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# taz.de -- Der Mann, der Schabowski irritierte: „Ich ahnte, dass etwas passi…
> „Ab wann gilt das? Ab sofort?“ Peter Brinkmanns Nachfragen bringen am 9.
> November 1989 Günter Schabowski aus dem Konzept. Die Folge: die Mauer
> fällt.
Bild: Günter Schabowski bei der Pressekonferenz am 9. November 1989. "Nach mei…
taz: Herr Brinkmann, der 9. November 1989 war ein Tag, an dem kaum jemand
ahnte, wie er die Welt verändern würde. Wie war das für Sie?
Peter Brinkmann: Ich wusste nicht genau, was passiert. Aber ich ahnte, dass
etwas passiert.
Warum?
Weil ich einen Anruf bekommen hatte von Jörg Rommerskirchen, der war
Staatssekretär beim Wirtschaftssenator. Der Regierende Bürgermeister Walter
Momper (SPD) hatte ihn Ende Oktober zum Leiter der Arbeitsgruppe Reisen
gemacht, die Westberlin auf Probleme einer möglichen Maueröffnung
vorbereiten sollte. Zum Beispiel, wie viele Kondome man vorrätig haben
muss. Das ist kein Witz.
Warum hat er ausgerechnet Sie, einen Bild-Zeitungs-Redakteur in Hamburg,
angerufen?
Wir kannten uns aus Hamburger Zeiten, als er Direktor des Amtes für Hafen
war und ich Schifffahrtsreporter bei der Bild. In Hamburg hatte so was eine
Riesenbedeutung. Wir hatten täglich miteinander zu tun. Daraus entstand
eine Freundschaft, die bis heute angehalten hat.
Rommerskirchen hat angerufen und gesagt: „Alter Freund, pass auf, die Mauer
fällt?“
Nein, aber er sagte am 8. November: „Es konkretisiert sich was, ich weiß
nicht, was, aber komm her, es ist besser, du bist hier.“ Dann bin ich am 9.
November morgens los. An der Kontrollstelle zur Transitstrecke hab ich den
beiden Grenzerinnen gesagt, heute Abend ist der ganze Spuk zu Ende.
Der Bild-Redakteur macht einen auf Macker?
… Macker, ja. Ich wusste nichts, aber ich hatte halt so ein Gefühl.
Außerdem war ja allen klar, dass das neue Reisegesetz auf der Tagesordnung
für die Sitzung des Zentralkomitees der SED stand. Es sollte aber nur die
ständige Ausreise erlauben.
Momper hat später erzählt, bereits am Nachmittag des 9. November habe ihm
ein Staatsekretär von dem Anruf eines Westjournalisten in Ostberlin
berichtet. Der habe gesagt, im Osten bewege sich was, noch am selben Tag
werde die Mauer geöffnet. Daraufhin habe man sich im Westen vorbereitet.
Der Staatsekretär war Ihr Freund Rommerskirchen, später nannte er Ihren
Namen als Quelle.
Ja, ich hab den angerufen. Neben dem Pressezentrum in Ostberlin war ein
Restaurant, da liefen die ganzen SED-Chargen rum und die Stasileute. Die
kannte man schon über Jahre. Die sagten dann, ja, die beraten das
Reisegesetz, nichts Konkretes, aber möglicherweise … Und als westdeutscher
Journalist fragte man dann, könnte es sein, dass … Und die antworteten: Ja,
könnte, muss aber nicht.
Also nur Stochern im Nebel?
Ich meldete mich eigentlich nur bei Rommerskirchen, um zu sagen, ich bin
hier. Ich bin vor Ort, und es wird das und das getratscht …
Und Rommerskirchen hat das dem Westberliner Senat als die News verkauft,
dass drüben Entscheidendes passiert? Er hat später im Wortlaut gesagt: „Ich
habe mich für Brinkmann verbürgt, ich war sicher, dass er eine Wanze im
Politbüro hat“.
Na gut, das hat er gesagt.
