# taz.de -- Protest gegen Flüchtlingsunterkunft: „Judenverfolgung, dit muss … | |
> In Berlin-Marzahn demonstrieren 500 Menschen gegen eine geplante | |
> Flüchtlingsunterkunft. Neonazis? Ach was, nur „Anwohner“. | |
Bild: Alles Anwohner: So genannte Montagsdemonstration in Marzahn | |
Eine „Bürgerbewegung Marzahn“ hat zu einer „Montagsdemonstration“ | |
aufgerufen, [1][die dritte in Folge,] die sich gegen eine [2][geplante | |
Flüchtlingsunterkunft] im Ostberliner Plattenbaubezirk Marzahn-Hellersdorf | |
richtet. Eine ähnliche Demonstration gab es zudem schon in Köpenick, für | |
diesen Abend ist eine weitere in Buch im äußersten Nordosten der Stadt | |
vorgesehen. Zugleich gibt es Aufrufe zu Gegendemonstrationen, was auf der | |
[3][Facebook-Seite der „Bürgerbewegung“] für Diskussionen sorgt: „Die | |
Wohnen nicht mal in Marzahn und wollen uns die Nazikeule ans Bein | |
binden..Pack!!!“ | |
Ein paar Stunden später haben sich etwa 500 Leute in Marzahn versammelt. | |
Ein paar jüngere Frauen, einige ältere Menschen und viele, sehr viele junge | |
Männer mit kahl rasiertem Schädel und schwarzen Windjacken, viele im | |
Hooligan-Style. Auf der anderen Straßenseite stehen, getrennt durch die | |
Polizei, etwa 400 Gegendemonstranten. | |
Noch bevor es losgeht, stimmt die Menge den Stadiongesang „Wir ham die | |
Schnauze voll, wir ham die Schnauze voll“ ein. Wovon haben Sie denn die | |
Schnauze voll? „Mit dir rede ich nicht“, antworten die meisten, sofern sie | |
überhaupt etwas sagen. Den Kollegen ergeht es genauso. Als sie einige | |
Teilnehmer angesprochen habe, so erzählt eine Kollegin vom RBB, habe jemand | |
in ihre Richtung gerufen: „Nich mit die reden, nich mit die reden!“ Sie | |
freut sich über den O-Ton. | |
Immerhin ein paar sind gesprächsbereit. Zum Beispiel ein hünenhafter | |
Taxifahrer um die 40. Auch er will sich keine Nazikeule ans Bein binden | |
lassen, formuliert es aber anders: „Warum sprecht ihr immer von Nazis, wenn | |
ihr irgendwo frei und stolze Deutsche seht?“, steht auf seinem handgemalten | |
Schild. Er sei „Anwohner“ und „Deutschnationaler“, die Bezeichnung Neon… | |
empfinde er als Beleidigung.Hier seien höchstens „ein paar Neonazis“. | |
Das passt gut zur Einschätzung des Innensenators Frank Henkel (CDU), der | |
vergangene Woche im Abgeordnetenhaus davon gesprochen hatte, | |
Rechtsextremisten würden versuchen, auf die „realen Sorgen“ von Anwohnern | |
„draufzusatteln“. [4][(Mitschnitt der Fragestunde, ab Min. 49:46)] | |
Viel genutzt hat ihm diese Anbiederung allerdings nicht. Schon im ersten | |
Redebeitrag geht es gegen „die“ Politiker: „Wir fordern, dass die | |
Volksschädlinge abgesetzt und von einem Volksgericht bestraft werden!“, | |
kächzt der Redner, die „Anwohner“ jubeln. Dann scheppert Liedgut des | |
Nazirappers Villain051 [5][(„Neuer deutscher Widerstand, | |
zweitausendvürzöhn“)] aus dem Lautsprecherwagen. Einer steht mit etwas | |
Abstand sichtlich zufrieden neben der Menge: Sebastian Schmidtke, | |
Landesvorsitzender der NPD. | |
