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# taz.de -- Streit in der Linkspartei: Der Gysi und das rote Tuch
> Fraktionschef Gregor Gysi versucht es mit einem Machtwort. Doch der
> Streit zwischen Israelkritikern und Reformern bei der Linken geht weiter.
Bild: Spricht ein Machtwort: Gregor Gysi
BERLIN taz | Bernd Riexinger, Chef der Linkspartei, versucht die Wogen zu
glätten. „Ich habe nicht das Gefühl, dass es einen neuen Flügelkampf gibt�…
sagt er am Montag in der Berliner Parteizentrale im Karl-Liebknecht Haus.
Das ist eine kühne Deutung. Denn es geht hitzig her.
Der Reformflügel attestiert den Parteilinken Inge Höger, Annette Groth,
Heike Hänsel und Claudia Haydt, „obsessiven Hass auf Israel“ zu befördern.
Immer wieder, so die Kritik, forciere der linke Parteiflügel die
„Dämonisierung von Israel mit antisemitischen Argumentationsmustern“.
Mitglieder der Partei betrieben „eine Relativierung des Holocaust und der
deutschen Verantwortung für die millionenfache Vernichtung der europäischen
Jüdinnen und Juden“, heißt es in dem Aufruf „Ihr sprecht nicht für uns�…
Das zielt auf Höger und Groth, die am 9. November, dem Jahrestag der
Nazipogrome 1938, die jüdischen Israelkritiker David Sheen und Max
Blumenthal eingeladen hatten. Sheen hatte, von den vier Fundis in den
Bundestag gelotst, Fraktionschef [1][Gysi bis auf die Toilette mit
Beschimpfungen („Stasi-Methoden“) verfolgt]. Den Aufruf [2][„Ihr sprecht
nicht für uns“], den ein paar Hundert Parteimitglieder unterzeichnet haben,
unterstützen auch Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn und die
Geschäftsführerin Petra Sitte. Es ist Dampf im Kessel.
Der linke Flügel, die antikapitalistische linke (akl), schoss prompt scharf
zurück. Die Reformerriege um den Außenpolitiker Stefan Liebich und Jan
Korte würden den „bedauernswerten Zwischenfall“ aufbauschen, um
israelkritische Positionen zu „diffamieren und auszugrenzen“. Die akl
strebe hingegen „dringend ein normales Verhältnis zur israelischen und
palästinensischen Linken“ an. Deutsche sollen endlich, wie Iren oder
Griechen, gegen Israel vom Leder ziehen können – ohne Rücksicht auf den
Holocaust. Die Pragmatiker wittern Israelhass, der linke Flügel sieht sich
diffamiert. Kein Flügelkampf?
## „Politische Dummheit“
Seit Montag läuft der Versuch, den Konflikt ohne noch mehr Unfälle zu
beenden, auf Hochtouren. Gregor Gysi hatte schon vor einer Woche die
Entschuldigung von Höger und Groth akzeptiert. Nun mahnte der
Fraktionschef, der sich mitunter zum einzigen Zentristen der Partei
erklärt, „ideologische Differenzen nicht anhand dieses Vorfalls
auszutragen“. Übersetzt: Gysi pfeift die Reformer zurück.
Auch Bernd Riexinger möchte die Debatte gern schleunigst beerdigen. „Für
uns ist entscheidend, dass Gregor Gysi die Entschuldigung angenommen hat“,
so der Parteichef. Dass die Bundestagsabgeordneten Inge Höger und Annette
Groth am 9. November „Israels Kriegsverbrechen“ anprangern wollten, sei
eine „politische Dummheit“ gewesen. Doch, so Riexinger, wenn alle
Abgeordneten, die mal eine Dummheit machen, „aus der Fraktion
ausgeschlossen würden, wäre die bald leer“. Die Botschaft: Alles nicht so
schlimm.
Seit Katja Kipping und Bernd Riexinger die Partei führen, ist die
Streitfrequenz deutlich gesunken. Nach dem Göttinger Parteitag 2012 waren
auch die Flügel der Dauerkonflikte müde. Doch die grundlegenden Kontroverse
ist nach wie vor ungelöst. Die Ostpragmatiker machen von Erfurt bis Potsdam
mitunter sehr unscheinbare Realpolitik. So offensiv wie Bodo Ramelow in
Thüringen hat sich noch kein Linksparteipolitiker in die Mitte der
Gesellschaft gewagt. Im Westen hingegen sehen sich viele Genossen nach wie
vor als Protestpartei, in starrer Frontalopposition zur Gesellschaft. Das
ist die Grundspannung, die sich mitunter blitzlichthaft entlädt.
## Devise: Deckel drauf
Gysis Machtwort hat durchaus ein rationales Ziel. In Thüringen gehen die
rot-rot-grünen Kolationsverhandlungen in die letzte Runde. Eine ausufernde
Debatte, die auch Ressentiments bei den Genossen gegen Israel ins mediale
Scheinwerferlicht rücken würde, kann das ohnehin fragile rot-rot-grüne
Regierungsprojekt, das nur über eine Stimme Mehrheit verfügt, gefährden.
Deshalb die Devise: Deckel drauf.
Stefan Liebich, außenpolitischer Kopf der Reformer, weist das zurück. Es
habe „viel Druck aus der Partei und der Wählerschaft“ gegeben, es nicht bei
der Entschuldigung der vier zu belassen. Deshalb habe man den Aufruf
initiiert. Das Argument, dass Auseinandersetzungen der Partei schaden,
zähle bei grundlegenden Debatten nicht.
Katina Schubert, Landesgeschäftsführerin der Berliner Linkspartei, findet:
„Es geht nicht um das ’Toilletengate‘. Für schlechtes Benehmen kann man
sich entschuldigen.“ Doch die politische Kernfrage sei ungelöst – nämlich,
dass Höger und Groth „ausgerechnet am 9. November Referenten einladen, die
vor Analogien zwischen Israel und Nazideutschland nicht haltmachen“, so
Reformerin Schubert.
## Zartes Zeichen
Dabei fordern die Realos gar nicht direkt den Fraktionsausschluss von
Höger, Groth und Heike Hänsel. Ausschlussforderungen sind gerade bei
Ostpragmatikern mit DDR-Vergangenheit ein No-Go: ein Lerneffekt aus der
SED-Zeit, wo Abweichler rigide vor die Tür gesetzt wurden. In dem Aufruf
„Ihr sprecht nicht für uns“ werden den vier vage Konsequenzen nahegelegt.
„Wir haben das bewusst offengelassen“, so Liebich.
Annette Groth ist menschenrechtspolitische, Inge Höger abrüstungspolitische
Sprecherin der Fraktion. Ein Rücktritt von diesen Positionen wäre ein recht
zartes Zeichen, dass provokative Israelkritik, von der sich die Linkspartei
in ihrem Programm distanziert hat, nicht geduldet wird. Doch dazu wird es
nicht kommen.
Und mehr noch: Nach Gysis Basta-Erklärung, fürchtet Katina Schubert,
„wächst der Druck auf uns, die Debatte nicht weiterzuführen“. Die Reformer
fühlen sich, mal wieder, von Gysi im Stich gelassen.
17 Nov 2014
## LINKS
[1] /Antisemitismus-Streit-fuehrt-bis-zur-Toilette/!149319/
[2] http://ihrsprechtnichtfueruns.de/
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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