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# taz.de -- Die Hauptstadt auf der Suche: L'Odeur de Berlin
> Knut ist tot, Klaus Wowereit als Maskottchen der Stadt zurückgetreten.
> 2015 braucht es also einen neuen Botschafter Berlins in der Welt. Ein
> Essay.
Bild: Ein Buddy-Bär – das ist doch so Nuller-Jahre-Berlin. Weg damit!
Kaum hatte es in der Nacht auf Montag geschneit, fielen die S-Bahnen aus.
Wie vorhersehbar. Wie wunderbar. Wie Berlin. Das könnte noch was ganz
Großes werden.
So was wie Knut oder Klaus Wowereit. Zum Knuddeln waren beide, Wowi wurde
überdies zum Role Model, zum Gesicht einer Stadt, die nicht mehr immer nur
alles ernst nahm. Die auch Feiern konnte. Fünfe mal grade sein lassen. Und
damit – die Ausnahmen sind bekannt – auch noch Erfolg hatte. So wurden
Knut, der Eisbär, und Wowi, der Partybär, zu Berliner Maskottchen. Das
beste daran: Beide waren auch anschlussfähig ans Berliner Wappentier. „Be
Berlin“, da steppt der Bär.
Das ist jetzt allerdings Geschichte. Knut ist tot, Wowereit zurückgetreten,
kein neues Maskottchen in Sicht. Oder glaubt etwa einer, Michael Müller sei
knuddelfähig? Oder dass Meret Becker und Mark Waschke, die neuen
„Tatort“-Kommissare der Stadt, zum Gesicht des neuen Berlin würden? Oder
vielleicht gar der Hirscheber Eberhard, das hässlichste Lebewesen im
Zoologischen Garten?
Immerhin: Wo kein neues Gesicht in Sicht ist, kann man sich jetzt am Anfang
des noch neuen Jahres einfach mal zurücklehnen und darüber nachdenken, was
eigentlich die Botschaft ist, die Berlin in der Nach-Wowereit-Ära in der
Welt verbreiten möchte.
Ist es Kontinuität? Soll das, was erreicht wurde, nunmehr ordentlich
verwaltet werden? Das Maskottchen wäre dann eine putzig ausstaffierte
Aktenklammer. Und Berlin leider so verwechselbar wie München oder Freiburg.
Also nüscht.
Ist es die Zuwanderung, das Wachstum der Stadt? Dann wäre das Symbol eine
große Zähluhr, die man am Roten Rathaus aufstellen könnte. Auf ihr wäre
nicht nur die ganz aktuelle Zahl der Berliner ablesbar, sondern dazu der
Anstieg der Durchschnittsmiete. Schließlich hat jeder Erfolg auch seinen
Preis.
Warum nicht auch die Freiheit? Kein Ort wäre da geeigneter als das
Tempelhofer Feld. Der Rosinenbomber gehört hierher, dieses Maskottchen der
Berlin-Blockade. Und natürlich die Feldlerche, dieser Vogel des Jahres
1998, den die Berliner bei ihrem Volksentscheid im Mai vergangenen Jahres
davor bewahrt haben, in den Käfig des sozialen Wohnungsbaus gesperrt zu
werden.
Allerdings spräche gegen die Feldlerche als neues Maskottchen, dass sie
halt so gar kein Bär ist.
Schluss also mit dem Versuch, einen Nachfolger für den Knuddel-Wowi-Bär zu
finden. Den gibt es nicht. Wohl aber gibt es das, was die Essenz dieser
wunderbaren Stadt ist, von der Klaus Wowereit bei einem Parteitag 2010
einmal gesagt hat: „Diese Stadt hat etwas, was man mit Geld nie kaufen
kann: eine Ausstrahlung, eine Anziehung, eine Wildheit und eine Schönheit,
wie es sie in dieser Kombination nicht noch mal auf dieser Welt gibt.“
Recht hat er, und warum soll man das, was Berlin hat, nicht auch
vermarkten. Warum nicht das Berlin-Parfüm kreieren, den Odeur de Berlin?
Diesen einzigartigen Duft nach Bodenständigkeit und Übermut, Armut und
Kreativität, Größenwahn und sympathischem Scheitern?
Die Zutaten sind ganz einfach. Man muss einfach die Berliner Luft an den
Orten abfüllen, die für die Berliner Lokaleigenschaften stehen. Die
Bodenständigkeit in Tempelhof (Geburtsort Wowereits und Müllers!), den
Übermut im Partykeller beim Präsidenten des Landessportbundes Klaus Böger,
der unbedingt Olympia will. Die Armut vor dem Jobcenter in der
Charlottenstraße, und die Kreativität füllt man am besten in
Oberschöneweide ab, weil die Luft in Mitte und Prenzlauer Berg für den
Größenwahnanteil des Odeurs bestimmt ist.
Der größte Anteil am Parfüm von Berlin muss aber auf der Baustelle des BER
oder im Berliner Olympiastadion abgefüllt werden. Denn was wäre Berlin ohne
seinen Pleitenairport oder seinen Pannenfußball.
Der Werbepartner für den Odeur de Berlin wäre natürlich der Club der
polnischen Versager. Dessen Betreiber in der Ackerstraße machen sich schon
lange Sorgen, dass Berlin über kurz oder lang schneller polonisiert werden
könnte als Polen deutscher wird. Deshalb müssen sie natürlich auf den Zug
mit dem Berliner Duft aufspringen – in der Hoffnung, dass auch der ein
Riesenflop wird.
Doch das Gegenteil wird wohl der Fall sein. Ist das sympatische Scheitern
nicht genau das das Erfolgsrezept dieser Stadt? So lange stolpern und
straucheln, bis man irgendwann auf dem Boden liegt, sich auf die kaputte
Schulter klopft und sagt: „Von nun an kann es nur noch aufwärts gehen!“? So
viel Note an Selbstironie wird sogar die Nettozahler aus München und
Stuttgart dazu bringen, ein paar Mitleidskäufe mit Berlin zu tätigen.
A propos Scheitern: Das Odeur de Berlin, dieser Maskottchenersatz und neue
Berlin-Botschafter des Jahres 2015, wird sich natürlich am besten in der
Mall of Berlin verkaufen.
Und im Winter auf den Bahnsteigen der S-Bahn. Denn eine kleine Prise
Kaltluft beim Warten auf den nächsten Zug gehört natürlich auch zum
unverwechselbaren Duft von Berlin.
## Dieser Text ist Teil des aktuellen Schwerpunkts in der Wochenendausgabe
der taz.berlin. Darin außerdem: Sechs Ereignisse, die uns 2015 in Atem
halten werden. In Ihrem Briefkasten und am Kiosk.
3 Jan 2015
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
Berlin
Maskottchen
Wowereit
2015
Berlin
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Bauarbeiten
Michael Müller
Ulrich Nußbaum
Klaus Wowereit
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