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# taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Den Lenin-Orden für Decathlon!
> Am „Black Friday“ beginnt die US-Shopping-Orgie vor Weihnachten. Ein
> Sport-Discounter hält dagegen. Auch wenn er es nicht so meint.
Bild: Wer braucht schon einen Speer? Weg mit dem Krempel
Heute mal ein Geständnis: Ich hasse Shopping, aber ich liebe „Decathlon“.
Der französische Sportartikel-Discounter hat viel dafür getan, dass unsere
kleine Familie ihre ersten Jahre in Frankreich heil überstanden hat.
Nur dort gab es immer wieder billige neue Fußbälle, wenn die alten
verschwanden; nur dort fanden sich immer irgendeine billige Schwimmbrille
und ein Schnorchel. Nur von dort kam der Nachschub, wenn unser Ältester
alle seine Pfeile mit dem Bogen über die Gartenmauer geschossen hatte.
Erkältung, Nieselregen, schlechte Laune? Da half ein Trip in die
unendlichen Weiten voller Basketbälle, Tretroller und Hantelbänke.
Decathlon ist wie IKEA, nur ohne die blöden Möbel.
Also war ich hellauf begeistert, als der Laden mit dem blau-weißen
Schriftzug auch in Berlin aufmachte. Der kapitalistische Wachstumszwang hat
auch sein Gutes. Ich streifte durch die endlosen Regale voller Regenhosen,
Tennisschläger und Dartscheiben und suchte nach Schienbeinschonern. Die
Frau an der Kasse reichte mir dazu eine braune Tragetasche aus Papier. Und
darauf stand unten, ganz klein, ein Satz, der mich noch mehr als alle
billigen Softfußbälle für den Laden einnahm: „BITTE KAUFEN SIE MICH NUR,
WENN SIE ES NICHT VERMEIDEN KÖNNEN“.
## „Nur, wenn Sie es nicht vermeiden können!“
Ein unglaubliches Statement. Decathlon – zu deutsch: Zehnkampf – hat damit
die Zehn Gebote des nachhaltigen Konsums auf eine zentrale Aussage
zusammengestaucht, und das noch in GROSSBUCHSTABEN: „Bitte kaufen Sie mich
nur, wenn Sie es nicht vermeiden können.“ Das Produkt fordert mich auf,
darüber nachzudenken, ob ich es jetzt auch wirklich dringend brauche – oder
ob ich den Krempel nicht lieber im Regal lassen und mit den Kindern
Scrabble spielen sollte. Für so viel unaufgeregten und subversiven
Antikapitalismus sollte es den Lenin-Orden geben.
Da ist es egal, dass der graue Papierbeutel mit seinem Warnhinweis nur sich
selbst meint. Wir nehmen die Aufforderung ernst für alles, was sonst so in
die Tüte kommt. Lässt es sich echt nicht vermeiden, diese Tennissocken
einzupacken? Hält die alte Regenjacke nicht noch dicht? Brauchen wir
wirklich drei Kopflampen, auch wenn sie spottbillig sind?
## Protest gegen den Konsumwahn am Black Friday
Und jetzt sollten Sie, liebe LeserInnen, diesen Satz aus der Zeitung
ausschneiden, mehrfach groß kopieren und heute in möglichst vielen Läden,
Shops und Einkaufszentren an die Regale kleben: „Bitte kaufen Sie mich nur,
wenn Sie es nicht vermeiden können!“. Denn Freitag ist weltweit
„Buy-Nothing-Day“. Für mich der beste Feiertag gleich nach Pfingsten: Auf
der ganzen Welt protestieren Menschen kreativ gegen den Überkonsum, der uns
umbringt: Sie zerschneiden Kreditkarten, eröffnen Läden, in denen nichts
verkauft wird und schieben als Konsum-Zombies leere Einkaufswagen durch die
Supermärkte.
Denn der Tag nach Thanksgiving ist in den USA „Black Friday“, wo Millionen
von Kunden die Läden stürmen, um die Kaufrauschsaison vor Weihnachten zu
eröffnen. Seit 1992 halten die Anti-Werber der „Adbusters“ aus Vancouver
dagegen: Mit einem TV-Spot, in dem ein rülpsendes Schwein die Sünden der
Konsumenten anprangert. Und mit der Aufforderung, aus dem Teufelskreis von
Konsum, Kredit und Katastrophen auszusteigen. Zumindest für 24 Stunden.
## Zehnkampf für die Nachhaltigkeit
Und jetzt ist unser Decathlon Teil dieser Guerilla. All das Geld, das wir
im letzten Jahrzehnt dort investiert haben, war gut angelegt. Und mir wird
auch die heimliche Botschaft hinter dem Namen klar: Die Königsdisziplin der
Leichtathletik steht natürlich für die Anstrengungen im Kampf gegen den
Konsumterror, für den wir uns stählen müssen: Da ist der 100-Meter-Sprint,
um all den Sonderangeboten und Flatrates zu entgehen; 400 Meter im
gestreckten Galopp, damit uns unsere schlechten Gewohnheiten nicht
einholen. Und ein lungenzerfetzender nachhaltiger 1500-Meter-Lauf, um
unsere guten Vorsätze für Weniger/Langsamer/Bewusster zu erreichen.
Da braucht es konzentrierte 110 Meter über alle Hindernisse, die sich uns
verantwortungsvollen Konsumenten in den Weg schieben. Denn es ist ja echt
der Hammer, was wir alles möglichst weit wegwerfen müssen: Den Diskus und
den Speer, die nun echt keiner mehr braucht. Um das zu schaffen, müssen wir
richtig weit und hoch springen. Sonst können wir uns gleich die Kugel
geben.
25 Nov 2016
## AUTOREN
Bernhard Pötter
## TAGS
Konsumgesellschaft
Konsumkritik
Konsumverhalten
Youtube
Schwerpunkt Armut
Konsum
Ressourcenverbrauch
Konsum
Handwerk
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