Also hatte die Bild keine Wanze im Politbüro?
(schweigt lächelnd).
Das war nichts weiter als eine aufgeblähte Bild-Geschichte?
Nein. Denn wir haben ja gar keine Geschichte gedruckt.
Die berühmte Pressekonferenz mit DDR-Regierungssprecher Günter Schabowski
begann um 18 Uhr. Da waren 150 Journalisten. Wenn man Ihnen glauben kann,
wussten alle, es geht um das neue Reisegesetz.
Ja. Ich hatte mir schon Stunden zuvor einen Stuhl gesichert. Ein guter
Platz ist immer in der ersten Reihe, möglichst dicht am Mikrofon. Bild
musste immer vorne sitzen, das war so.
Erst um 18.53 Uhr fragte der italienische Journalist Riccardo Ehrman nach
Reiseerleichterungen. Warum hatte das vorher keiner thematisiert?
Erst mal hat Schabowski bis 18.40 Uhr nur referiert, ein Monolog. Dann
kamen zwei Fragen von DDR-Kollegen, der Dritte war ich.
Aber Sie haben nicht nach dem Reisegesetz gefragt?
Nein. Ich dachte, ich stell erst mal eine Frage zu etwas, was Schabowski
thematisiert hat. Also fragte ich: „Haben Sie gerade die Pressezensur in
der DDR abgeschafft?“ Er murmelte dann etwas wie, die gab es doch bei uns
sowieso nicht. Da gab es etwas Gelächter; dann nahm er andere dran. Ich hab
mich noch mal gemeldet, so wie auch neben mir der Österreicher, Hand hoch,
hinter mir der Engländer, Hand hoch. Alle merkten, jetzt musst du nach dem
Reisegesetz fragen. Schabowski nahm den Italiener dran, der ganz vorn vor
dem Podium saß. Reiner Zufall. Darauf erzählte Schabowski sehr umständlich,
jawohl, blablabla, wir haben eine Vorlage, die Sie alle haben müssten …,
hatte aber keiner. Dann kam die Formulierung, wonach es jedem DDR-Bürger
erlaubt sein sollte auszureisen. Und jetzt kommt der Moment, wo du
innerlich journalistisch explodierst. Jedenfalls ging es mir so. Ich
dachte, du kommst nicht mehr dran, weil du dein Pulver verschossen hast, du
musst dazwischenrufen. Da zahlt es sich aus, wenn man in der ersten Reihe
sitzt. Ich rufe: „Ab sofort?“ Deutlich und klar. Vorher gab es ein
Gemurmel: „Ab wann?“ Da waren mehrere dabei.
Sie waren also auch nicht der Einzige, der nach dem Zeitpunkt gefragt hat?
Ich war der Einzige, der es laut gerufen hat. „Ab sofort?“ Und darauf
reagierte Schabowski …
… und stotterte seinen berühmten Satz: „Äh, das tritt nach meiner Kenntnis
… ist das sofort, unverzüglich.“
Und dann stelle ich noch eine Zwischenfrage: „Sie hatten nur BRD gesagt,
gilt das auch für Westberlin?“ Und dann sagt er: „Ja, meines Wissens auch
für Westberlin.“ Das war die zweite, entscheidende Frage. Das war mein
Verdienst.
Wissen Sie das heute alles noch aus eigener Erinnerung?
Nein, ich habe mir die TV-Aufzeichnung bestimmt hundertmal angeguckt. Und
meine Erinnerung stützt sich auf das gedruckte Protokoll, das heute in
allen Büchern zu finden ist.
Sie kamen bei der Pressekonferenz vor Ehrman an die Reihe. Aber Sie fragten
nicht nach dem Reisegesetz, obwohl doch angeblich alle wussten, das ist der
wichtige Punkt. Ehrlich gesagt: Sie haben es verbaselt!
… Na ja … Ja … Aber nach dem Vorwissen war ja nur eine Regelung für die
ständige Ausreise geplant, insofern schien das alles nicht ganz so wichtig.
