdiene jetzt hier | |
Geld. Dafür bringe ich auch ’ne Leistung.“ Anfang des Jahres bewarb er sich | |
auf die Ausschreibung des Kreises – als einziger. Aber da hatte sich der | |
Protest längst formiert. | |
Nicht nur die Nachbarn demonstrierten vor dem Hotel. Dreimal sei auch die | |
NPD aufmarschiert, sagt er. Die Asylbewerber kamen trotzdem. Seit drei | |
Monaten leben 150 Menschen im Spreehotel, Albaner, Libyer, Syrer, Somalier. | |
„Ich hab’ aus jedem Dorf ’nen Köter“, sagt Rausch. Er ist stolz, dass … | |
ihnen anständige Standards bieten kann: Höchstens drei Leute pro Zimmer, | |
Dusche und Klo. 300.000 Euro hat er in den Umbau gesteckt, Brandmelder, | |
bruchsichere Scheiben, den Zaun, „weil ich gemerkt hab’, was für ein Wind | |
hier weht.“ | |
## Ein „dahergelaufener Schwarzwäldler“ | |
Rausch hat versucht, mit den Leuten zu reden, sagt er, da fuhr ihn ein | |
Unternehmer an: „Von einem dahergelaufenen Schwarzwäldler lass’ ich mir | |
mein Burk nicht kaputtmachen.“ Es ist passiert, dass Leute vor ihm | |
ausspucken. Die NPD nennt ihn öffentlich einen „Asylbetrugs-Profiteur“. In | |
drei Läden hat er Hausverbot. „Ich find’s erschreckend“, sagt er. „Abe… | |
ich noch erschreckender finde, ist, dass die Flüchtlinge Angst haben, durch | |
das Tor nach draußen zu laufen. Das ist der Skandal.“ | |
An diesem Morgen hängt der Himmel wie eine graue Decke über Burk. Man | |
erschrickt, wenn dieses Banner plötzlich da ist, wo doch alles so sauber | |
und ruhig ist; Giebeldächer zwischen ockergelben Baumwipfeln, | |
Trockenblumenkränze an den Türen. Inmitten dieses Stilllebens prangen | |
Buchstaben auf einem Stromkasten: „Im Rausch da ist die Welt schön bunt, es | |
fließt viel Geld in Peters Schlund.“ | |
439 Asylbewerber sind dieses Jahr in den Kreis Bautzen gezogen; 375 werden | |
noch kommen. Der Kreis braucht Gebäude. Die Anwohner in Margit Wenzels | |
Wohnzimmer brauchen das Gefühl, den Entscheidungen der Behörden nicht | |
ausgeliefert zu sein, die Flüchtlinge in ihrer Nachbarschaft einquartieren | |
und damit die Ruhe stören. Margit Wenzel, eine schmale Frau mit | |
Kurzhaarfrisur, von Beruf Büroangestellte, hat Kaffee auf den Tisch | |
gestellt und Kekse, die niemand anrührt. „Wir sind nicht gegen | |
Flüchtlinge“, sagt sie, Schärfe im Ton, „die sollen untergebracht werden. | |
Aber nicht in unserem Naherholungsgebiet.“ | |
## Fast 300 Unterschriften gegen die Flüchtlinge | |
Am Stausee ist eine zaghafte Entwicklung in Gang gekommen: Ein Strandcafé | |
hat eröffnet, eine Minigolfanlage, ein Campingplatz. „Deswegen verstehen | |
wir nicht, wieso man uns das alles wieder kaputtmacht“, sagt Werner | |
Schilling gegenüber von Wenzel. Seit die Asylbewerber da sind, seien kaum | |
noch Ausflügler unterwegs; der Rentner selbst fühlt sich auch nicht mehr | |
wohl. „Ich bin mit meinen Enkeln immer gerne zum Spielplatz gegangen. Jetzt | |
geh’ ich nicht mehr hin. Ich sag’ Ihnen warum: Die Asylbewerberkinder sind | |
so dreist, dass die anderen keine Chance haben.“ Sie haben eine | |
Bürgerinitiative gegründet und Unterschriften gesammelt. 300 Menschen leben | |
in Burk. Fast alle haben unterschrieben. | |
Dass sie neben dem Heim nicht leben wollen, wussten die Nachbarn schon | |
vorher. Jetzt sehen sie sich bestätigt: Nachts, sagt Margit Wenzel, | |
lungerten betrunkene Männer auf der Straße rum, auch Straftaten kamen vor. | |
Drei Tunesier sollen einem Mann eine Flasche über den Kopf gezogen haben, | |
hinzu kommt ein knappes Dutzend Ladendiebstähle. Zwar liegt die | |
Kriminalitätsrate der Flüchtlinge unter dem regionalen Durchschnitt, aber | |