## „Wegen der Kinder“ | |
Die Demonstranten ziehen los und skandieren: „Wir wollen keine – | |
Asylantenheime!“ Einmal variiert eine Gruppe den Spruch: „Wir wollen keine | |
– Asylantenschw...“, bricht aber grinsend ab. | |
Aber warum sind sie eigentlich dagegen? „Hier leben Kinder“, antwortet eine | |
Blondine Ende zwanzig. Ja, und? „Dit fragen Se noch?“, fragt sie zurück. | |
„Ick sach doch: Hier leben Kinder.“ Den Hinweis auf die Kinder – sie beto… | |
beide Silben des Wortes – hält sie offenbar für selbsterklärend, als ob es | |
darum ginge, eine Müllverbrennungsanlage auf einem Schulhof zu verhindern. | |
Schließlich schreitet ihre Freundin ein: „Die Asylanten sind zu 90 Prozent | |
Kriminelle. Wir haben Angst um die Kinnnn-deeeer“ | |
Nach einer Weile kommt der Zug an einer vietnamesischen Imbissbude vorbei. | |
Es gibt Reisnudeln und Suppe, auf dem Dach weht eine Deutschlandfahne. | |
Einige Teilnehmer scheren aus, was die Demoleitung nicht so gut findet: „An | |
die Glatzen, die sich beim Asia-Snack Bier holen wollen: Bitte lasst das, | |
so was brauchen wir hier nicht“, ruft einer aus dem Lautsprecherwagen. | |
Später wird eine noch größere Menge in einen Penny-Markt springen, um sich | |
dort mit lauwarmen Bier zu versorgen. Ein Ordnungsruf bleibt jetzt aus. | |
## „Wohnungen, W-Lan, alles…“ | |
Dann findet sich einer der glatzköpfigen jungen Männer, der bereit ist zu | |
reden. „Die Asylanten bekommen allet in'n Arsch jeblasen. Dit is nich | |
okay.“ Die geplanten Containerunterkünfte sind komfortabel? „Nee, die nich. | |
Aber später bekommen die allet jeschenkt: Wohnungen, W-Lan, allet…“ | |
Er macht gerade eine Umschulung und ist in Marzahn aufgewachsen. Auch er | |
ein Anwohner also. Bei den Montagsdemonstrationen 1989 war er noch nicht | |
geboren, stimmt bei dem Ruf „Wir sind das Volk“ aber besonders inbrünstig | |
ein. Haben seine Eltern damals mitdemonstriert? „Hab ick die noch nie | |
jefragt.“ Ist er Demokrat? „Kommt uffs Thema an.“ Und wo sieht er sich | |
selber politisch? „Ick bin rechts. Aber nich so extrem. Ick sach ma: | |
Judenverfolgung, dit muss nich sein.“ | |
Inmitten der Demonstranten trägt jemand eine riesige Deutschlandfahne. Wie | |
groß genau ist sie? Es ist die erste Frage, auf die die Angesprochenen | |
nicht reserviert oder abweisend reagieren. Doch der breitschultrige | |
Mittdreißiger, der mit beiden Händen die Fahnenstange umklammert, lächelt | |
nur kurz. Er ächzt zu sehr unter der schweren Last. Dafür springt sein | |
Nebenmann ein: „Drei mal fünf Meter“, erzählt er strahlend. „Stadiongr�… | |
Gibt’s bei Kaufland. Willste ma tragen?“ Nee, lieber nicht. Bin kein | |
Anwohner. | |
Der eingangs zitierte Facebook-Kommentar ist inzwischen gelöscht. | |
18 Nov 2014 | |
## LINKS | |
[1] /!149325/ | |
[2] /!148076/ | |
[3] http://www.facebook.com/bb.marzahn/posts/1506476656278646 | |
[4] http://www.rbb-online.de/imparlament/berlin/2014/13--november-2014/13-Novem… | |
[5] /!t12684/ | |
## AUTOREN | |
Deniz Yücel | |
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