| # taz.de -- ZDF-Dreiteiler „Tannbach“: Teilung jenseits Berlins | |
| > Der Film zeigt ein Dorf auf der Grenzlinie von Bayern und Thüringen. Die | |
| > eine Hälfte liegt in der BRD, die andere in der DDR. | |
| Bild: Szene aus dem Mauer-Streifen. | |
| Alexander Held saß an einem Sonntag im Oktober auf der Terrasse eines | |
| Hamburger Hotels und ein Mann trat an ihn heran: Er wolle nicht stören, | |
| aber. | |
| Sie belästigen mich nicht, kein Problem, antwortete Held. Schnell kam man | |
| auf Filme zu sprechen. Der Mann berichtete, dass er früher jeden „Tatort“ | |
| gesehen, sich nun aber schon seit einiger Zeit davon abgewandt habe. | |
| „Wissen Sie was“, antwortete Held, „ich kann Ihnen nicht garantieren, dass | |
| Ihnen der ’Tatort‘ heute Abend gefallen wird, aber ich kann Ihnen | |
| garantieren, dass er sich unterscheiden wird.“ Es war 20.05 Uhr. „Ich wohne | |
| drei Minuten entfernt“, sagte der Mann, „das schaffe ich.“ | |
| An jenem Abend lief die „Tatort“-Folge „Im Schmerz geboren“ mit Ulrich | |
| Tukur als Kommissar. Alexander Held spielt darin Don Bosco, einen lokalen | |
| Drogenboss, und – viel wichtiger – den Erzähler dieser Mischung aus | |
| Shakespearedrama und Western voller brillanter Momente. „Im Schmerz | |
| geboren“ war der deutsche Fernsehfilm des vergangenen Jahres. | |
| „Als ich das Drehbuch gelesen hatte, wusste ich: Das ist einzigartig, | |
| selten und ganz besonders“, sagt Held heute über den „Tatort“. | |
| ## Russen hier, Amis dort | |
| Auch das aktuelle Projekt, in dem Alexander Held mitspielt, ist einzigartig | |
| und besonders in seiner äußeren Form. „Tannbach“ ist ein dreiteiliger | |
| Fernsehfilm über ein Dorf, zerrissen durch die die deutsch-deutsche Grenze | |
| zwischen Thüringen und Bayern. 90 Minuten am Sonntag im ZDF, 90 Minuten am | |
| Montag, 90 Minuten am Mittwoch. Geschrieben sind gar sechs Teile. Das reale | |
| Vorbild ist Mödlareuth. | |
| Tannbach heißt das Bächlein, welcher das Dorf teilt und einst | |
| Demarkationslinie zwischen Ost und West war. Hier die Russen, dort die | |
| Amis. Hier die Ossis, dort die Wessis. Mödlareuth hatte wie Berlin eine | |
| Mauer im Ort, die das Hier vom Dort trennte. Ein absurdes Stück deutscher | |
| Geschichte. | |
| Im Film heißt der Ort nun also Tannbach. „Das Schicksal eines Dorfes, das | |
| Schicksal einer Nation“, lautet der Untertitel. Drunter macht es das ZDF | |
| nicht. Schon gar nicht bei solch einem Mammutprojekt. | |
| Die drei Teile – „Der Morgen nach dem Krieg“, „Die Enteignung“ und �… | |
| Land, dein Land“ – beginnen 1945 und enden Anfang der 50er Jahre. „Die Ze… | |
| der Neuorientierung“ nennt Alexander Held diese Jahre, die noch nie so im | |
| deutschen Fernsehen behandelt worden seien. | |
| ## Erst Nazi, dann Kollaborateur | |
| Er spielt den Großbauern Franz Schober. Erst strammer Nazi, dann | |
| Kollaborateur bei den Amis, Verächter des Bolschewismus, mit unehelichem | |
| Sohn im Dorf und ehelichem Sohn im Haus, den er aber fast genauso verachtet | |
| wie den Bolschewismus. „Eine Figur, die in ihrer Unverschämtheit in jeder | |
| Hinsicht faszinierend ist“, sagt Held. | |
| Angefasst haben das Thema Josephine und Robert von Thayenthal, von denen | |
| die Idee stammt und die alle Drehbücher schrieben. Sie geboren in Rostock, | |
| er in Graz. Ein Ost-West-Paar. „Wir wollten das Thema deutsche Grenze davon | |
| wegholen, immer nur ein Ostthema zu sein“, sagt Josephine von Thayenthal. | |
| Außerdem sollte es weg von der Einzelbetrachtung von Krieg, Mauerbau und | |
| Mauerfall. Dazwischen liegt nämlich auch eine ganze Menge Stoff. Und sie | |
| wollten die deutsche Teilung auch einmal abseits von Berlin erzählen. | |
| Denn die Themen, die die von Thayenthals umtreiben, sind der Sozialismus | |
| auf dem Land, die Bodenreform und die damit verbundenen Enteignungen und | |
| Deportationen. All das Unrecht fernab der Hauptstadt der DDR. Die | |
| vergangenen drei Jahre lebte das Paar in einem Dorf in Tirol. „Da ist mir | |
| erst klar geworden, was durch die Bodenreform in der DDR an dörflichen | |
| Strukturen unwiederbringlich zerstört wurde“, sagt Josephine von | |
| Thayenthal. Das behandelt „Tannbach“. | |
| ## Ein Jahr Recherche | |
| Sie forschten in Archiven, sie lasen Dissertationen und Tagebücher. Ein | |
| Jahr recherchierten und schrieben sie, bevor sie das Projekt im Februar | |
| 2011 an die Produzentin herantrugen. „Wir wussten, dass es groß wird, dass | |
| es teuer wird“, sagt Josephine von Thayenthal. Die Produzentin nahm dennoch | |
| an. | |