Nicht so wichtig? Hat von all den Journalisten, Sie inklusive, jemand die
Bedeutung dessen verstanden, was Schabowski auf Ihre Fragen gesagt hat?
Ne.
Sie waren einer der ersten Journalisten, die die News hatten, die Mauer
geht auf.
Ne, die hatten wir ja eben nicht!
Aber Schabowski hat auf Ihre Frage hin gesagt, ab sofort dürfen die Leute
ausreisen. Eine Sensation! Haben Sie sofort Ihren Chefredakteur angerufen?
Nein. Ich hatte ein großes C-Netz-Funktelefon im Auto, hatte aber keinen
Kontakt, weil im Osten kein einziger Funkmast stand.
Aber Sie waren im Internationalen Pressezentrum, da muss es doch Telefon
gegeben haben?
Ja, da konnte man in der Postzentrale Gespräche anmelden. Aber auch da gab
es keinen Anschluss nach Hamburg.
Sie hatten also die Nachricht Ihres Lebens …
… und ich konnte nichts machen. Ich hätte rüberfahren können in den Westen.
Aber da wären mindestens 15 Minuten vergangen. Bis dahin war die Meldung
längst über Ticker in der Welt. Vor allem aber hatte ich befürchtet, ich
komme dann nicht mehr zurück in den Osten, weil die Grenzer mich nicht
zweimal reinlassen. Das war doch schikanös. Deshalb bin ich erst mal wieder
in mein Hotel zurück, hab dem Concièrge 50 West-Mark gegeben, also 500 Mark
Ost, und gesagt: „Besorg mir ein Taxi!“ Das war in Ostberlin genauso
schwierig, wie in den Westen zu telefonieren. Dem Fahrer habe ich gesagt:
„Wir fahren die ganze Nacht, weil irgendwas passiert ja vielleicht.“
Wo sind Sie hingefahren?
Zu den vier Grenzübergangsstellen. Und zum Brandenburger Tor.
Und was passierte da?
Nix. Erst so gegen halb zehn standen auf einmal Autoschlangen an der
Bornholmer Straße. Ich bin zu Fuß in den Grenzübergangspunkt reingegangen,
da waren ein paar hundert Leute. Die Grenze war noch zu. Ich stand ganz
vorne an dem Metallzaun hinter dem verrosteten Schlagbaum. Ich dachte, wenn
die Menschen hier alle reindrängen, dann passiert hier ein Blutbad, die
werden alle an diesem Stahlzaun zerquetscht. Ich auch.
Sie hatten Angst, aber nicht vor schießenden Grenzern, sondern vor
drängenden Massen?
Ja, und deshalb bin ich zurück. Ich war wohl der Einzige, der zurück in den
Osten gegangen ist.
Also haben Sie die Öffnung der Mauer an der Bornholmer Straße verpasst?
Ja. Ich war so gegen halb zwölf am Brandenburger Tor. Da sind die Ersten
über den Stahlzaun gesprungen, ich auch. Die Grenzer haben gerufen: „Halt!
Stehen bleiben, wir schießen!“ Aber wir sind gelaufen. Und dann hab ich
richtig geheult, als ich zwischen den Säulen stand. Ich hab die umarmt und
geheult wie ein Schlosshund.
Da war die Mauer am Tor noch gar nicht offen.
Nein, aber vom Westen sprangen Leute über die Mauer. Die DDR-Grenzer haben
dann eine Postenkette gebildet und gingen voran. Da konntest du denen
entweder in die Eier treten oder Reißaus nehmen. Ich bin dann weg, das war
mir nicht ganz geheuer.
Zurück ins Hotel?
Ne, ne, ne. Ich weiß nicht mehr, was ich gemacht habe. Am 11. November bin
ich zusammengefallen, irgendwo in einem Geschäft.
Sie haben durchgemacht?
Ja. 48 Stunden.
Aber Sie haben nichts für Ihre Zeitung geschrieben?
