# taz.de -- Privater Ressourcenverbrauch: Die Vermessung des Konsumenten | |
> Der Lebensstil in reichen Ländern überfordert den Planeten. Forscher | |
> suchen nach Auswegen: In Bottrop werden 16 Haushalte zum Konsumlabor. | |
Bild: Siedlung in Bottrop: Erfasst wird alles, was im Haus vom Dachboden bis zu… | |
KÖLN taz | Walter Eilert ahnt es: „Ich werde schlecht abschneiden.“ Dennoch | |
stellt er sich dem Vergleich. Zusammen mit seiner Frau nimmt er an einer | |
Haushaltsbefragung in der Ruhrgebietsstadt Bottrop teil. Das Interesse der | |
Wissenschaftler: Wie stark belasten die Menschen das natürliche Material | |
des Planeten mit ihrem Lebensstil? Wie hoch liegt ihr Verbrauch von Holz, | |
Kohle, Wasser, Gemüse und den vielen anderen natürlichen Waren, die das | |
unsichtbare Konto des Planeten belasten? | |
Beim Verbrauch von Erdöl dürfte es für Walter Eilert nicht gut aussehen. | |
„Ich fahre viel Auto, beruflich und privat.“ | |
Insgesamt 16 Haushalte machen bei der Ressourcenbefragung mit. Für eine | |
repräsentative Studie reicht das lange nicht, eine solche Erhebung für ganz | |
Deutschland organisiert derzeit die Schweizer Universität Bern mit | |
Unterstützung des deutschen Umweltbundesamts. | |
So konkret und umfassend wie in Bottrop wurde bisher allerdings noch nie in | |
Deutschland nach dem Verbrauch von Ressourcen gefragt. Relevant werden die | |
Ergebnisse aus dem Ruhrgebiet auch deshalb sein, weil alle Teilnehmer zum | |
Milieu der bürgerlichen Mitte gehören. Das bedeutet: Eigenheim, gehobenes | |
Einkommen – gehobener Verbrauch. | |
Gerade in dieser Gruppe dürften die Einsparpotenziale besonders hoch sein, | |
vermutet die Projektkoordinatorin Kathrin Greiff vom Wuppertal Institut für | |
Klima, Umwelt, Energie. Gut situierte Menschen fliegen eher mal in den | |
Urlaub, leisten sich auch leistungsstärkere Autos, wohnen im eigenen Haus | |
statt in einer Mietwohnung. Dies alles sind Eigenschaften, die das | |
natürliche Kapital der Erde vergleichsweise stark belasten. | |
Wie dramatisch der Konsum in europäischen Ländern dieses Kapital dezimiert, | |
haben Studien in Finnland untersucht. Im Schnitt liegt der Verbrauch dort | |
bei 40 Tonnen natürlicher Ressourcen pro Person und Jahr. „In Ländern mit | |
ähnlichen Konsummustern wie Deutschland dürfte der Wert ähnlich hoch | |
liegen“, sagt Michael Lettenmeier, ebenfalls Mitarbeiter beim Wuppertal | |
Institut, der in Finnland lebt und die Studie mit betreut hat. | |
## Faktor 10> | |
Doch solche Durchschnittszahlen sagen wenig über den Verbrauch der | |
einzelnen Haushalte aus. In dem Ergebnis einer Befragung aus dem Jahr 2008 | |
in Finnland schreiben Lettenmeier und seine Koautoren: „Der Unterschied | |
zwischen dem höchsten Verbrauch natürlicher Ressourcen (118 Tonnen pro | |
Person pro Jahr) und dem niedrigsten (13 Tonnen) erreichte fast den Faktor | |
10.“ Eine Erklärung: Jüngere Menschen verbrauchen weniger, da sie noch | |
nicht so viel besitzen wie ältere. | |
Viele Eltern aus der bürgerlichen Mitte – so auch Walter Eilert und seine | |
Frau – leben nach dem Auszug der Kinder weiter in ihrem Haus, das nun | |
jedoch im Verhältnis zu groß und damit ineffizient ist für nur zwei | |
Personen. Das macht sich beim Verbrauch von Energieträgern wie Kohle und Öl | |
bemerkbar. | |
Alles in allem 8 Tonnen an natürlichen Ressourcen dürfte ein Mensch in | |
einem Industrieland im Schnitt pro Jahr verbrauchen. Erst dann hätte die | |
Erde genug Raum und Zeit, das verbrauchte Material zu erneuern, sodass auch | |
noch für künftige Generationen gesunde Felder und Wälder bleiben. Um ein | |
solches Niveau zu erreichen, müssten die Haushalte ihren Materialhunger im | |
Schnitt allerdings um 80 Prozent verringern. | |