Statistiken beschwichtigen sie nicht. Schilling sagt: „Man hat einfach | |
Angst.“ | |
Dass ihre Kritiker keinen Unterschied sehen zwischen ihnen und der NPD, | |
verstärkt ihren Zorn noch. „Wir sind Bürger, keine Rechten“, sagt Margit | |
Wenzel. Sie will nicht mit der NPD in Verbindung gebracht werden. Aber das | |
ändert nichts daran, dass die Ablehnung sich mit der Hetze der Nazis zu | |
einer Front zusammenfügt. Nicht nur in Bautzen, in vielen Regionen gibt es | |
Proteste. Die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsheime hat sich 2013 | |
verdoppelt. In Bautzen kommt hinzu, dass rechte Strömungen ohnehin viel | |
Einfluss haben: Bei der Landtagswahl im August stimmten im Kreis 11 Prozent | |
für die NPD, 14 für die AfD. | |
## „Ich sehe die Ablehnung in den Augen der Leute“ | |
## | |
Wer wissen will, wie sich das für Flüchtlinge anfühlt, kann Jamal al | |
Rahmaoui fragen. Der Tunesier, ein stiller Mann, lässt sich an einem Tisch | |
im Aufenthaltsraum nieder, dem früheren Restaurant. „Wenn ich durch die | |
Straßen gehe, merke ich, dass wir hier nicht willkommen sind“, sagt er. | |
„Ich sehe die Ablehnung in den Augen der Leute.“ Manche rufen ihm Worte | |
hinterher, die er nicht versteht. Al Rahmaoui, ein Konditor, ist in seiner | |
Heimat mehrmals von Salafisten angegriffen worden. Nun lebt er in Burk. | |
„Die Leute akzeptieren uns nicht“, sagt er. „Aber wir dürfen uns nicht | |
benehmen wie sie. Man muss immer höflich sein.“ | |
Frank Lüdke, der NPD-Kreisvorsitzende, ist derzeit öfter auf | |
Einwohnerversammlungen. Auch in den Nachbarorten, in Ottendorf oder in | |
Neukirch, sollen Heime entstehen, überall wehren sich die Anwohner. Lüdke | |
weiß, dass er auf diesen Terminen nicht willkommen ist. Es hält ihn nicht | |
ab. „Das Thema Asylbetrug wird noch eine ganze Zeit akut bleiben“, sagt er, | |
doch das kommt seiner Partei gelegen: Die NPD versucht, ein bestimmender | |
Akteur in der Debatte zu werden. | |
In ruhigem Ton erzählt Lüdke: Ein Flüchtling habe vor Kaufland seine | |
Notdurft verrichtet. Solche Geschichten kursieren. „Wenn Gerüchte die Runde | |
machen, ist es egal, ob die stimmen oder nicht. Die Ablehnung ist da, und | |
das schaukelt sich in unserer Region manchmal hoch“, sagt er sanft. Aber | |
was er sagt, klingt wie eine Drohung. | |
## „Ja, wo leben wir denn?“ | |
Der Kreis hat die Zimmer im Spreehotel vorerst für ein Jahr gemietet. Die | |
Bürgerinitiative will weiter kämpfen. Auch Peter-Kilian Rausch ist nicht | |
bereit, aufzugeben. Er zündet sich noch eine Zigarette an, dreht rastlos | |
auf seinem Stuhl hin und her. Nach wie vor hat er Freude an seiner Arbeit, | |
sagt er. „Ich mach’s mit großem Spaß.“ Rausch glaubt auch, dass es wich… | |
ist, Position zu beziehen. Er fährt hoch und schreit: „Dieser Automatismus, | |
mit dem Asylbewerbern nur Schlechtes unterstellt wird! Ja, wo leben wir | |
denn?“ | |
Nahe dem Pfad, der zum Stausee führt, steht ein Mann mit grauem Haar auf | |
seinem Hof. Er plaudert mit einem Alten, der mit dem Fahrrad an der Mauer | |
vor seinem Haus lehnt. Der Anwohner sagt, er hat gegen das Heim | |
unterschrieben, „auch wenn’s mich nicht stört“. Wieso dann? Da bricht es | |
aus ihm heraus: „Weil ich ein Feigling bin! Sonst kann’s dir passieren, | |
dass dich hier keiner mehr grüßt.“ Er teilt die Ängste seiner Nachbarn | |
nicht, im Gegenteil. „Was die für’n Quatsch reden! Diese Leute sind viel | |
gefährlicher als die Flüchtlinge.“ Der Alte mit dem Fahrrad nickt, sagt | |
leise: „Da haste recht.“ | |
9 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Gabriela Keller | |
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