| # taz.de -- Klaus Wowereits Rückzug: Der es den Waschlappen zeigte | |
| > Wowereits Coming-Out war wichtig für die Renaissance Berlins als hippe | |
| > Metropole. Doch auch bundesweit setzte er Maßstäbe. | |
| Bild: Zu Lebzeiten schon historisch: Das Schwule Museum in Berlin widmet Klaus … | |
| Berlin? Irgendwie sah das mal grau aus, schmutzig, verlebt, unfrisch, | |
| dauererschöpft. Noch eine Woche vor der – dieser – Performance, die Klaus | |
| Wowereit 2001 ablieferte, hätte niemand auch nur einen Cent darauf | |
| gewettet, dass sich die Hauptstadt anders fantasieren ließe als so: | |
| Bankenskandal, Raffgier und Subventionsgeilheit der alten Westberliner | |
| Kreise, die man für die tonangebenden halten musste. Berlin war ein | |
| abgehalftertes Unternehmen unter dem Dirigat von CDU-Politikern wie | |
| Eberhard Diepgen. | |
| Am 9. Juni 2001 hätte niemand auch nur zu träumen gewagt, dass sich an | |
| dieser Wahrnehmung etwas ändern könnte. Berlin – cool? Nicht für alle | |
| Schulden, die damals den Haushalt der Stadt drückten. Tags darauf aber war | |
| Sonderparteitag der SPD, Klaus Wowereit, ein Berliner Politiker, der nicht | |
| über Kladow, Rudow und Marzahn hinaus bekannt war, hatte in der großen | |
| Koalition den Aufstand gewagt und, unbeschädigt im Bankenskandal, ein | |
| Misstrauensvotum gegen Diepgen lanciert. | |
| Die Partei musste ihn ohnehin wollen, Alternativen gab es keine. Und | |
| vielleicht wetzten im Hintergrund der CDU zugeneigte Medien wirklich die | |
| Messer, um den Emporkömmling zu denunzieren. | |
| Aber er ließ die mögliche Attacke ins Leere laufen. Sprach auf dem | |
| Landesparteitag eher allgemein – und kam dann zu dem, was die Berliner | |
| Verhältnisse bis heute ins ganz und gar Andere umkehren sollte. Es war nur | |
| ein Nebenaspekt, sagte er später, hauptsächlich jedoch eine Klarstellung. | |
| Die musste aber für einen professionellen Politiker wie ihn sein, vor ihm | |
| allerdings hatte es noch keiner gewagt, die Karten so sehr auf den Tisch zu | |
| legen: „Und liebe Genossinnen und Genossen. Ich bin schwul – und das ist | |
| auch gut so!“, teilte er dem Auditorium mit. | |
| ## Durfte er das? | |
| Die Medienwelt war mindestens schockiert. Durfte er das? Hat er nicht | |
| unziemlicherweise seine sexuellen Vorlieben offenbart? Würde das nicht | |
| alles an Erfolgschancen zerstören? Nein, nein und nein: Mit diesem Satz | |
| hatte Klaus Wowereit diese gewisse eisige Diskretion homosexuellen | |
| PolitikerInnen gegenüber pulverisiert. Bis dahin galt: Don’t ask, don’t | |
| tell. Nicht drüber sprechen, lieber hüsteln und tuscheln. Plötzlich waren | |
| Spitzenpolitiker wie der Hamburger Christdemokrat Ole von Beust und der | |
| Oberneoliberale Guido Westerwelle blamiert: Auch sie schwul, aber sie | |
| hatten sich nicht getraut, offenherzig, souverän und unverkniffen ihre | |
| öffentlichen Rollen mit ihrer persönlichen Lebensweise aufzufüttern. | |
| Heterosexuelle haben das nie recht verstanden, warum das wichtig war. | |
| Schwule und Lesben wissen das genau. Die übliche Welt musste mangels | |
| anderer Beispiel in Mann-Frau-Schemata gedacht werden. Ein Politiker hat | |
| eine Frau und setzt sie nötigenfalls im Wahlkampf sympathieheischend ein. | |
| Schwule und Lesben glaubten, das nicht zu können. Homosexualität galt als | |
| Karrierekiller, nicht als interessanter Aspekt einer Persönlichkeit. | |
| Wowereit war quasi über Nacht berühmt – er war Talk of the town. Ach was – | |
| er setzte bundesweit Maßstäbe für das, was fortan galt: Schwul zu sein ist | |
| kein Drama, auch nicht für allerhöchste Ämter. Freilich: In den ersten | |
| Jahren merkte man auch liberalen Blättern wie der Zeit und dem Tagesspiegel | |
| an, dass mit einem wie Wowereit sich die heterosexuellen Deuter der | |
| politischen Arena an den eigenen Fantasien zu Schwulem abarbeiteten. | |
| „Partymeister“ wurde er geheißen, weil er sich auch auf Partys, bei | |
| Vernissagen, bei Festen und Theaterrevuen tummelte. Die Vorwürfe liefen | |
| immer auf das Gleiche hinaus: Typisch Wowi, schon wieder nur gefeiert. | |
| Politreportertum verschmolz mit den journalistischen Genres, die die Gala | |
| oder die Neue Revue zu bedienen haben. Letztere etwa veröffentlichte eine | |