| Die Thayenthals nennen das Projekt ihr „Baby“. Sie stecken tief drin in der | |
| Materie. Mit Freunden und Familienmitgliedern aus der ehemaligen DDR gab es | |
| heiße und teils erbitterte Diskussionen. „Viele von ihnen hängen noch einem | |
| vergangenen Weltbild an“, wie Robert von Thayenthal es nennt. „Im Westen | |
| die Altnazis, im Osten die friedliebenden Kommunisten.“ „Wie Worte wie | |
| ’Diktatur‘ oder ’Unrechtsstaat‘ Gesprächsrunden spalten können, ist | |
| unglaublich“, sagt seine Frau. | |
| Doch so außergewöhnlich die äußere Form auch sein mag, so wichtig das | |
| Thema, so selten die Zeitspanne betrachtet, so groß das Starensemble (neben | |
| Alexander Held auch Heiner Lauterbach, Nadja Uhl, Ludwig Trepte, Martina | |
| Gedeck, Ronald Zehrfeld und Maximilian Brückner) – so wenig berühren einen | |
| die Filme. | |
| ## Bleiernde Redundanz | |
| „Tannbach“ ist zu sehr erklärendes Bildungsfernsehen und zu wenig Drama. | |
| Wenn die aus Berlin geflohene Mutter Lisbeth Erler (Uhl) ihren von | |
| Sozialismus und Bodenreform überzeugten Sohn Friedrich anbrüllt: „Guck dich | |
| doch mal um! Mensch, Junge, mach die Augen auf! Willkür! Überall, wo du | |
| hinguckst, Vergewaltigung und Mord.“ Dann hat der Zuschauer vorher schon | |
| all das vor Augen geführt bekommen: Willkür, Vergewaltigung und Mord. | |
| So wie Mama Lisbeth, die das alles anwidert; die Schinken aus der | |
| amerikanischen Besatzungszone rüberschmuggelt und nichts lieber will als so | |
| schnell wie möglich weg – mindestens dahin, wo der Schinken herkommt, noch | |
| besser gleich dahin, wo die amerikanischen Soldaten herkommen. | |
| Noch ein Beispiel: Als die Großgrundbesitzer Tannbachs kurz vor ihrer | |
| Deportation namentlich aufgerufen werden und auf die Ladefläche eines | |
| Lasters steigen müssen, raunt Hilde Vöckler (Gedeck) dem kommunistischen | |
| Landrat Konrad Werner (Zehrfeld) empört zu: „Wie bei den Nazis.“ | |
| „Danke, das weiß ich selber“ wäre die passende Antwort des Landrats | |
| gewesen, aber nein, das sagt er natürlich nicht. Er antwortet stattdessen | |
| etwas mit „die haben es verdient“ und „Nazis“. Die drei Filme sind gepr… | |
| von der Angst der Macher vor der Beschränktheit des Zuschauers. Jeder wird | |
| an die Hand genommen, es soll bloß keiner zurückgelassen werden. Es | |
| entsteht bleierne Redundanz, die Geschichte, die Figuren kommen nicht | |
| voran. | |
| Immerhin Alexander Helds Großbauer, der Schober-Franz, setzt sich davon ein | |
| wenig ab. Vielleicht weil Held dem Zuschauer mehr zutraut. „Die Kunst | |
| besteht ja darin, dass das, was erzählt werden soll, keineswegs immer | |
| gesagt wird, sondern dass es sich erzählt“, sagt Held. „Ich hab mich | |
| während der Dreharbeiten voll auf den Schober-Franz und dessen Mentalität | |
| konzentriert und versucht, diesen Opportunisten für den Zuschauer | |
| verständlich umzusetzen. Das bedeutet für mich, die Vielschichtigkeit | |
| herauszuarbeiten und spürbar – nicht immer sichtbar – zu machen.“ | |
| ## Auszeiten von der Trauer | |
| Woher er diese Kraft nahm, weiß Held heute selbst nicht mehr genau. | |
| „Vermutlich gegeben“, sagt er. Nicht lapidar, sondern wohlüberlegt. Währe… | |
| er in den Dreharbeiten zu „Tannbach“ und einem weiteren Film steckte, war | |
| seine Frau unerwartet verstorben. Held spielte weiter. „Jetzt, im | |
| Rückblick, kann ich sagen, dass es ein großes Glück war, dass ich in den | |
| zwei Produktionen steckte, als das passiert ist“, sagt er. Die Arbeit am | |
| Tage waren Auszeiten von der Trauer. | |
| Held holte sich auch den Bayerischen Fernsehpreis ab. Seine Frau hätte es | |
| so gewollt, glaubt er. Als er ihr von der Nominierung erzählt hatte, war | |
| sie so gerührt gewesen, dass ihr eine Träne die Wange hinuntergeronnen war. | |
| „Sie war der Meinung, dass ich für andere Projekte in der Vergangenheit | |
| zumindest hätte nominiert werden müssen“, erzählt er. Seine Frau hat recht. | |
| Held ist 56 Jahre alt. Der Bayerische Fernsehpreis war seine erste große | |
| Auszeichnung. Er widmete ihn seiner verstorbenen Frau. | |
| Der Mann, der an jenem Sonntag im Oktober nicht hatte stören wollte, hat | |
| sich den „Tatort“ dann tatsächlich angeschaut. Am nächsten Tag lag ein | |
| Brief an der Rezeption von Helds Hotel. Der Mann bedankte sich bei Held für | |
| den Tipp, er bedankte sich für diesen „Tatort“. Das Publikum hat halt | |
| manchmal ein feineres Gespür als jede Preisjury. | |
| 4 Jan 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Jürn Kruse | |
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