# taz.de -- Erdogan und die Frauen: Der bekümmerte Bruder | |
> Frauen und Männer kann man nicht gleichstellen, sagt Ministerpräsident | |
> Erdogan. Er will Türkinnen die Teilnahme am öffentlichen Leben | |
> erschweren. | |
Bild: Rätselfrage: Zeigt die Kanzlerin hier den Unterschied zwischen Frauen un… | |
ISTANBUL taz | „Man kann Frauen und Männer nicht gleichstellen. Es läuft | |
der Natur zuwider“, sagte Erdogan am Montag bei einem Treffen zum Thema | |
Frauen und Gerechtigkeit. „Diejenigen, die sagen: ,Es ist mein Körper und | |
meine Entscheidung‘, sind Feministinnen“, sagte er 2012 zum Thema | |
Abtreibung. Und zum Weltfrauentag 2008 forderte er die türkischen Frauen | |
dazu auf, mindestens drei Kinder zu bekommen, denn: „Wir müssen unsere | |
Nation unterstützen.“ | |
Bei diesen drei Zitaten handelt es sich nicht um einzelne, verbale | |
Entgleisungen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, sondern um | |
seine häufig geäußerte Meinung über Frauen. Denn obwohl in seiner | |
Regierungszeit die Frauenrechte reformiert, Frauen verfassungsrechtlich | |
gleichgestellt wurden, strebte Erdogan immer auch eine traditionelle | |
Rollenaufteilungen an. | |
„Ich will nicht den gleichen Fehler der modernen Welt machen, in der Männer | |
und Frauen sich gegenseitig bekämpfen“, sagte er 2007. Was er damit meinte, | |
erklärt Fatma Cigdem Aydin: „Erdogan will, dass Frauen zu Hause bleiben, | |
die Kinder hüten und ihrem Mann dienen, der das Geld verdient“, sagt die | |
Vorsitzende der Frauenorganisation „Kader“. Sie ist eine lautstarke | |
Kritikerin der AKP-Regierung, die sie für frauenfeindlich hält. | |
Erdogan ist zwar erst seit August Präsident, doch seither hat er schon | |
einige bemerkenswert islamisch-konservative Thesen aufgestellt. Zuletzt | |
behauptete er, nicht Kolumbus, sondern muslimische Seefahrer hätten Amerika | |
um 1178 entdeckt. Kritiker sind alarmiert von den Brachialmeinungen, die | |
das religiöse Staatsoberhaupt in der laizistischen Türkei ungeniert und | |
immer häufiger von sich gibt. | |
## Reformeifer lässt nach | |
Dabei wurden unter der AKP sehr wohl Frauen betreffende Gesetze geändert, | |
so wurde Gewalt in der Ehe unter Strafe gestellt, Strafnachlässe für die | |
sogenannten Ehrenmorde wurden abgeschafft, Männer verloren ihren | |
rechtlichen Status als Familienoberhaupt. Damit kam die Türkei Forderungen | |
der EU nach. Doch je schleppender die Beitrittsverhandungen wurden, desto | |
mehr ließ der Reformeifer nach. Die Regierung gab sich irgendwann keine | |
Mühe mehr, so zu tun, als sei sie progressiv. | |
Im Global Gender Gap Report zum Beispiel belegte die Türkei 2013 von 136 | |
Ländern lediglich den 120. Platz, jeden Tag berichten Medien über | |
misshandelte Ehefrauen und ermordete Töchter, welche die „Ehre“ eines | |
Mannes verletzten. Gleichzeitig gibt es heute in der Türkei mehr weibliche | |
Führungskräfte in Topunternehmen als anderswo in Europa, TV-Moderatorinnen | |
zeigen sich tief dekolletiert. | |
Doch dies ist eben nur ein sehr kleiner Ausschnitt der Realität. Denn zum | |
Alltag der Türkinnen gehört, dass im Sommer ein AKP-Politiker forderte, sie | |
sollten in der Öffentlichkeit nicht laut lachen. Ein Gewalttäter erhielt | |
vor Gericht einen Strafnachlass, weil sein Opfer – seine Exfrau – Leggings | |
trug. Und Erdogan verurteilt solche Tatsachen nicht. Hört man ihn reden, | |
wird deutlich, dass er Frauen noch stärker an der Teilhabe am öffentlichen | |
Leben hindern will. | |
## Verhütung? „Ein Mittel der Feinde“ | |
Ausgerechnet zum Weltfrauentag 2008 hielt der Ministerpräsident eine Rede, | |
in welcher er als „bekümmerter Bruder“ klagte, er mache sich große Sorgen | |
um die Wirtschaft, „denn ausländische Kräfte wollen die türkische Nation | |
auslöschen“. Deswegen forderte er von jeder einzelnen Frau: „Damit unser | |
Volk jung bleibt, solltet ihr mindestens drei Kinder machen.“ Verhütung | |
nämlich sei „ein Mittel der Feinde, mit dem die Türkei geschwächt werden | |
soll“. | |
Dann dachte er laut über Gebärprämien nach. Einen Hinweis darauf, welche | |
Art von „Honorierung“ er sich vorstellte – vielleicht handgenähte Gardin… | |
–, blieb er den Türkinnen allerdings schuldig. „Er benimmt sich so, als sei | |
er unser Vater oder unser Ehemann. Was interessiert ihn unser | |
Privatleben?“, kritisiert die Frauenrechtlerin Aydin. | |
Umso erstaunlicher ist es, dass die AKP bei den Parlamentswahlen 2011 zu 55 | |
Prozent von Frauen gewählt wurde. Woran das liegt? „Türkische Frauen fühlen | |
sich nach Jahrzehnten der Vernachlässigung endlich als Menschen | |
wahrgenommen – und dann auch noch von einem charismatischen Mann, der sehr | |
viel Macht hat“, sagt die Frauenrechtlerin. Dass Erdogan sich immer mit | |
seiner Frau und seinen zwei Töchtern zeige, beeindrucke die Frauen: | |
„Deswegen bewundern sie ihn.“ | |
25 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Cigdem Akyol | |
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