| Bilderstrecke mit Wowereit und Talkshowmoderatorin Sabine Christiansen – | |
| eng umschlungen. Auf dem Titel fragte sie: „Erregung öffentlicher Hoffnung. | |
| Kann sie ihn umdrehen?“ | |
| ## Was für spießige Fragen | |
| Was für spießige Fragen, die sich diese Knallchargen stellten. Und in der | |
| Zeit monierte Bernd Ulrich ein Grußwort des Bürgermeisters für ein | |
| Sexfetischfestival in Berlin: „Klaus Wowereit begrüßt die Lederszene – und | |
| auch die Gewalt?“ Eine Fantasie aus muckeliger | |
| Bausparvertragslebensängstlichkeit, nichts anderes. Ein Ressentiment, das | |
| die für Berlin wichtige Sexmesse gleichsetzte mit einer neonazistischen | |
| Gewaltorgie. Andererseits: Was für ein lustiger Unfug, den unsere | |
| (heterosexuell) gewirkten Medien da aufrülpsten. Unter deren Radarschirmen | |
| blieb derweil unbemerkt, dass das Selbstouting des Klaus Wowereit das | |
| politisch wichtigste Moment für die Renaissance Berlins als hippe Metropole | |
| wurde. | |
| Völlig unterschätzt wurde eben nicht allein, dass Wowereits hübsch | |
| flapsiger Satz, Berlin sei „arm, aber sexy“ gerade jene kreativen Milieus | |
| in die Stadt zu ziehen verführte, die sie noch unter Diepgens Regentschaft | |
| nicht einmal per Gratisticket angesteuert hätten. Berlin – das war queer, | |
| das war plötzlich „Du darfst“ und ein „Probier es aus“. | |
| Nicht minder unbeachtet blieb, dass Wowereit auch in den proletarischen und | |
| kleinbürgerlichen Szenen der Stadt extrem populär war (und wieder ist). Der | |
| traut sich was, der hat’s drauf, der sagt, was Sache ist. Hätten sie ihn | |
| doch nicht nur bei beim Tête-à-Tête mit Künstlerinnen beobachtet, die ihn | |
| aus sehr schicken Schuhen Champagner trinken ließen – sondern etwa bei | |
| Ortsterminen in Altersheimen, Kleingärtnervereinen oder bei | |
| Weihnachtsfeiern der Müllabfuhr: Das war ein Geherze und Geknuffe – populär | |
| wie Bolle zu Pfingsten. | |
| Nur, was für eine schöne Pointe, für die Förderung von Homoprojekten ließ | |
| er sich nie recht erwärmen. Klar, es gab immer ein Klima der Gewogenheit, | |
| um etwa Projekte gegen antischwule Gewalt zu bedenken. Aber alle | |
| lesbischen, schwulen oder trans*-gewirkten Bittsteller wurden freundlich | |
| mit Kaffee und Tee bewirtet, aber stets mit der gleichen Frage behelligt: | |
| Schöne Idee – aber welches Geld bringt ihr mit? Nein, ein Homolobbyist war | |
| er nicht, lediglich das Schwule Museum bekommt seit kurzer Zeit Geld aus | |
| Kulturtöpfen. Und das darf auch so sein: Dieses Haus an der Lützowstraße | |
| ist schließlich eine Marketingfigur, und zwar global. | |
| ## Eigene Ausstellung | |
| Zum Abschied hat ihm das Museum gar eine eigenen Ausstellung geschenkt, mit | |
| Wowi-Bildern und -Ikonen. Das öffentlich Wichtigste ist beieinander. | |
| Wowereit, älter geworden natürlich, grau, ist jetzt weniger der | |
| kraftstrotzende Anführer, mehr der Grandseigneur. Zufrieden guckt er sich | |
| bei der Eröffnung am Montagabend alles an – der hat offenbar wirklich | |
| seinen inneren Schreibtisch aufgeräumt. Mittwochnachmittag folgt dann noch | |
| das letzte Defilee: Die queere Politszene der Stadt gibt ihm zu Ehren einen | |
| Empfang im Foyer des Roten Rathauses, mächtiger Andrang ist zu erwarten. | |
| Überhaupt fallen die Trauerreden, da seine Zeit als Regierungschef von | |
| Berlin am Donnerstag endet, versöhnlich, ja, beinah überfreundlich aus. Von | |
| FAZ über die Welt bis hin zur Bild-Zeitung: Wowi war ein Guter. | |
| Inzwischen ist es keine Sensation mehr, kandidiert ein Politiker für ein | |
| Amt und macht nicht mit einer Frau, sondern mit einem Mann Wahlkampf. | |
| Undenkbar, dass eine wie Umweltministerin Barbara Hendricks in der Ära vor | |
| Wowereit ihre Eingetragene Lebenspartnerschaft mit einer Frau zu Protokoll | |
| gegeben hätte. Oder dass der Nachfolger von Erika Steinbach als | |
| Vertriebenenchef, Bernd Fabricitius, schwul ist. | |
| Man hat ihn unterschätzt, diesen Politiker, aufgewachsen am Stadtrand von | |
| Westberlin. Gut so. Man glaubte, ihn mit seiner Art zu begehren erledigen | |
| zu können. Wowereit hat diesen analytischen Waschlappen gezeigt, was | |
| wirklich geht. Besser das! | |
| 9 Dec 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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