| # taz.de -- Berlins Noch-Bürgermeister: Ach, der Klaus | |
| > Es sind die letzten Tage für Klaus Wowereit als Regierender Bürgermeister | |
| > von Berlin. Unser Autor leistete der „Mona Lisa der Politik“ | |
| > Gesellschaft. | |
| Bild: Feiern kann er. Flughafen nicht | |
| Der andere war auch da an diesem Abend Ende Oktober. Der Nachfolger, der | |
| mit den Akten und der Bürokratenbrille. Michael Müller. Aber nur ganz kurz, | |
| denn zum Feiern hatte der gerade nominierte Nachfolger von Klaus Wowereit | |
| keine Zeit, er hatte noch einen Termin. | |
| Der noch Regierende blieb selbstverständlich beim Maneo-Charity-Dinner im | |
| Berliner Friedrichstadtpalast. So wie in all den Jahren zuvor. Nippte am | |
| Sekt, aß Hirschrouladen. Maneo, das ist ein schwules Berliner | |
| Antigewaltprojekt, das in den letzten Jahren zunehmend international | |
| gearbeitet hat, auch in Richtung des Nachbarlandes Polen. Klaus Wowereit | |
| hat dieses Projekt in seiner Amtszeit stets unterstützt. | |
| Nun gibt es bald keinen schwulen Bürgermeister mehr in Berlin, seit der | |
| Wende – oder seit Klaus Wowereit? – wieder eine der schwulen Hauptstädte | |
| der Welt. Berghain! Dafür aber seit Anfang Dezember im konservativen, | |
| katholischen Polen; im Städtchen Slupsk. Eine Sensation – wenn auch nicht | |
| ganz so groß wie seinerzeit, als Klaus Wowereit mit seinem „Und das ist | |
| auch gut so“ die Schallmauer durchbrochen hatte. | |
| Der erste offen schwule Spitzenpolitiker in Deutschland, der wenig später | |
| als Bundesratspräsident in die protokollarischen Top Five der Republik | |
| aufgestiegen war. Aber hier, in der ehemaligen „Kleinen Revue“ des | |
| Friedrichstadtpalastes, lässt er sich nun entspannt feiern – politisch ist | |
| er spätestens seit diesem Tag eine „Lame Duck“. Und schon bald, so erklärt | |
| er während seiner wie immer routinierten, frei gehaltenen Ansprache, müsse | |
| ihm nun wirklich keiner mehr zuhören. | |
| ## Feiern trotz Flughafen | |
| Aber noch ist es nicht so weit. In den letzten Wochen vor seinem | |
| offiziellen Abgang am 11. Dezember ist Klaus Wowereit auf Abschiedstournee. | |
| Die Senatssitzungen gehen weiter und Grußworte müssen gehalten werden, etwa | |
| bei der Abendveranstaltung des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes e. | |
| V. Aber es gibt auch glamourösere Veranstaltungen: Bei der großen Feier zum | |
| 25. Jubiläum des Mauerfalls ist er noch immer der Regierende Bürgermeister. | |
| Die Lichtergrenze, die Lampions, die durch die kalte Berliner Nacht | |
| fliegen; die ganze Stadt ist auf den Beinen. Ein paar Tage zuvor die | |
| Bambi-Verleihung, Klaus Wowereit mittendrin. Uma Thurman! Kein Münchner | |
| Leuchten und kein Zehlendorfer Dimmen à la Diepgen, sondern neuer Berliner | |
| Glanz vom Feinsten. | |
| Feiern. Und was ist mit dem Flughafen? Den gestiegenen Mieten? Den Berliner | |
| Wasserbetrieben? Vattenfall? Der A 100? Dem Hundekot? | |
| „Getränke frei“, ruft Klaus Wowereit fröhlich in die Runde, die sich im | |
| Säulensaal des Roten Rathauses eingefunden hat. Eine Ordensverleihung an | |
| jemanden, der eigentlich keine Orden annimmt, aber von dem „coolen | |
