# taz.de -- Kommentar Proteste gegen Flüchtlinge: Anwohner und Kinder zuerst | |
> Neonazis organisieren Proteste gegen Flüchtlinge. Sie tarnen sich als | |
> „Anwohner“ und argumentieren mit dem Wohl von Kindern. | |
Bild: Berlin-Marzahn: Hier gibt es jede Menge Anwohner und Kinder | |
Seit einigen Wochen gibt es in Ostberliner Vierteln wie Marzahn, Köpenick | |
und Buch Proteste gegen geplante Flüchtlingsunterkünfte, am Samstag soll ab | |
14 Uhr eine zentrale Demonstration in Marzahn stattfinden. Die | |
Organisatoren fordern die Teilnehmer ausdrücklich dazu auf, nicht mit der | |
Presse zu reden. | |
Bei der Demonstration am Montag war dies noch nicht der Fall. Wer sich dort | |
[1][unter den Demonstranten umhörte], stieß auf zwei zentrale Begriffe: Auf | |
der Straße sind Anwohner. Und zwar wegen der Kinder. | |
Beide Begriffe sind anschlussfähig bis weit in Milieus, die weit weg sind | |
vom proletarisch-ostdeutschen Dumpfbackentum. Und als politische Kategorie | |
sind beide Begriffe tendenziell autoritär. Der Anwohner ist das Gegenstück | |
zum Citoyen. Wo der Citoyen sich nicht wegen seiner partikularen | |
Interessen, sondern als Teil des Ganzen in öffentliche Belange einmischt, | |
wedelt der Anwohner mit der Hausordnung herum und verlangt Ruhe und | |
Ordnung. Argumente braucht der Anwohner nicht, er ist ja Anwohner. | |
Wenn der Anwohner dennoch ein Argument bemüht, dann am liebsten das mit den | |
Kindern. Auch die Neonazis haben kapiert: Wer irgendeine Gemeinheit im Sinn | |
hat, argumentiert am besten mit dem Wohl der Kinder. Die können nicht | |
widersprechen. Kein Wunder, dass bei der „Montagsdemo" in Marzahn ein | |
YouTube-Hit des Nazirappers „Villain051" gespielt wurde : [2][„Für unsere | |
Kinder."] Auch das Lied, das er inzwischen zusammen mit der Rechtsrockband | |
„Wut aus Liebe" eigens für die Proteste gegen Flüchtlinge aufgenommen hat, | |
beginnt gleich mit den Kindern. | |
Der Mob, der sich im Berliner Osten zusammenbraut, besteht nicht allein aus | |
organisierten Nazis. Genau darin liegt die Gefahr. Doch die Trennung | |
zwischen „besorgten Anwohnern" und Rechtsextremisten, wie sie Innensenator | |
Henkel vornimmt, ist absurd. Schließlich können Anwohner zugleich | |
rechtsextrem oder rassistisch sein. Und Nazis sind auch Anwohner, irgendwo | |
ganz bestimmt und nicht selten eben in Marzahn. | |
## Ein Hauch von Rostock | |
Ein wenig erinnert die Stimmung in Ostberlin (und erst recht in Dresden) an | |
Rostock '92. Dennoch wäre es falsch zu glauben, dass die Proteste gegen | |
Flüchtlinge bloß eine Sache der ostdeutschen Unterschicht wäre. So gab es | |
2014 im reichen Bad Soden bei Frankfurt am Main Proteste gegen eine | |
Containerunterkunft. Keine Nazis, sondern ganz gewöhnliche Anwohner, | |
geleitet von ganz gewöhnlichem Ressentiment. | |
Andererseits ist im Osten ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall die | |
Scheu, gemeinsame Sache mit Neonazis zu machen, geringer als im Westen. | |
Dazu müssen die Neonazis nur auf allzu offensichtliche Symbolik verzichten | |
- worauf die Organisatoren großen Wert legen. Und sie müssen versuchen, | |
sich nicht nach Nazis anzuhören. Sondern nach Anwohnern in Sorge um die | |
Kinder. | |
22 Nov 2014 | |
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## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
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