# taz.de -- Stuttgarter Wasserwerferprozess: Opfer müssen zahlen | |
> Ihre Anwaltskosten haben die Nebenkläger teilweise selbst zu tragen. Das | |
> hat die Richterin nach der Einstellung des Prozesses entschieden. | |
Bild: Nun muss er auch noch zahlen: Nebenkläger Dietrich Wagner. | |
STUTTGART taz | Der Stuttgarter Wasserwerferprozess ist endgültig | |
eingestellt, nun ist die Kostenentscheidung gefallen: Vier Nebenkläger | |
müssen ihre Anwaltskosten zu einem Drittel selbst bezahlen, weil die Kammer | |
ihnen eine Mitschuld an der Eskalation im Schlosspark und ihren schweren | |
Verletzungen gibt. Unter ihnen ist auch Dietrich Wagner, das prominenteste | |
Opfer des Wasserwerfereinsatzes bei der Räumung des Stuttgarter | |
Schlossgartens am 30. September 2010. | |
Dietrich Wagners Rechtsanwalt Frank Ulrich Mann sagt: „Einem dabei | |
erblindeten Opfer auch noch ein Drittel der notwendigen Auslagen | |
aufzubürden, ist zwar konsequente Fortsetzung einer mehr als fragwürdigen | |
Entscheidung, verstärkt indes das Misstrauen des Mandanten gegen den | |
Staat.“ | |
Am 30. September 2010 hatte die Polizei den Auftrag, den Stuttgarter | |
Schlosspark zu räumen, damit dort Bäume gefällt werden konnten, die dem | |
Bahnprojekt Stuttgart 21 weichen mussten. Tausende demonstrierten dagegen. | |
Die Polizei ging mit Wasserwerfern gegen die Demonstranten vor. Laut | |
Innenministerium wurden 164 Menschen verletzt, nach Zählung der | |
Parkschützer waren es mehr als 400. Dietrich Wagner verlor bei dem Einsatz | |
weitgehend sein Augenlicht. | |
Der sogenannte Schwarze Donnerstag zog einen Prozess nach sich: Zwei | |
Polizisten, die den Einsatz vor Ort geleitet hatten, wurden vor der 18. | |
Großen Strafkammer des Landgerichts Stuttgart wegen fahrlässiger | |
Körperverletzung im Amt angeklagt. Der Prozess wurde jedoch nach einem | |
halben Jahr, am 26. November, recht plötzlich eingestellt. Die Richterin | |
sah nur eine geringe Schuld bei den Angeklagten. Sie müssen 3.000 Euro | |
Strafe bezahlen, was sie nach Informationen der taz bereits getan haben, | |
und nun auch zwei Drittel der notwendigen Auslagen der Nebenkläger. | |
## Bewusst selbst gefährdet | |
Das Gericht begründet die Kostenentscheidung in seinem Beschluss vom 9. | |
Dezember. Die Nebenkläger hätten den Anweisungen der Polizei keine Folge | |
geleistet und seien „bewusst im abzusperrenden Sicherheitsbereich und damit | |
im Einwirkungsbereich der eingesetzten Wasserwerfer verblieben“. Sie hätten | |
sich bewusst selbst gefährdet. | |
Eine fünfte Verletzte von damals, ebenfalls Nebenklägerin, muss ihre Kosten | |
zu hundert Prozent selbst tragen. Die Richter haben laut ihrem Beschluss | |
keine Hinweise darauf gefunden, dass die Frau tatsächlich am Kopf getroffen | |
worden ist. Sie haben nur Kopftreffer als rechtswidrig gewertet, im | |
Gegensatz zu anderen Körperverletzungen – wie den Blutergüssen, die diese | |
Frau an den Unterschenkeln erlitten hat. Die Kosten je Nebenkläger dürften | |
zwischen 10.000 und 15.000 Euro liegen. | |
Für die Nebenkläger, also die Opfer und ihre Anwälte, ist diese | |
Entscheidung der unrühmliche Schlusspunkt des Verfahrens. Die Nebenkläger | |
fühlten sich im Gerichtssaal „nicht wohlgelitten“, sagt | |
Nebenklage-Vertreterin Simone Eberle. Während des Prozesses haben sie und | |
ihre Kollegen beklagt, dass ihre Beweisanträge nicht bearbeitet worden | |
seien. Sie fühlten sich von der Richterin ignoriert. | |
Sie hatten mehrfach Befangenheitsanträge gegen das Gericht gestellt, die | |
jedoch abgelehnt wurden. „Das Gericht hat versucht, die Rechte der | |
Nebenklage abzuschneiden“, sagt Eberle. „Es ist aus meiner Sicht eines | |
Rechtsstaats unwürdig, ein Verfahren so durchzupeitschen, wie es hier der | |
Fall war.“ Die Nebenkläger haben rechtlich nicht die Möglichkeit, gegen die | |
Einstellung des Prozesses und die Kostenentscheidung vorzugehen. | |
Im Beschluss bekräftigt die Strafkammer am Landgericht noch einmal ihre | |
Überzeugung, wonach der Einsatz im Schlossgarten „rechtmäßig und – mit | |
Ausnahme der Wasserstöße in Kopfhöhe – auch verhältnismäßig war“. Die | |
Betroffenen haben bislang weder Schmerzensgeld noch Schadenersatz erhalten. | |
12 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Lena Müssigmann | |
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