| Wowi-Man“ mit seinem „Super-Charme“ dann doch. Udo Lindenberg, spätestens | |
| seit der Wiedervereinigung eine Art deutscher Nationalbarde, bekommt den | |
| Berliner Verdienstorden. Von Klaus Wowereit, der an diesem Abend in seinem | |
| blauen Anzug ein wenig aussieht wie Boris Jelzin. | |
| ## Eine Mona Lisa der Politik | |
| Uli Zelle, Star-Lokalreporter vom RBB, ist auch da mit Kamerateam, und man | |
| weiß an diesem Abend nicht, wer eigentlich länger im Amt ist. Wowereit? | |
| Lindenberg? Uli Zelle? „Hinter dem Horizont geht’s weiter“, singt Udo, und | |
| hier, an diesem Abend im Roten Rathaus, scheint es so, als ob das alles | |
| eigentlich immer weiter so laufen müsste. Wowereit ist Regierender | |
| Bürgermeister, am Potsdamer Platz läuft Lindenbergs Wende-Musical und Uli | |
| Zelle kommt mit dem Ü-Wagen. „Berlin ist ja jetzt die Partnerstadt von New | |
| York“, sagt Lindenberg, und alle freuen sich. | |
| Das Berlin der Nachwendezeit, erinnert sich noch jemand an Rot-Rot? Arm, | |
| aber sexy? | |
| Auf den Büsten der ehrwürdigen Preußen im Säulensaal, Wilhelm III., werden | |
| Sektgläser abgestellt, der Kultursenator Tim Renner trinkt Wasser und | |
| Wowereit nippt wieder nur an seinem Drink, während er es auf geheimnisvolle | |
| Weise hinbekommt, jedem im Saal das Gefühl zu geben, dass er ihn persönlich | |
| anschaut. | |
| Eine Mona Lisa der Politik – aber wenn später mal seine Büste in diesem | |
| Saal zu bewundern sein sollte, dann wird man ihn womöglich mit einem | |
| Damenschuh in der Hand verewigen, aus dem er Sekt schlürft. Der | |
| Partybürgermeister, womöglich wird es dieses Klischee sein, das ihm am | |
| längsten anhaften wird. Dann, wenn der verdammte Flughafen längst in | |
| Betrieb sein wird. Der Glitzer an der Backe, den man als Schwuler nicht so | |
| schnell loswird, auch wenn man kilometerweise Akten gefressen und | |
| Aufsichtsratssitzungen durchgestanden haben sollte. Prost! | |
| ## Ein Abend für „den Klaus“ | |
| Draußen vor dem Roten Rathaus ist Baustelle, die U 5, die „Kanzler-U-Bahn“. | |
| Eine Horde spanischer Touristen rennt vorbei. | |
| „Er hat der Stadt sehr geschadet“, sagt einer der geladenen Gäste bei der | |
| nächsten großen Abschiedsfeier für Klaus Wowereit, einer von unzähligen. | |
| „War das denn alles seine Schuld?“, entgegnet jemand anderes. Dieses Mal | |
| ist es die Berliner Kunstszene, die Adieu sagt. Genauer: Die | |
| Kleinkunstszene, wie es so schön altdeutsch despektierlich heißt. Sogar | |
| Alfred Biolek ist extra an diesem Abend nach Berlin gekommen, ins „Tipi am | |
| Kanzleramt“. Einem Zelt im Tiergarten nahe am Zentrum der Macht, in dem | |
| queere Kultur in den Mainstream eingespeist wird; die Kanzlerin hält hier | |
| ihre Weihnachtsfeiern ab, Busladungen von kulturinteressierten | |
| Berlin-Besuchern aus der Provinz schnuppern an dieser nicht | |
| subventionierten Bühne Hauptstadtluft. | |
| Doch heute ist dieser Abend „dem Klaus“ gewidmet, Gayle Tufts singt, mit | |
| ihrem „Denglisch“-Konzept gehört sie seit über zwanzig Jahren zu Berlin. | |
| Eine Amerikanerin in Berlin – früher ist sie oft bei Wowereits Sommerfesten | |
| im Roten Rathaus aufgetreten. Und er ist ihr Fan, er war es schon, als er | |
