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# taz.de -- Zuschauermessung bei Netflix & Co.: Datingbörse für Filmliebhaber
> Streamingdienste wissen, was und wie die Kunden fernsehen, und richten
> ihr Angebot danach aus. Ersetzen solche Algorithmen die Quote?
Bild: Der Streamingdienst Netflix ist seit kurzem auch in Deutschland verfügba…
Es ist ein Ritual am Montagmorgen. Die Mediendienste schicken die Quoten
von Sonntagabend: „Tatort“ über 10 Millionen, Jauch 5 Millionen – in die…
Bereich liegen die Rekordwerte, die die heilige Währung in den
Sendeanstalten sind. Dabei zeigen sie nur die halbe Wahrheit, denn darüber,
wie viele die Sendungen im Internet, live oder in der Mediathek gesehen
haben oder noch sehen werden, sagen die Zahlen nichts. Zwar misst die AG
Fernsehforschung, die die Quoten erhebt, seit gut einem Jahr auch die
Zugriffe auf Mediatheken, so präzise wie die Fernsehdaten sind die
Onlinedaten aber nicht.
Ganz anders machen das Video-on-Demand-Anbieter. Seit Mitte September läuft
Netflix in Deutschland, das jedem Abonnenten sein individuelles
Fernsehprogramm strickt. Das Herz des Streamingdienstes ist ein komplexer
Empfehlungsmechanismus. Algorithmen beobachten genau, wie jeder Kunde
streamt: was, wann, wo, wie lange – und was er sucht. Eine Datingbörse
nennt Joris Evers, der Netflix-Europaverantwortliche, sein Unternehmen.
„Nur wir verbinden unsere Kunden nicht mit anderen Menschen, sondern mit
Filmen und Serien.“
75 Prozent dessen, was Netflix-Nutzer ansehen, basiert auf dem
Empfehlungsmechanismus. Das amerikanische Magazin The Atlantic hat
recherchiert, wie die Algorithmen funktionieren. Demnach ordnet Netflix
jede einzelne Produktion in eines von knapp 80.000 Subgenres ein. Diese
Genres beinhalten die Region, die Stimmung, die Quelle, den Autor, die
Schauspieler, das Thema und die Zeit, in der Film oder die Serie spielt.
Dadurch entstehen Genres wie „Fantasy-Filme über Briten in Europa in den
1960ern“ oder „Romantische chinesische Filme über Verbrechen.“
Netflix beobachtet, welches Genre jeder Nutzer bevorzugt. Aber nicht nur
das. „Wenn jemand oft Netflix nutzt und Samstagabend eher Filme guckt, dann
wissen wir, dass wir ihm Samstagabend eher Filme anbieten. Wenn derjenige
unter der Woche nach der Arbeit eher 30-minütige Comedyshows anguckt, dann
bieten wir ihm zu dieser Zeit eben eher Comedys an“, erklärt Evers.
## Raab Samstag, Tatort Sonntag
So etwas Ähnliches lässt sich auch mit der Quote aussagen: ProSieben weiß,
dass Raab-Unterhaltungsshows am Samstagabend am besten ankommen, der
„Tatort“ am Sonntag. Nur dass die ARD den „Tatort“ am Sonntagabend allen
Zuschauern zeigt, während Netflix jedem Nutzer ein anderes Programm
empfiehlt. „Beide Systeme basieren auf Annahmen der Ähnlichkeit: Wenn dir
ein bestimmter Regisseur gefällt, dann gefällt dir vielleicht auch ein
anderer Film von dem Regisseur“, sagt Andreas Jahn-Sudmann,
Medienwissenschaftler an der Freien Universität Berlin im Forschungsprojekt
„Ästhetik und Praxis populärer Serialität“.
„Aber ansonsten sind Quote und Algorithmus ganz unterschiedliche Modelle.“
Bei Netflix gehe es darum, dem Zuschauer zu einer bestimmten Zeit an einem
bestimmten Ort einen Vorschlag zu machen. Die Quote kann lediglich im
Nachhinein mit der anderer Sendungen verglichen werden. Sie ist vor allem
ein Instrument für Werbekunden. Netflix, das auf Abonnements basiert,
braucht keine Werbekunden, dafür aber die höchstmögliche Zufriedenheit der
Abonnenten – und einen Maßstab dafür, welche Filme die Abonnenten zufrieden
machen. Wenn Netflix auf Einkaufstour geht, sind es die aggregierten
Zuschauerdaten, die den Preis bestimmen.
Deswegen hat das Unternehmen zum Beispiel „Gilmour Girls“ eingekauft – ei…
knapp 15 Jahre alte Serie, die schon sehr viele Menschen gesehen haben.
Trotzdem wurde sie in den USA sooft über Netflix gesucht, sodass das
Unternehmen sich entschied, sie in sein Angebot aufzunehmen.
## 1 Millionen Dollar für 10 Prozent
Wie wichtig der Algorithmus für Netflix ist, sieht man auch daran, wie viel
er das Unternehmen kostet: 2006 hat Netflix-Chef Reed Hastings einen
Wettbewerb ausgeschrieben. Demjenigen, der es schaffen würde, den
Algorithmus um nur 10 Prozent zu verbessern, versprach Hastings 1 Million
Dollar. Den Preis gewann eine Gruppe internationaler Computerspezialisten.
Mittlerweile beschäftigen sich laut The Atlantic bei Netflix 800
Computeringenieure allein mit dem Algorithmus.
In Deutschland wird es so etwas wohl erst mal nicht geben. Die AG
Fernsehforschung arbeitet daran, die Zuschauermessung im Internet zu
präzisieren. Algorithmen sind dabei nicht vorgesehen – aus zwei Gründen:
Zum einen sind die Mediatheken zumindest bisher nicht auf personalisierte
Fernsehempfehlungen ausgelegt.
„Aus unseren hochaggregierten Daten, die die Quote ergeben, wissen wir
jetzt schon, ob mehr Männer oder mehr Frauen und eher Ältere oder Jüngere
eine Sendung gesehen haben. Das reicht für unsere Zwecke völlig aus“, sagt
Erk Simon, der beim WDR die Fernsehforschung leitet. Zweitens steht der
Datenschutz im Weg. Die Sender dürfen einzelne Nutzer nicht nachverfolgen,
sagt Simon und schätzt: Würde die ARD so umfangreiche Nutzerprofile der
Beitragszahler erstellen, wäre die öffentliche Empörung immens.
24 Nov 2014
## AUTOREN
Anne Fromm
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