Doch, aber die haben in der Redaktion einen Text zusammenstöpselt aus
Agenturmeldungen und allem anderen. Da ist kein Namensartikel erschienen,
auch nichts von der Pressekonferenz mit Schabowski.
Sie konnten nichts schreiben. Und die Ehre bekam später auch jemand anders:
Der Italiener Riccardo Ehrman wurde 2008 mit dem Bundesverdienstkreuz
ausgezeichnet. Hat Sie das gewurmt?
Ne. Mich hat gewundert, dass jemand für sich in Anspruch nahm, auch die
Frage „Ab sofort, ab wann?“ gestellt zu haben.
Hätten Sie das Verdienstkreuz bekommen müssen?
Nein. Ich sage genau das Gegenteil: Das ist unser Job, wir müssen immer on
alert sein. Und wenn du keine Chance hast zu fragen, musst du
dazwischenquatschen. Wir haben ja auch die Mauer nicht durch unsere Fragen
zum Einsturz gebracht. Das wäre doch sowieso passiert. Es hätte nur etwas
länger gedauert.
Aber der Schwung für die Nacht des 9. November kam dadurch zustande, dass
Sie „Ab sofort?“ gerufen haben, als alle durcheinanderredeten, aber keiner
genau wusste, worüber?
Ja, aber es war alles Zufall.
Sie gehen auf die 70 zu, haben viel erlebt: Sie wurden im Golfkrieg von
einer US-Bombe verletzt, Saddam Hussein hat Sie am Krankenbett besucht. War
die Frage nach dem „Ab sofort?“ dennoch der journalistische Moment Ihres
Lebens?
Dafür muss man meine Vorgeschichte kennen. Ich habe als Kind jedes Jahr in
der Ostzone Ferien gemacht bei einer Freundin meiner Mutter. Umgekehrt war
deren Familie am 13. August 1961, am Tag des Mauerbaus, bei uns im Westen.
Sie wollten bleiben. Aber dem Vater fehlte ein Zeugnis für einen Job bei
Siemens. Ich werde das nie vergessen: Wir sitzen zu Hause, meine Eltern,
seine Frau, die kleinen Jungs sagen: „Papa, bleib!“ Er sagt: „Das Zeugnis
brauch ich, wir fahren zurück, es wird alles nicht so schlimm.“ Die kamen
nie wieder raus. Ein Sohn hat sich später umgebracht. Diese Zeit hat mich
geprägt. Dieses System konnte nicht bestehen bleiben. Ich wollte einen
Hammer haben, um die Mauer einzureißen.
Ab wann?
Schon immer. Ich war auch gegen die KSZE, die Konferenz für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa, die für Wandel durch Annäherung stand. Ich
dachte, das bringt nichts, wir müssen die aushungern. Ich war ein ganz
kalter Krieger.
Wie passt das mit Ihrer Jugend zusammen? Als 20-Jähriger waren Sie Chef der
sozialistischen Jugend „Die Falken“ in Ihrer Heimatstadt Cloppenburg, haben
dort eine Wahlkampfveranstaltung für Willy Brandt organisiert, bei der
Günter Grass vor 4.000 Menschen unter Polizeischutz geredet hat. Ein
Mitorganisator hat später erzählt, sogar die lokale SPD sei dagegen
gewesen, „die hielten uns für asoziale Kommunisten!“
Ja, stimmt. Aber auch Willy Brandt hat nie daran gezweifelt, dass das
System der Unfreiheit in der DDR keinen Bestand hat. Das war auch immer
mein Ziel. Ich wollte nie ein Radikaler sein, der sagt, Sozialismus ist die
Perfektion des menschlichen Lebens.
Für tv.berlin bereiten Sie ein 25-stündiges Sonderprogramm für Sonntag, den
Jahrestag des Mauerfalls, vor. Weil Ihre Frage, „Ab wann gilt das, ab
sofort?“, die eine Frage Ihres Lebens war?
Ja, klar. Welche denn sonst?!
9 Nov 2014
## AUTOREN
Gereon Asmuth
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