| noch nicht Regierender war. „Große Kunst“ sei das, was hier geboten werde, | |
| sagt der Klaus. Später, nachdem er wieder nur an seinem Sekt genippt hat, | |
| wird er mit Gayle Tufts zusammen auf der Bühne tanzen und dabei ein | |
| bisschen wie ein Schüler wirken, der unbeholfen mit seiner Lehrerin tanzt. | |
| Der RBB ist wieder da, es gibt eine Live-Schalte in die Abendschau. Dieses | |
| Mal ist es Raiko Thal, nicht Uli Zelle. Wowereit und sein Lebensgefährte | |
| Jörn Kubicki tragen Jeans zum Jackett. Judy Winter ist hier, auch Karin | |
| Baal. Gitte Haenning. Und dort hinten sitzt die Moderatorin Ulla Kock am | |
| Brink. Nur Sabine Christiansen ist nirgendwo zu sehen, sie, die einst | |
| zusammen mit dem Friseur Udo Walz die Speerspitze der neuen Berliner | |
| Gesellschaft gebildet hatte. Und Wowereit „mittenmang“, wie man in Berlin | |
| sagt. | |
| ## Das neue Berlin | |
| 2001 hatte sich Sabine Christiansen von ihrem Mann Theo Baltz getrennt, der | |
| nun mit Ulla Kock am Brink zusammen war. In New York stürzten die Türme des | |
| World Trade Center zusammen. Und in Berlin übernahm Klaus Wowereit die | |
| Macht – nachdem die Berliner Bankgesellschaft kollabiert war. Im Radio lief | |
| „Daylight in your Eyes“ von den No Angels. Und „Es ist geil, ein Arschloch | |
| zu sein“ von einem Herrn namens Christian. | |
| „Der Klaus“ erzählt auf der Bühne des Tipi, dass Hillary Clinton ihm | |
| neulich erzählt hätte, dass er nun aussähe wie ihr Bill. Und die Amerikaner | |
| im neuen Berlin sind keine Besatzer mehr, keine „Allied Forces“. Die | |
| heutigen Amerikaner in Berlin sind nicht in der Clayallee, sondern in | |
| Neukölln. Sie machen was mit Kunst und studieren was mit Gender oder sind | |
| bloß zu Besuch. „Dreißig Millionen Übernachtungen hatte Berlin jüngst –… | |
| ich angetreten bin, waren es nur zehn“, sagt Wowereit. | |
| Nach der Show gibt es einen Empfang. Gratisdrinks für alle. Und draußen vor | |
| dem Zelt ragt das Berliner Kanzleramt in die Nacht mit seinen seltsamen | |
| Baumarkt-Leuchten. Gebaut hatte es noch jemand aus einer anderen Epoche. | |
| Helmut Kohl. Ein Mann aus einer Zeit, in der Berlin noch eine geteilte | |
| Stadt war. Einer Zeit, in der es noch einen Paragrafen 175 gab. Und einer | |
| Zeit, in der die Republik und seine Hauptstadt noch nicht als weltläufig | |
| bezeichnet werden konnten. | |
| ## Sekt statt Hundekot | |
| In das Kanzleramt hat Klaus Wowereit es nie geschafft, dort sitzt jetzt | |
| eine Frau. Hätte das jemand für möglich gehalten in der Zeit, in der dieser | |
| Mann regierte, der das klobige Kanzleramt gebaut hat? Das Land hat sich | |
| verändert. Es ist moderner geworden, freier. | |
| Aber was ist nun mit dem Flughafen? Den gestiegenen Mieten? Den Berliner | |
| Wasserbetrieben? Vattenfall? Der A 100? Dem Hundekot? | |
| Ach, „der Klaus“. Der „Wowi-Man“. Der „Klausi-Mausi“. Zum Abschied … | |
| Bühne des Tipi hatte er sie wieder alle in seinem Bann. Jeden Einzelnen. | |
| „Alles Gute, alles Liebe und viel Spaß.“ Sagt’s – und nippt an seinem … | |
| 7 Dec 2014 | |
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| Martin Reichert | |
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