## Technologischer Fortschritt | |
In der finnischen Studie erreichten die ärmsten Haushalte die niedrigsten | |
Werte beim Ressourcenverbrauch. Zynisch argumentiert: Müssen wir also arm | |
sein, um nachhaltig zu leben? Die Forscher glauben das nicht. Auch der | |
technologische Fortschritt könne beim Sparen assistieren. Neue | |
Informationstechnologien helfen schon heute dabei, Carsharing-Flotten | |
effizient auszulasten oder den Energieverbrauch im Haushalt optimal zu | |
steuern. | |
Aber ohne ein anderes Verhalten der Konsumenten geht es nicht: Zusammen mit | |
Kollegen hat Lettenmeier kalkuliert, was ein Mensch in einem Industrieland | |
tun müsste, um das Ziel von 8 Tonnen zu erreichen. Ein Asketenleben kam | |
dabei nicht heraus. „Wir sind von Grundbedürfnissen der Menschen | |
ausgegangen und haben geschaut, was nach derzeitig vorstellbarem Stand | |
machbar wäre.“ | |
Aufhören müsse das Verprassen von Ressourcen demnach vor allem in den | |
Bereichen Mobilität (weniger Auto fahren, weniger Urlaubsflüge) und Wohnen | |
(weniger Quadratmeter pro Person, effizientere Energienutzung). Statt | |
Geräte und andere Produkte ständig neu zu kaufen, sollten die Menschen | |
stärker Gebrauchtes und Recyceltes nutzen. | |
## Auf Dach- und Kellergeschoss verzichten | |
In Bottrop haben sich Eilert und seine Frau bereits mit dem | |
Energieverbrauch für ihr Haus beschäftigt – und sich ein Ziel gesteckt: auf | |
das Dachgeschoss und das Kellergeschoss zu verzichten. Mit dem Wohnraum | |
würden auch die zu beheizende Fläche und der Energiebedarf kleiner werden – | |
heißt: weniger Kohle, Öl und CO2-Emissionen, die in Wäldern, Meeren und der | |
Atmosphäre landen. | |
Bevor die Menschen in Bottrop wissen, wo sie am meisten einsparen können, | |
müssen sie erst viele Fragen beantworten. Sieben Lebensbereiche fragen die | |
Forscher ab: Wohnen, Mobilität, Ernährung und Abfall, Hobby/Freizeit, | |
Tourismus, Hausrat. Ein Zwei-Personen-Haushalt muss sich durch Dutzende | |
Seiten Recyclingpapier kreuzen und schreiben. Für jeden Katalog haben die | |
Teilnehmer ein bis zwei Wochen Zeit. | |
Diese Zeit werden sie brauchen, denn die Forscher verlangen ihren Probanden | |
einiges ab. In der ersten Woche sollen sie unter anderem ihren Verbrauch | |
von Warmwasser messen. „Wenn es keinen Warmwasserzähler gibt, dann sollten | |
sie auf einer Tabelle neben dem Waschbecken notieren, wie lange das warme | |
Wasser geflossen ist“, sagt Studienbetreuerin Greiff. | |
## Was wird weggeworfen? | |
In der dritten Befragungswoche müssen sie ihre Mülltüten wiegen, um die | |
Abfallmengen zu berechnen, außerdem ein Ernährungstagebuch führen: Was wird | |
wo gegessen, was wird davon weggeworfen? | |
Allein zwei Wochen sind reserviert für die Auflistung des gesamten | |
Hausrats: „Dabei fragen wir wirklich alles ab“, sagt Greiff. Jeder Stuhl, | |
jedes Buch, jedes längst vergessene Elektrogerät im Keller kommt auf die | |
Liste. „Gerade auch das, was nicht mehr benutzt wird, birgt hohe | |
Einsparpotenziale, weil der Ressourceneinsatz für das Produkt dann | |
letztlich umsonst war.“ | |
Im Anschluss werden die Ressourcenforscher mehr über die Konsumenten wissen | |
als Facebook oder Google – womöglich mehr als die Menschen selbst. Dann | |
haben sie alles zusammen für den ökologischen Fingerabdruck. Und Walter | |
Eilert? Der bereitet sich jetzt schon mal darauf vor, was dann auf ihn | |
zukommen könnte. „Wenn ich im Bereich Mobilität schlecht abschneide, werde | |
ich wohl stärker auf Fahrrad, Bus und Bahn umsteigen, wenn die Fahrtzeit | |
dann nicht deutlich steigt.“ | |
21 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Moritz Schröder | |
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